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Wenn regierende Aussteiger aussteigen

Kolumne von Ulrich Maurer,

Von Ulrich Maurer, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

1998 gelangten die Grünen unter Fischer mit der SPD in Regierungsverantwortung. An der Macht angelangt, kamen die Probleme. Schließlich galt es nun umzusetzen, was man vorher gesagt hatte: Atomkraft - nein danke! So beschlossen Schröder und Fischer 2001 nach langen Verhandlungen mit der Atomlobby einen Ausstieg aus der Atomkraft: Castor-Transporte sollten nur noch bis Juli 2005 durch die Bundesrepublik fahren, ein Endlager bis 2010 gefunden werden, und eine Laufzeitverkürzung der Atomkraftwerke wurde auf 32 Jahre beschränkt. Hätte die Regierung Schröder/Fischer es auch nur ansatzweise ernst gemeint, hätte sie versucht, die Laufzeitverkürzung in das Grundgesetz zu übernehmen.
2005 gab es vorgezogene Neuwahlen, die Regierung wechselte seit dem zweimal. Die Laufzeitverkürzung wurde inzwischen aufgehoben.

Erst eine Umweltkatastrophe, deren Ausmaße und Langzeitfolgen nicht abzusehen sind, bringt nun selbst die ärgsten Befürworter der Atomkraft zum Umdenken – sagen wir: zumindest solange das Thema noch aktuell ist. Konservative und Liberale bitten die Atomlobby um Verständnis, dass ob der Umfragewerte momentan so zu verfahren sei, solange es opportun sei, sich gegen Atomenergie auszusprechen. So will die Regierung eine Atomlaufzeitverkürzung auf 31 Jahre beschließen. Castoren rollen weiter, und ein Endlager ist entfernter denn je. Zehn Jahre nach dem Atomausstiegsbeschluss von SPD und Grünen unterbreiten CDU und FDP einen Vorschlag, der einen schnelleren Ausstieg vorsieht, als ihn SPD und Grüne geplant hatten. Da kann man die Frage aufwerfen, inwieweit es 2001 die Regierung überhaupt ernst gemeint hat. War es halbherzig angegangen worden oder dachten sich die Verantwortlichen, so lange würden sie sowieso nicht regieren, weshalb der Ausstieg lieber schön klingen, als ernsthaft durchdacht gewesen sein soll. Gleiches Kalkül muss man nun auch Kanzlerin Merkel unterstellen. Andernfalls dürfte es kein Problem darstellen, DIE LINKE in ihrer Forderung zu unterstützen und den Atomausstieg im Grundgesetz zu verankern. Doch der Plan lautet selbstredend: In fünf Jahren haben wir immer noch kein Endlager. Die Erstellung von Windparks verzögert sich. Atomenergie ist wieder sicher und günstiger, weshalb man doch eigentlich wieder die Rücknahme der Rücknahme fordern kann.

Ginge man konsequent, umweltbewusst und durchdacht an das Thema heran, muss man die AKW lieber gestern als heute abschalten. Wenn ich kein Endlager habe, sollte ich doch wenigstens wegen der Jahrtausend währenden Strahlung der Brennstäbe zusehen, dass kein neuer Müll anfällt. Deswegen spricht sich DIE LINKE dafür aus, die Atomkraftwerke bis 2014 komplett vom Netz zu nehmen.

Wie man es dreht und wendet, als Privatperson zahlt man jährlich mehr und mehr für Stromkosten. Die Gewinne der Energieriesen steigen, aber Großbezieher von Strom zahlen prozentual nur noch einen Bruchteil dessen, was Otto Normalverbraucher pro Kilowattstunde zu entrichten hat. Ist das die Definition von Anreiz zum Energiesparen? Die vier Energieriesen müssen entmachtet und die Stromnetze in die öffentliche Hand zurück überführt werden, damit die Bevölkerung eine Jahresstromabrechnung mit Maß erhält und keine maßlose, die sich an der Dividendenrendite der Aktionäre misst. Hartz IV-Beziehende zahlen monatlich mittlerweile im Schnitt 44 Euro für Strom, wohingegen in der Hartz IV-Berechnung nur 30 Euro zurückerstattet werden. Das ist zutiefst menschenverachtend und muss geändert werden.

Egal ob Rot-Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb: Keine Regierungskoalition hat bisher auch nur ansatzweise erklärt, wie der Wechsel zu regenerativen Energien ablaufen soll beziehungsweise wer ihn zahlen soll. Fest steht nur: keiner der vier großen Energieerzeuger. Diejenigen, die über Jahrzehnte hinweg mit einer von der Bundesrepublik hochsubventionierten und - wie von vielen erst nach Fukushima erkannt - lebensbedrohlichen Energieerzeugung Milliardengewinne eingefahren haben, zahlen nichts, außer dass sie ihre Gewinne woanders hernehmen müssen. Das ist ein Schande für alle Parteien im Bundestag, die nichts dagegen unternehmen. Wer es ernst meint mit dem Atomausstieg, ist für eine Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz, für den schnellst möglichen sozialverträglichen Ausstieg aus der Atomenergie und für eine Demokratisierung der Energieversorgung, um Strompreise zu gewährleisten, die bezahlbar für jeden und umweltverträglich sind.