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»Wir brauchen mindestens 200.000 neue Sozialwohnungen jährlich«

Im Wortlaut von Caren Lay,

 

In Deutschland fehlen hunderttausende Sozialwohnungen. Im freien Wohnungsmarkt steigen die Mieten seit Jahren teils ungebremst. Menschen werden aus ihrem Umfeld verdrängt, finden keine bezahlbare Wohnung mehr. Viele haben deshalb Angst, dass die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge die Situation noch verschärfen. Im Interview erklärt Caren Lay, woher der Mangel an bezahlbarem Wohnraum kommt und was DIE LINKE tut, um Wohnen wieder bezahlbar für alle zu machen.

 

In Deutschland fehlen 800.000 Wohnungen, hieß es in der vergangenen Woche. Verursacht sei der Wohnungsmangel durch die vielen Flüchtlinge, die in den letzten Monaten nach Deutschland gekommen seien und die man jetzt unterbringen müsse. Stimmt das?

Caren Lay: Es ist absurd, den Flüchtlingen die Schuld für die sich seit Jahren verschlimmernde Wohnungsknappheit zu geben. DIE LINKE mahnt seit langem an, dass viel zu wenig bezahlbarer Wohnraum gebaut wird. Meine schriftlichen Fragen an die Bundesregierung zeigen seit Jahren auf, wie rückläufig die Zahl der Sozialwohnungen ist: Von 2002 bis 2013 ist die Zahl von 2,4 auf knapp 1,5 Millionen zurückgegangen. Gleichzeitig hat der Bund in den vergangenen 20 Jahren über 350.000 Wohnungen privatisiert – oft an große Immobilienkonzerne. Schon in den Jahren zuvor stiegen die Mieten in einigen Städten um bis zu 50 Prozent binnen weniger Jahre. Seit langem erleben wir dadurch Vertreibung und Gentrifizierung – nicht erst seit der Flüchtlingskrise.

Gleichwohl machen sich viele Menschen Sorgen – sowohl darüber, ob sie angesichts der fehlenden Wohnungen jemals werden umziehen können, als auch darüber, ob sie angesichts der Verknappung und befürchteten Mietsteigerungen noch in ihrer Wohnung werden bleiben können. Sind diese Sorgen nicht berechtigt?

Selbstverständlich. Aber daran sind, wie gesagt, nicht Geflüchtete schuld, sondern Spekulationen von Investoren und Immobilienkonzernen und politisches Versagen.

Die Bundesregierung will jetzt aber nachbessern. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau wurden ja kürzlich aufgestockt.

Die Aufstockung von 518 Millionen auf eine Milliarde Euro ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Hinzu kommt: Die Mittel aus dem sozialen Wohnungsbau wurden in den vergangenen Jahren immer wieder anders verwendet, zum Beispiel zum Stopfen von Haushaltslöchern. Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 9.800 Sozialwohnungen neu gebaut. Wir brauchen nicht nur mehr Geld, sondern die klare Zielvorgabe von mindestens 200.000 Sozialwohnungen jährlich.

Sie kritisieren die Mietpreisbremse der Koalition. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um den Anstieg der Mieten effektiv zu stoppen?

Die Mietpreisbremse der Koalition ist maximal eine Handbremse. Von Anfang an war dieses Gesetz voller Ausnahmen und Bedingungen. Zudem wird sie vielerorts nicht wirken, weil es keinen Mietspiegel gibt. Wir fordern eine echte Mietpreisbremse: Sie muss flächendeckend auf der Basis eines qualifizierten Mietspiegels gelten. Mieterhöhungen dürfen nur im Rahmen des Inflationsausgleichs stattfinden.

Sie haben fürs kommende Wochenende zum mietenpolitischen Ratschlag nach Frankfurt am Main eingeladen. Was erhoffen Sie sich von diesem Treffen?

Die Bundestagsfraktion veranstaltet den mietenpolitischen Ratschlag ja bereits zum zweiten Mal, diesmal werden wir glücklicherweise unterstützt von der Landtagsfraktion in Hessen. Damit können wir Landes- und Bundesebene besser miteinander verzahnen. Außerdem freue ich mich auf die gesamte Breite der wohnungspolitisch Aktiven. Wissenschaftler, Genossenschaftlerinnen und Basisaktivistinnen gegen Gentrifizierung sind dabei: So können wir die Forderungen der Bewegung aufgreifen und parlamentarisch umsetzen.

Sie haben Genossenschaften und Gemeinnützigkeit angesprochen. Welche Chancen liegen in dieser Form der Wohnungswirtschaft?

Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit war ein großer Fehler, der sich jetzt bitter rächt. Wohnen wurde komplett den Kräften des Marktes überlassen. Das müssen wir wieder ändern. Es gibt schon Initiativen, die in die richtige Richtung gehen: Durch solidarische Ökonomie, wie wir sie zum Beispiel beim Mietshäusersyndikat finden, können Häuser den Kapitalinteressen des Marktes entzogen werden. Ich halte das für eine hervorragende Alternative, für die wir uns als LINKE immer stark gemacht haben. Es wäre toll, wenn es noch mehr dieser Projekte gibt. 

 

linksfraktion.de, 24. November 2015