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»Wir haben einen strategischen Partner«

Im Wortlaut von Katja Kipping,

Linkspartei und soziale Bewegungen: Suche nach Gemeinsamkeit. Ein Gespräch mit Katja Kipping

Katja Kipping ist stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei und Mitglied des Bundestages

Am Dienstag wurde die Bundeskanzlerin der großen Koalition gewählt, am Wochenende waren Sie in Frankfurt/Main bei dem Versuch dabei, auf der Aktionskonferenz eine große Koalition der sozialen Bewegungen zu versuchen. Was hat Sie an diesem Versuch interessiert?
Für mich war schon vor der Wahl klar, daß wir als Linke im Bundestag, also Linkspartei und WASG, einen strategischen Partner haben: die sozialen Bewegungen in all ihrer Vielfalt und Pluralität. Deshalb war es wichtig, daß wir uns nach dem Wahlkampf verständigen, über inhaltliche Positionen und über konkrete Maßnahmen und nächste Schritte.

Entsprechen die Ergebnisse der Konferenz - die Verabredungen über die Proteste gegen die Bolkestein-Richtlinie im Januar und über Protestdemonstrationen im Frühjahr Ihren Erwartungen?
Es wurden in Frankfurt klare Verabredungen getroffen. Die Planung paßt hervorragend zu unseren Vorhaben als Partei, weil wir selbst eine Kampagne zur Bolkestein-Richtlinie geplant hatten. Und neben diesen ganz praktischen Fragen gab es in Frankfurt auch die intensive, heftige inhaltliche Debatte, die wir genauso brauchen.

Eine zentrale inhaltliche Kontroverse war in Frankfurt die Diskussion über ein garantiertes Grundeinkommen. Dabei haben sich die Positionen der sehr unterschiedlichen Befürworter und der meist gewerkschaftlich orientierten Kritiker in den letzten Jahren kaum bewegt. Welchen Sinn hat dann dieser Streit?
Auf jeden Fall schafft der Streit eine größere Sensibilität für die Position des anderen. Dabei werden ja sehr unterschiedliche Perspektiven eingebracht. Man kann natürlich nicht erwarten, daß jemand über Nacht seine Position ändert, das spricht ja eher für ihn. Ich hätte mir allerdings schon gewünscht, daß wir in dieser Frage einen Schritt weiterkommen.

Die klar negative Losung »Weg mit Hartz IV!« hat sich im 100-Tage-Programm der Linksfraktion in die eher bescheidenere Forderung verwandelt, den Regelsatz auf 420 Euro zu erhöhen.
Nein, wir wollen »Hartz IV« überwinden, mit einem individuellen Recht auf eine soziale Grundsicherung ohne Pflicht zur Gegenleistung und einem öffentlichen Beschäftigungssektor. Auf diesem Weg stellen wir auch kurzfristige Forderungen auf, aber nur als Zwischenschritte. Wir haben in der fachübergreifenden Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Linksfraktion zu Hartz IV diese Grundsatzdebatte geführt. Unsere Position lautet: Hartz IV überwinden. Damit soll klar sein, daß wir nicht zu den Zuständen der alten Sozialhilfe zurück wollen. Auch da gab es schon entwürdigende Bedarfsprüfungen.

Ist die konstruktive Wendung der Kritik an Hartz IV nicht auch darin begründet, daß unter den Kommunalpolitikern der Linkspartei die Entlastung ihrer Haushalte nicht unpopulär ist?
Im Gegenteil, überall, wo ich hinkomme, klagen die Kommunalpolitiker über Mehrbelastungen durch Hartz IV. In Dresden zum Beispiel fallen Mehrausgaben von mindestens 17 Millionen Euro an. Außerdem sind die Kommunalpolitiker viel näher dran an den schweren Einzelfällen, wo Menschen umziehen müssen, ihr soziales Umfeld verlieren. Ich würde sagen, das kommunalpolitische Engagement schärft gerade die Kritik.

Zur Überwindung von Hartz IV gehört aus Ihrer Sicht auch der öffentliche Beschäftigungssektor. Geht es aber bei einigen Positionen von Politikern der Linkspartei wie beim Kombilohn nicht eher um die Subventionierung eines Niedriglohnsektors für Langzeitarbeitslose?
Wir haben uns dazu in der Hartz-IV-Gruppe der Fraktion grundlegend verständigt und es gibt eine Reihe von Konzepten. Grundlage ist die Umwandlung der Mittel für Ein-Euro-Jobs und weiterer Gelder, um dann reguläre Beschäftigungsverhältnisse einzurichten - wie es im Wahlprogramm beschrieben ist. Diese Jobs müssen zu tariflichen und Mindestlohnbedingungen geschaffen werden.

Das wäre neu, eine Tarifbindung solcher Jobs sah das Wahlprogramm der Linkspartei nicht vor.
Das ist aber unsere Position, die wir in der Fraktionsarbeitsgruppe zu Hartz IV gebildet haben.

Interview: Sebastian Gerhardt

junge Welt, 23. November 2005