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Foto: Rico Prauss

»Wir mussten uns selbst schützen«

Interview der Woche von Susanna Karawanskij, Michael Leutert,

In Sachsen gibt es seit 1990 Probleme mit rechter Gewalt

 

 

Jüngst wütete ein rechter Mob im Leipziger Stadtteil Connewitz. Susanna Karawanskij und Michael Leutert, beide Mitglieder der Fraktion DIE LINKE, stammen aus Sachsen. Sie berichten von ihren ersten Reaktionen auf den Angriff, erläutern Ursachen rechter Gewalt in ihrem Bundesland und sagen, worauf es jetzt ankommt.

Am Abend des 11. Januar haben Nazis und Hooligans den Leipziger Stadtteil Connewitz terrorisiert: Sie griffen Läden an, zerschlugen Scheiben, attackierten Polizisten. Wo und wie haben Sie von dieser Attacke erfahren?

Susanna Karawanskij: Ich habe erste Informationen über Twitter erhalten. Wegen einer Sitzung des Deutschen Bundestags war ich in Berlin.

Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Susanna Karawanskij: Das war ein Schock. Connewitz ist nicht irgendein Stadtteil von Leipzig. Als Studentin habe ich selbst dort gewohnt. Es ist das alternative Zentrum von Leipzig. Bei der jüngsten Landtagswahl hat DIE LINKE dort das einzige Direktmandat in Sachsen gewonnen. Dass Nazis dort einen solchen organisierten Angriff durchführen können, ist krass.

Fürchten Sie sich jetzt in Ihrer Heimatstadt?

Susanna Karawanskij: Das erste Mal richtig Angst hatte ich, als Ende des vergangenen Jahres ein Anschlag mit Buttersäure auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) verübt wurde. Auch DIE LINKE ist immer wieder Ziel von rechter Gewalt: Politikerinnen und Politiker werden bedroht, Büros und Geschäftsstellen angegriffen, Scheiben eingeworfen.

Michael Leutert: Ich bin in Sachsen geboren, ich bin in Sachsen aufgewachsen. Rechte Gewalt ist für mich nichts Neues. Als Jugendliche wurden wir häufig nachts von Nazis durch die Straßen gejagt. Als ich in Freiberg einmal aus einem linken Club kam, hat man mir eine Pistole an den Kopf gehalten. Das Jugendzentrum, das wir in Mittweida hatten, war immer wieder Ziel von Attacken – und die Polizei war nie da. Wir mussten uns selbst schützen.

Was empfehlen Sie Menschen, die sich nicht mehr trauen, sich gesellschaftlich zu engagieren, weil sie Angst vor Angriffen haben?

Michael Leutert: Ich habe Verständnis, dass das manchen Menschen nicht leichtfällt. Ich kann auch keine allgemein gültigen Tipps geben. Für mich war immer klar: Wir müssen etwas gegen die Nazis tun. Und je mehr Menschen man dafür gewinnt und so zusammenbringt, desto sicherer fühlt man sich auch.

Hat die rechte Gewalt heute eine andere Qualität in Sachsen als in den 1990er Jahren?

Susanna Karawanskij: Nein, eigentlich nicht. Man darf nicht vergessen: In Sachsen gibt es seit den 1990er Jahren ein großes Problem mit rechtsextremer, rassistisch motivierter Gewalt.

Michael Leutert: Damals gab es Tote durch Nazi-Gewalt. Neu ist, dass 200, 300 Nazis organisiert in einen linken Stadtteil reingehen, um ihn platt zu machen. Das hat es bisher nicht gegeben.

Welche Verantwortung trägt die sächsische CDU für dieses Ausmaß an Gewalt, die seit 25 Jahren die Landesregierung stellt?

Michael Leutert: Die CDU in Sachsen hat nach der Wende die Zivilgesellschaft enorm geschwächt. Und sie hat von Anfang an die damalige PDS mit der NPD gleichgesetzt. Auch das hat dazu beigetragen, dass NPD und Nazitum salonfähig wurden. Dann darf es nicht überraschen, dass die NPD im Landtag mit rund 10 Prozent fast so stark wie die SPD vertreten war und dass seit mehr als einem Jahr jede Woche tausende Menschen mit Pediga in Dresden und Legida in Leipzig marschieren. Die CDU hat ihren Anteil daran, dass das Problem tief in der sächsischen Gesellschaft verwurzelt ist.

Was muss passieren, um das gesellschaftliche und politische Klima zu verbessern?

Michael Leutert: Die Jugendfreizeitarbeit muss ausgebaut werden. Das ist eine Aufgabe, der viele Landkreise und Kommunen nicht mehr nachkommen können, weil ihnen die Mittel dazu fehlen. Wenn die Jugendlichen nichts anderes haben, sind sie empfänglich für die Angebote der Rechten.

Susanna Karawanskij: Problematisch ist auch, dass in der Vergangenheit bei der Polizei immer gekürzt wurde. Mittlerweile gibt es in manchen Landkreisen nur noch drei Streifenbesatzungen. Das muss sich ändern. Zudem müssen in den Bildungseinrichtungen demokratische Werte vermittelt werden - von der Kita über die Schulen bis zu den Hochschulen.

Fremdenfeindlichkeit ist nicht mehr nur in der rechten Ecke zu finden, sie greift aus in bürgerliche Milieus, in die Mitte der Gesellschaft.

Michael Leutert: Wir sind in einer extrem kritischen Situation. Wir haben in ganz Europa eine dramatische Rechtsentwicklung, in Ungarn, Polen, Slowakei, in Frankreich, der Schweiz, in Dänemark. DIE LINKE muss in dieser Lage die Verteidigerin demokratischer Werte sein.

Susanna Karawanskij: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind zarte Pflanzen, die sehr schnell vergehen können. Und ich vermisse Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit, über Parteigrenzen hinweg Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schützen und zu verteidigen. Das macht mir Sorge.


Susanna Karawanskij wurde im Jahr 1980 in Leipzig geboren, wo sie heute mit ihrer Familie lebt. Sie ist Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE und Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags.

Michael Leutert, Jahrgang 1974, stammt aus Sachsen. Sein Wahlkreis liegt in Chemnitz. Er ist für die Fraktion DIE LINKE Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags.