Zum Hauptinhalt springen

Wenig Grund zum Feiern

Im Wortlaut von Sabine Zimmermann,

Der ostdeutsche Arbeitsmarkt 20 Jahre nach der Einheit

Von Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

1990 versprach Bundeskanzler Kohl (CDU) blühende Landschaften. Zwei Jahrzehnte später ist die Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt katastrophal. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Der Osten wurde zum Experimentierfeld für den Abbau regulärer Arbeitsverhältnisse. Vollzeitarbeit ging verloren, prekäre Beschäftigung nahm zu. Die miserablen Arbeitsverhältnisse üben Druck auf den gesamtdeutschen Arbeitsmarkt aus. Ein arbeitsmarktpolitischer Kurswechsel ist notwendig. Sabine Zimmermann dokumentiert die wichtigsten Ergebnisse der Anfrage.

Hinter der Statistik

Die Bundesregierung äußert sich zu Beginn ihrer 30-Seiten umfassenden Antwort optimistisch. Im Jahr 1990 hätte sich „die DDR in einem desolaten Zustand“ befunden. „Vor diesem Hintergrund schätzt die Bundesregierung die heutige Arbeitsmarktsituation in den fünf neuen Bundesländern insgesamt positiv ein.“ Nach tiefen Einschnitten Anfang der 1990er Jahre hätte sich die Lage „mittlerweile grundlegend verbessert“, die Arbeitslosigkeit sei von 2005 bis 2009 um 500.000 gesunken.

Allerdings: diese Entwicklung beruht nicht auf einem Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt. Mehr als ein Drittel dieser Entwicklung beruht auf einem demographischen Effekt: 186.000 Menschen mehr schieden aus Altersgründen aus der Erwerbsfähigkeit aus als Junge eintraten. Noch stärker ins Gewicht fällt die Abwanderung in den Westen. Zwar die Bundesregierung lässt die Frage dazu unbeantwortet. Doch nach Daten des Statistischen Bundesamts liegt die Zahl derer, die seit 2005 per Saldo von Ost nach West gingen, mindestens bei 250.000. Hinzukommen diejenigen, die aus den neuen Bundesländern zu einem Arbeitsplatz in die alten Bundesländer pendeln. Ihre Zahl wuchs in dem Zeitraum um 34.000 auf 400.000.

Erdrutsch bei den Vollzeitjobs

Tatsächlich entstanden in den neuen Bundesländern in der Zeit des Aufschwung nach 2005 bis zum Jahr der Krise 2009 kaum neue Arbeitsplätze, voll allem keine Vollzeitarbeitsplätze. Laut Bundesregierung nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu: um 244.251. Der Zuwachs beruht jedoch ausschließlich auf Teilzeitjobs, deren Zahl um 230.791 wuchs (+30%). Im gleichen Zeitraum gingen jedoch 128.423 Vollzeitjobs verloren (-3%). Auch im Westen boomte die Teilzeit (+19%), während die Vollzeit geringfügig zunahm (+2%), was größtenteils auf die Leiharbeit zurückzuführen sein dürfte.

Noch dramatischer wird das Bild, schaut man sich den gesamten Zeitraum seit der Wende an. Zwischen 1992 und 2009 gingen in den neuen Bundesländern 1,5 Millionen oder 27 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjobs verloren, in den alten Bundesländern 11 Prozent. Einen großen Beitrag dazu leistete - eben der Deindustrialisierung - der beispiellose Abbau von Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst. Von ursprünglich 1991 1,6 Millionen Arbeitsplätzen blieben 2009 nur noch 718.000 übrig, ein Minus von 55 Prozent! Wäre der Öffentliche Dienst im Osten in diesem Zeitraum wie im Westen „nur“ um 26 Prozent geschrumpft, gäbe es heute dort 304.000 Arbeitsplätze mehr.

Arbeitsmarkt prekär

Deutlich gewachsen ist in Ost wie West dagegen die atypische Beschäftigung, also Arbeitsverhältnisse jenseits der unbefristeten Vollzeitarbeit. Dazu zählen die befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Minijobs und eine oftmals unfreiwillige Teilzeitarbeit. Nach Angaben der Bundesregierung nahm deren Zahl von 1996 bis 2009 in den neuen Bundesländern um 402.000 auf inzwischen 1,3 Millionen zu, in den alten um 2,3 Millionen auf 6,3 Millionen.

Mit atypischer Beschäftigung gehen oft Niedriglöhne einher. Ein Mindestlohn würde vor allem dem Osten helfen. Wegen des deutlich niedrigeren Lohnniveaus gibt es hier überproportional viele Aufstocker, also Erwerbstätige, deren geringer Lohn ergänzend mit Hartz IV aufgestockt wird. Die Bundesregierung nennt die Zahl von 497.890 im Osten, 815.889 im Westen (Juni 2009). Bezogen auf die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist damit im Osten jeder 23te ein Aufstocker, im Westen jeder 63te.

Eine Kehrseite der schlechten Jobaussichten in den neuen Bundesländern: stetig steigende Pendlerzahlen. 400.000 Menschen mit einem Wohnsitz in den neuen Bundesländern pendelten 2009 zu einem Arbeitsplatz in den alten Bundesländern, umgekehrt sind es 100.000. Oder anders ausgedrückt: aus dem Osten pendelt jeder 13te Beschäftigte in den Westen, von West nach Ost nur jeder 200te.

Arbeitslos trotz guter Bildung

Auch nach 20 Jahren sind die arbeitsmarktpolitischen Problemlagen in Ost und West unterschiedlich. Die Zahlen der Bundesregierung zeigen: Langzeiterwerbslose in den neuen Bundesländern sind größtenteils gut qualifiziert. Während im Westen 62 Prozent der Erwerbslosen, die länger als ein Jahr ohne Job sind, keine Qualifikation besitzen, trifft dies im Osten nur auf 29 Prozent zu. 66 Prozent haben dagegen eine Berufsausbildung, 4 Prozent sogar einen Fach- oder Hochschulabschluss.

Kahlschlag bei der Arbeitsförderung

Mehr als bedenklich ist der Kahlschlag in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. In den neuen Bundesländern halbierten sich die Ausgaben für Arbeitsförderung zwischen 1991 und 2009 von 10,8 Mrd. Euro auf 5,4 Mrd. Euro. Bei gleichzeitig steigenden Unterstützungsleistungen fiel damit der Anteil der aktiven Arbeitsmarktpolitik an den Gesamtausgaben des Bereiches Arbeitsmarkt von 70 Prozent auf 38 Prozent. Und nun will die Bundesregierung eine weitere Sparrunde einläuten.

Fazit: Für eine Arbeitsmarktwende

Im 20. Jahr der Deutschen Einheit ist die Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt ernüchternd. Das Versprechen von den blühenden Landschaften ist uneingelöst.

Schlechte Arbeitsverhältnisse sind nicht allein ein Problem der Menschen in den neuen Bundesländern. Der gesamtdeutsche Arbeitsmarkt steht unter Druck. Erwerbslose und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ost wie West haben ein gemeinsames Interesse an einem arbeitsmarktpolitischen Kurswechsel.

Gute Arbeitsmarktpolitik heißt: Die Hartz-Gesetze gehören vom Tisch. Leiharbeit und Minijobs sind zu beschränken statt zu fördern. Wir brauchen eine Arbeitslosenversicherung, die diesen Namen verdient, statt dem schnellen Absturz in Hartz IV. Der Zwang, jede auch noch so schlechte Arbeit anzunehmen, gehört abgeschafft, ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. Wir brauchen ein großangelegtes Investitionsprogramm, um Millionen neue, reguläre Arbeitsplätze zu schaffen.
Ziel muss es sein, das Normalarbeitsverhältnis mit gesichertem Arbeitsplatz und guter Entlohnung zu schützen und auszubauen.

Jüngste Beschlüsse der Bundesregierung zu Hartz IV, Leiharbeit und Sparpaket weisen aber in eine andere Richtung. Dagegen muss es Widerstand geben. Deshalb sind die Herbstproteste so wichtig.