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»Wenn wir unsere Ziele gradlinig verfolgen, habe ich keine Sorge«

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch ist sicher, dass die Koalition nach der NRW-Wahl Kürzungsvorschläge präsentieren wird. Betroffen sein werden nicht Banken und anderen Krisengewinnler, sondern Arbeitnehmer, Rentner, Familien und Alleinerziehende. Den Ausweg sieht sie langfristig in der Abwendung vom Privatisierungswahn und in der Entwicklung sozialer Innovationen.

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise sei im Abklingen, behaupten die Wirtschaftsweisen in ihren Dossiers. Sie bescheinigen, dass Deutschland vergleichsweise glimpflich davon gekommen sei. Hat die Bundesregierung die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen, um weiteren Wildwuchs auf dem Finanzmarkt Einhalt zu gebieten?

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist nur für die Banken überwunden, aber nicht für den Staat und schon gar nicht für die Bürgerinnen und Bürger. Die Banken haben ihre Schrottpapiere bei den Staaten abgeladen und damit ihren eigenen Bankrott verhindert. Sie machen jetzt schon wieder Gewinne mit hochriskanten Schrottpapieren. Gleichzeitig kämpfen die Staaten mit gigantischen Schulden.

Griechenland steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Andere Euro-Staaten kämpfen mit einer extrem hohen Staatsverschuldung. Dabei gibt es gar keinen Grund mit dem Finger auf Griechenland zu zeigen. Die Staatsverschuldung Deutschlands ist so hoch wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Die Bundesregierung hat keine Maßnahmen ergriffen, um eine weitere Finanzkrise zu verhindern. Die geplante Bankenabgabe wird die nächste Finanzkrise nicht verhindern, sondern befördern. Es ist eine einmalige Casino-Versicherung. Die Banker werden in der Gewissheit weiter zocken, dass bei einem drohenden Bankrott ein Rettungsfonds zur Verfügung steht.

Die Bundesregierung will erst nach der NRW-Wahl die »Katze aus dem Sack lassen« und offen legen, welche Konsequenzen sich aus den Haushaltslöchern, den Defiziten bei den Steuereinnahmen für die Bürgerinnen und Bürger ergeben. Wagen Sie als Fachfrau für Haushaltspolitik eine Prognose, in welche Richtung das Regierungsschiff nach dem 9. Mai steuern wird?

Aus der beschlossenen Schuldenbremse ergibt sich allein schon eine Kürzungsnotwendigkeit von 10 Mrd. Euro pro Jahr. Sollten die wahnsinnigen Steuersenkungspläne umgesetzt werden, fehlen weitere 16 Mrd. Euro pro Jahr. Wenn dann die Steuereinnahmen sinken, was anzunehmen ist, dann sind die Handlungsspielräume der Bundesregierung minimal. Herr Schäuble wird deshalb nach der NRW-Wahl seine Kürzungsvorschläge präsentieren. Klar ist, dass die Banken und anderen Krisengewinnler davon nicht betroffen sein werden. Es wird Arbeitnehmer, Rentner, Familien und Alleinerziehende Treffen.

Was wird Ihre Fraktion im Bundestag dagegen tun?

Wir werden immer wieder im Detail erklären, was diese Regierungspolitik für Konsequenzen für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger haben wird: Weniger Netto vom Brutto, mehr kaputte Straßen, weniger Geld für Bildung, mehr Kriminalität, weniger Schwimmbäder, usw. Dann ist es die Sache der Wählerinnen und Wähler, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die SPD verabschiedet sich langsam von der Agendapolitik, die ihr massenhaft Wählerabwanderung beschert hat. Sind die Zeiten der leichten Erfolge für DIE LINKE vorbei?

Die Zeiten waren nie leicht für DIE LINKE! Fast 80.000 Mitglieder, darunter über 6000 Mandatsträger, haben Jahre lang hart für die Erfolge gearbeitet. Wenn wir unsere Ziele gradlinig verfolgen und uns nicht selbst an unserer Arbeit hindern, dann habe ich keine Sorge.

DIE LINKE tritt als einzige Fraktion im Bundestag von Anfang an gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan auf. Doch nach den jüngsten Todesopfern der Bundeswehr am Hindukusch versprach Verteidigungsminister zu Guttenberg sogar bessere Kampfgeräte. Was muss getan werden, damit dieser Irrsinn gestoppt wird?

Ein bekannter SPD-Politiker und ehemaliger Verteidigungsminister sagte, dass die Bundeswehr die größte Friedensbewegung Deutschlands sei. Das ist nur wenige Jahre her. Das klingt in Anbetracht der vielen getöteten afghanischen Zivilisten und deutschen Soldaten wie Hohn. Wir brauchen wieder eine starke Friedensbewegung, die weit über die Parteigrenzen hinaus aktiv wird. Nur eine solche Bewegung kann die Bundesregierung zwingen, die Bundeswehr wieder nach Hause zu holen.

Die Bevölkerung registriert sehr wohl, dass ihre Meinung im Grunde nur noch zu den Wahlen gefragt ist. Danach - so der Eindruck- ist es den Volksvertretern egal, wer ihnen die Stimme gab. Siehe Afghanistan, Hartz IV, Gesundheitsreform, Rente mit 67, die Bespiele ließen sich fortsetzen. Brauchen wir neue Spielregeln für unsere Demokratie?

Vor allem müssen wir uns dagegen wehren, dass Politik nicht mehr gewählt, sondern bestellt wird. Die Lobbygruppen werden immer dreister. Sie greifen mit viel Geld in die Politik ein und korrumpieren Abgeordnete und Minister. DIE LINKE fordert u.a. ein Spendenverbot für Unternehmen an Parteien. Schon eine Mövenpick-Partei ist eine Mövenpick-Partei zu viel. Unsere Aufgabe ist es, die Ausdehnung demokratiefreier Räume zu verhindern, besser noch, sie zu demokratischen Räumen zu machen.

Vor wenigen Tagen veranstaltete DIE LINKE. im Bundestag eine Anhörung zum Thema: „20 Jahre Treuhand: Gestern- Heute -Morgen“. Welche Schlussfolgerungen zieht die Fraktion aus dem Treuhand-Desaster?

Die Lage in Ostdeutschland ist so schwierig, weil die Kohl-Regierung in den 90er Jahren die Weichen falsch gestellt hat. Sie wurden von Sanierung auf Privatisierung gestellt. Davon hat sich Ostdeutschland nie erholt. Die verlängerte Werkbank Ostdeutschland ist gescheitert. Ostdeutschland hat als Region nur eine Chance, wenn es neue Wege geht.

Wo sehen Sie Entwicklungspotentiale in Ostdeutschland, die für ganz Deutschland ein Gewinn wären?

Ostdeutschland hat nur eine Zukunft, wenn wir uns von dem Privatisierungswahn abwenden, wenn wir uns von den neolilberalen Wertvorstellungen trennen und wenn wir wieder in Solidarität und in das Gemeinwesen investieren. Ostdeutschland ist prädestiniert, völlig neue Wege zu gehen. Wenn es uns gelingt, mit Mut und Selbstbewusstsein soziale Innovationen zu entwickeln und in der Praxis zu testen, dann könnten wir zu wahren Schrittmachern werden.

Ich denke an neue Konzepte für eine soziale, ökologische und lebenswerte Stadt oder recycelte Konzepte für eine gesundheitliche Versorgung auf dem Land - Stichwort Gemeindeschwestern. Nichts braucht Ostdeutschland, braucht die Bundesrepublik, braucht Europa, braucht die Welt mehr als soziale Innovationen. Ich wünsche mir, dass Ostdeutschland Exportweltmeister sozialer Innovationen wird.

Ihre Fraktion setzte sich für mehr direkte Mitsprache der Bevölkerung in demokratische Entscheidungen ein. Mit welchen Themen wollen Sie besonders die jungen Menschen motivieren, sich politisch zu engagieren?

Damit sich junge Menschen mehr für Politik begeistern können, muss Politik praktischer, verständlicher, kurzweiliger und zielorientierter sein. Ich bin mir sicher, dass es viele Jugendliche gibt, die den Krieg in Afghanistan ablehnen. Sie wären sicherlich auch bereit, sich gegen den Krieg einzusetzen. Warum sie es noch nicht ausreichend tun, diese Frage müssen wir uns stellen und wir müssen sie auch bald beantworten.

www.linksfraktion.de, 27. April 2010