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»Wir brauchen eine Erweiterung der gesetzlichen Kontrollbefugnisse«

Im Wortlaut von André Hahn,

André Hahn vertritt im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags die Fraktion DIE LINKE.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl in das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Deutschen Bundestags – ein Gremium, das im vergangenen Jahr durch NSU- sowie den Überwachungsskandal verstärkt im Licht der Öffentlichkeit gestanden hat. Mit welchen Erwartungen treten Sie das Amt an?

André Hahn: Zunächst vielen Dank für die Glückwünsche. Die Mitwirkung bei der Geheimdienstkontrolle ist durchaus eine sehr interessante Aufgabe, und ich bin der Fraktion dankbar, dass sich mich dafür nominiert hat. Andererseits sind meine Erwartungen durchaus gedämpft und ich mache mir keine allzu großen Illusionen. Ich glaube, dass sich kein Geheimdienst dieser Welt wirklich umfassend kontrollieren lässt. Solange jedoch Geheimdienste existieren, hierzulande also der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz oder der Militärische Abschirmdienst, sollten die vorhandenen Möglichkeiten auch auf parlamentarischer Ebene so gut wie irgend möglich genutzt werden.

In der Öffentlichkeit ist das Bild entstanden, dass die Geheimdienste im Grunde machen, was sie wollen. Und mit der Wahrheit rücken Sie nur heraus, wenn es gar nicht anders geht. Muss die Parlamentarische Kontrolle auf den Prüfstand oder ist es ein Gremium, das erst tätig wird, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist?

Dass die parlamentarische Kontrolle auf den Prüfstand gehört, ist ja nicht erst seit der NSA-Affäre bekannt. Die Abgeordneten sollen laut Gesetz neben der allgemeinen Lageeinschätzung vor allem über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichtet werden. Über die Frage, was von besonderer Bedeutung ist, entscheiden jedoch allein die Geheimdienste selbst beziehungsweise das Kanzleramt oder das fachlich zuständige Bundesinnenministerium. Und die haben natürlich kein Interesse, dass irgendwelche Pannen oder Rechtsverstöße aufgedeckt werden. Insofern stochern die Kontrolleure häufig im Nebel und können nur das bewerten, was ihnen vorgelegt wird. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass auch die Medien ihren Beitrag dazu leisten, dass Skandale nicht dauerhaft unter den Teppich gekehrt werden können.

Verfügen das PKGr und seine Mitglieder über genügend Kompetenzen, um ihre Arbeit ausführen zu können?

Davon kann nun wahrlich keine Rede sein! Selbst wenn mir durch meine Mitgliedschaft im Kontrollgremium gravierende Verfehlungen von Geheimdiensten oder auch schwerste Gesetzesverstöße, zum Bespiel von V-Leuten, bekannt werden würden, kann ich darüber nicht öffentlich informieren, ohne mich strafbar zu machen. Das ist doch absurd!

Ich darf mich zu komplizierten Sachverhalten weder mit der eigenen Fraktion geschweige denn mit externen Sachverständigen beraten. Selbst wenn ich meinen Fraktionsvorsitzenden um Rat fragen möchte, bewege ich mich in einer absoluten Grauzone. Das kann und das darf so nicht bleiben!

Wir brauchen eine spürbare Erweiterung der gesetzlichen Kontrollbefugnisse, wir brauchen eine Stärkung des Kontrollgremiums durch wissenschaftliche und juristische Mitarbeiter und wir brauchen deutlich mehr Befugnisse für die dort tätigen Abgeordneten bis hin zu einer vollständigen Einsicht in die bei den Geheimdiensten geführten Akten. 

 DIE LINKE will die Geheimdienste langfristig auflösen. Verbirgt sich dahinter die Einsicht, dass die Geheimdienste nicht kontrolliert werden können? Oder warum ist das ein erklärtes Ziel?

Geheimdienste, erst recht wenn sie im Inland tätig sind, zeugen von einem tiefen Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Das sollten auch CDU und SPD aus den Erfahrungen der DDR gelernt haben.

Es gibt doch eigentlich klare Zuständigkeiten: Für kriminelle Handlungen ist die Polizei und sind im Abschluss die Staatsanwaltschaft und die Gerichte zuständig. Für die öffentliche Aufklärung über verfassungsfeindliche Bestrebungen gibt es beispielsweise eine Bundes- und die Landeszentralen für politische Bildung.

Fakt ist doch: Die diversen Geheimdienste in Deutschland haben weder die NSU-Verbrechen noch diverse Terror-Aktivitäten verhindert. Und die NPD wäre vermutlich längst verboten, wären in den Führungsetagen nicht zu viele staatlich bezahlte V-Leute aktiv. 

Sie waren bereits im Sächsischen Landtag Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission. Welche Erfahrungen haben Sie dort gesammelt?

Ich bin 1996 als bundesweit erster Abgeordneter der damaligen PDS in ein solches Kontrollgremium gewählt worden. Im Übrigen im achten Wahlgang, nachdem sechs andere Kollegen abgelehnt worden waren. Danach zogen wir vors Landesverfassungsgericht und waren erfolgreich. In der Partei gab es damals durchaus unterschiedliche Auffassungen. Einige meinten, durch unsere Mitwirkung in derartigen Gremien würden wir dazu beitragen, die Geheimdienste zu legitimieren.

Andere waren der Ansicht – dazu gehörte auch ich – wir müssten alle parlamentarischen Möglichkeiten nutzen, um Geheimdienstaktivitäten zu kontrollieren.

Dass diese Möglichkeiten wahrlich nicht üppig sind, habe ich auch in Sachsen lernen müssen. Die regierungstragende Mehrheit kann die Veröffentlichung brisanter Vorgänge behindern, die Geheimschutzregelungen erschweren den Oppositionsvertretern Zugang zu Informationen der Exekutive zu erlangen und wenn man als Abgeordneter dennoch öffentlich Aufklärung einfordert, droht einem sogar ein Gerichtsverfahren wegen Geheimnisverrat. Ich habe mich davon bislang nicht einschüchtern lassen und werde auch in Zukunft meine Kontrollfunktion engagiert wahrnehmen und will dabei auch darauf hinwirken, dass die absurde Überwachung von Abgeordneten der LINKEN endlich eingestellt wird.

Der Fall des Whistleblowers Edward Snowden hält nach wie vor die ganze Welt in Atem. DIE LINKE fordert Asyl für Snowden in Deutschland. Wie schätzen Sie die Situation ein und was versprechen Sie sich von einer Aussage Snowdens in Deutschland, sofern diese denn möglich wäre?

Ohne Edward Snowden wäre das ganze Ausmaß der Geheimdienstaktivitäten und Überwachungen von Millionen völlig unbescholtener Menschen in Europa und auch hier bei uns in Deutschland nicht mal ansatzweise öffentlich geworden. Er hat sehr viel riskiert und ist jetzt mit seiner befristeten Aufenthaltsgenehmigung in Russland in einer extrem schwierigen Lage. Ich finde, gerade Deutschland, dessen Regierungschefin ja schließlich offenbar auch durch die NSA abgehört worden ist, muss auf wirkliche Aufklärung drängen und hat eine Verpflichtung, dem derzeit einzigen Kronzeugen Schutz und einen dauerhaften Aufenthaltsstatus beziehungsweise Asyl zu gewähren. Da nicht davon auszugehen ist, dass auch nur ein einziger US-Geheimdienst-Vertreter vor dem ja nun wohl kommenden Bundestags-Untersuchungsausschuss erscheinen wird, sind die Aussagen von Herrn Snowden absolut unverzichtbar.

Die alte Bundesregierung hat bislang wenig getan, um den Überwachungsskandal aufzuklären. Wie will DIE LINKE die neue Bundesregierung dazu bringen, das Thema Überwachung nicht nur auszusitzen?

Ich befürchte, dass auch die neue Bundesregierung nur wenig Interesse hat, wirklich Licht ins Dunkel zu bringen. Die CDU traut sich sowieso nicht, der US-Regierung bei diesem Thema wirklich mal die Stirn zu bieten, Eigenständigkeit zu demonstrieren und die Befugnisse der US-Geheimdienste hier bei uns in Deutschland endlich spürbar einzuschränken. Die Unterwürfigkeit, die der frühere Bundesinnenminister Friedrich (CSU) bei seinem US-Besuch demonstriert hat, war einfach nur peinlich. Statt kritische Fragen zu stellen und verbindliche Auskünfte einzufordern, ließ er sich mit ein paar halbherzigen Absichtserklärungen für künftiges Agieren der amerikanischen Dienste abspeisen. Auch die SPD hat nach ihrem Eintritt in die Regierung wohl nur wenig Interesse an Aufklärung, zumal der jetzige Außenminister Steinmeier früher Kanzleramtschef und damit für die Geheimdienstaufsicht zuständig war. Deshalb muss es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre geben, von dem man allerdings auch keine Wunder erwarten darf. Der Abschlussbericht wird letztlich mehrheitlich beschlossen und man muss daher leider davon ausgehen, dass CDU und SPD gemeinsam dafür sorgen werden, dass kritische Bewertungen des Regierungshandelns wohl eher eine untergeordnete Rolle spielen werden. Dennoch ist der Untersuchungsausschuss notwendig, und die LINKE wird als Oppositionsführerin ihren Beitrag dazu leisten, dass dabei möglichst viel aufgedeckt werden kann.

linksfraktion.de, 16. Januar 2014