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»Wir haben sogar Steuern an VW zurückgezahlt«

Im Wortlaut von Sabine Zimmermann,

Privatisierung kann Finanzprobleme der Kommunen nicht lösen. Ein Gespräch mit Sabine Zimmermann

Die Privatisierung öffentlichen Eigentums, zum Beispiel von Wohnungen oder Wasserwerken, ist in den letzten Jahren bei Kommunalpolitikern regelrecht in Mode gekommen - angeblich läßt die Haushaltslage keine andere Wahl. Eine Argumentation, die man auch aus den Reihen der Linkspartei.PDS hört. Was halten Sie davon?

Es ändert einfach nichts an der Unterfinanzierung der Kommunen. Man kriegt mit solchen Verkäufen höchstens mal eine kurze Atempause, aber im nächsten Jahr hat man die finanziellen Schwierigkeiten von neuem. Das größte Problem, das die Kommunen momentan haben, ist, daß Unternehmen zu wenig Steuern zahlen. Münchens Oberbürgermeister hat schon richtig gesagt, daß die Städte aus eigner Kraft diese Finanzprobleme nicht lösen können. So ist das auch bei uns in Zwickau, wo man ja eigentlich denken müßte, VW kann viel Steuern zahlen ...

Eben - wie kann es denn sein, daß eine Gemeinde wie Zwickau mit einer riesigen Produktionsstätte des größten europäischen Automobilkonzerns im vorigen Jahr nur 19 Millionen Euro Einnahmen aus der Gewerbesteuer hatte?

VW ist das größte Unternehmen in der Region, dazu kommt die Zulieferindustrie, und da hängen noch einmal 30000 Arbeitsplätze dran. Aber trotzdem hat VW durch die Steuererleichterungen für Unternehmen, die unter Schröder eingeführt wurden, zum Beispiel zwei Jahre lang gar keine Steuern an Zwickau gezahlt. In einem Jahr mußten wir sogar Steuern an VW zurückzahlen.

Nun hat ja der Stadtrat in Zwickau vor drei Wochen beschlossen, ein Drittel des kommunalen Wohnungsbestandes zu verkaufen. Der Beschluß wurde einstimmig gefaßt, auch die Linkspartei.PDS hat dafür gestimmt. Deren Fraktionschef im Stadtparlament, Bernd Meyer, argumentiert, wenn die Linke dagegengestimmt hätte, wären nicht nur 30 Prozent, sondern alles verkauft worden.

Ja, sicherlich ist es ein Argument, mit dem man sich auseinandersetzen muß, aber ich denke, das Wichtigste ist, daß man diese Wohnungen gerade nicht verkauft. Wenn wir als Linke für den Verkauf stimmen, dann haben wir unser Leitbild verloren. In der Bevölkerung sieht man uns als Anwalt der Schwachen, erwartet, daß wir uns um die kümmern, die eben keine Lobby haben in Deutschland oder die langzeitarbeitslos sind und so weiter - das ist unsere Wählerklientel.

Was, glauben Sie, muß man den Kommunalpolitikern an Hilfestellung und Orientierung in die Hand geben, um bei künftigen Privatisierungsvorhaben gegenhalten zu können? Mit einem Appell oder Manifest ist es doch wohl nicht getan.

Ich denke, wenn sich eine Initiative der Kommunalpolitiker zur Sicherung der Kommunalfinanzen bilden würde, um den Bund wieder in die Verantwortung zu nehmen, würden wir auch nicht mehr in solche Zwänge kommen. Oder wenn ich mir die Länder ansehe: Deren Haushalte haben sich zu Lasten der Kommunen saniert, wie zum Beispiel jetzt in Sachsen-Anhalt, wo die Landesregierung die Mittel für die Kommunen 2007 um 133 Millionen Euro absenkt. Die Kommunalpolitiker müßten sich eigentlich wehren, z. B. über den Deutschen Städtetag. Aber da hört man viel zu wenig.

Könnte eine solche Initiative nicht von linken Kommunalpolitikern ausgehen und mit der geplanten Antiprivatisierungskampagne von Linkspartei und WASG verknüpft werden?

Auf jeden Fall. Allerdings gibt es offenkundig noch ziemlichen Diskussionsbedarf, und ehe das auf allen Ebenen diskutiert ist, wird noch ein bißchen Zeit vergehen. Andererseits drängt die Zeit: Freiburg will jetzt auch anfangen, Wohnungen zu verkaufen, Berlin privatisiert sowieso - aber im Endeffekt ist das weder kurz- noch langfristig sinnvoll. Immerhin scheint in der Berliner Linkspartei darüber eine Debatte in Gang zu kommen.

Interview: Jörn Boewe

junge Welt, 20. Juli 2006