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Whistleblower schützen, Gammelfleischindustrie das Handwerk legen

Im Wortlaut von Karin Binder,

Von Karin Binder

 

 

 

Zwei Mitarbeiter eines Fleischbetriebs in Niedersachsen decken einen weiteren Gammelfleisch-Skandal auf. Sie werden bedroht und entlassen. Das zuständige Verbraucherministerium in Niedersachsen erklärt dazu: "Einen Nachweis, dass Gammelfleisch in der Produktion genutzt worden ist, gab es bisher nicht. Demzufolge gab es keine Veranlassung für Produktwarnungen oder -Rückrufe." Das wars. Der Fleischverarbeiter macht weiter wie bisher, zwei mutige Leute sind arbeitslos und die Verbraucher sind die Dummen.

Ob Gammelware in der Wurst, Pferdefleisch in der Lasagne oder Falschkennzeichnung – das System der betrieblichen Eigenkontrollen sowie schwache Behörden öffnen dem Betrug in der Fleischindustrie Tür und Tor. Hinzu kommen ein erheblicher Personalmangel bei den Lebensmittelkontrolleuren und eine fehlende Herkunftskennzeichnung bei Fleischprodukten.

Im konkreten Fall der Ekelfleisch-Panscherei in der Wurstfabrik in Bad Bentheim könnte sich das Ganze wie folgt abgespielt haben: Fleischerzeuger stellen bei den betriebseigenen Kontrollen fest, dass ein Teil der Ware nicht genießbar ist. Vielleicht wurde sie falsch gelagert oder ist mit Keimen belastet. Das Fleisch wird gesperrt und müsste eigentlich der Entsorgung zugeführt werden. Statt dessen kauft es ein Verarbeitungsbetrieb billig auf und vermischt die grünlich-stinkende Ware mit unproblematischem Fleisch. Das Gemisch wird sofort zu Wurst verarbeitet, verpackt und ins Ausland verkauft. Gelangt nicht zu viel Gammelfleisch in den Verarbeitungsprozess, werden bei den Lebensmittelkontrollen keine Grenzwerte überschritten.

Der Betrug funktioniert, weil durch Eigenkontrollen gesperrte Fleisch-Chargen nicht den Behörden gemeldet werden müssen. Die Überwachungsbehörden sind notorisch unterbesetzt und kommen mit den Kontrollen nicht nach. Eine lückenlose Kontrolle müsste zudem nach dem Vier-Augen-Prinzip, also mit zwei Kontrolleuren gleichzeitig, und in kürzeren Abständen stattfinden. Das ist derzeit völlig unrealistisch. Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure weist schon seit Jahren darauf hin, dass 3.000 Kontrolleure fehlen, um den gesetzlichen Überwachungsauftrag erfüllen zu können. Zuständig für die Lebensmittelüberwachung sind zudem die oft klammen Kommunen und Landkreise. So bleibt die Lebensmittelsicherheit auf der Strecke.

Auch beim aktuellen Gammelfleisch-Skandal ist völlig unklar, woher die verdächtigen Chargen kamen und an welche Unternehmen und Händler die gepanschte Wurst weiterverkauft wurde. Auf dem globalen Fleischmarkt gibt es keine lückenlose Herkunftskennzeichnung. Das ist ein Märchen der Hersteller. Die Unternehmen werben zwar für Qualität und Sicherheit mit dem "QS-Label". Doch nicht einmal die amtlichen Überwacher haben freien Zugang zu den Daten. Im Zweifel tappen die Behörden im Dunkeln. Noch Anfang November warnte die Fleischwirtschaft vor der Einführung einer verbindlichen Herkunftskennzeichnung für Fleischprodukte. Dies sei zu aufwändig und zu teuer. Hauptsache billig, so die Botschaft. Doch wo Massenerzeugung zu Dumpingpreisen den Ton angibt, bleiben Qualität und Verbraucherschutz auf der Strecke.

DIE LINKE fordert eine verbindliche Herkunftskennzeichnung für alle Fleischprodukte mit einem lückenlosen Nachweis in der Lieferkette. Zudem brauchen wir einen Neuanfang in der Lebensmittelüberwachung. Personal und Ausstattung müssen deutlich aufgestockt werden. Die Verantwortung für die Kontrolle großer Fleischkonzerne muss beim Bund liegen. Es kann nicht sein, dass Gemeinden und Landkreise für die Überwachung weltweit handelnder Unternehmen verantwortlich sind. Die Billgfleisch-Industrie muss deutlich strenger überwacht werden und die Kosten der behördlichen Kontrollen tragen. Alle Daten der betrieblichen Eigenkontrolle und Qualitätssicherung müssen den Überwachungsbehörden jederzeit zugänglich sein.

Und letztendlich brauchen wir sofort einen gesetzlichen Schutz für Whistleblower. Wieder einmal wurde ein Gammelfleisch-Skandal erst durch Hinweise von Mitarbeitern bekannt. Die beiden Whistleblower aus dem Betrieb in Bad Bentheim wurden bedroht und entlassen. Sie zahlen einen hohen Preis für ihren Mut, weil sich die Bundesregierung seit Jahren einem wirksamen Schutz von Hinweisgebern verweigert.

linksfraktion.de, 7. November 2013