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Weichen stehen auf Privatisierung

Im Wortlaut,

Nach Krankenkassendefizit geht es um Zusatzbelastungen der Versicherten

Von Silvia Ottow

Im nächsten Jahr herrscht Ebbe bei den gesetzlichen Krankenkassen. Das Bundesversicherungsamt schätzt das Defizit auf 7,8 Milliarden Euro. Ein passender Auftakt für die Koalitionsverhandlungen in Sachen Gesundheit und guter Grund für alle möglichen Spekulationen darüber, wie es weitergehen soll.

Nach der Defizitwarnung des Schätzerkreises sind die Forderungen, allen voran der Liberalen und eines Teils der Christsozialen, nach Abschaffung des Gesundheitsfonds lauter geworden - so als fräße dieser die Gelder von Versicherten, Arbeitgebern und Steuerzahlern. Die CDU, deren Chefin Angela Merkel viel zu seinem Zustandekommen beitrug, will das Verlegenheitskonstrukt nicht antasten. Der Konflikt ist programmiert und Arbeitsgruppenleiterin Ursula von der Leyen (CDU), die als zukünftige Gesundheitsministerin gehandelt wird, nicht zu beneiden.

Um die Finanzlücke zu schließen, sind mehrere Varianten im Gespräch: mehr Steuergelder, die Erhöhung des einheitlichen Beitragssatzes, Zusatzbeiträge bei den Krankenkassen und nicht zuletzt die Umstrukturierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu einem privaten System. In diesem sichert nach dem Willen der Liberalen ohne die Beteiligung der Arbeitgeber jeder Versicherte ein minimales Krankheitsrisiko mit einer Pauschale ab. Alles darüber hinaus Notwendige läuft über Zusatzversicherungen oder wird beim Arzt bar bezahlt, wenn es nicht aus Mangel an Geld ganz seingelassen werden muss.

Die Krankenkassen präferieren eine Erhöhung des Steuerzusatzes, mahnen aber gleichzeitig Entscheidungen über die Einnahmeseite der Kassen an. Dies könnte auch eine Erhöhung des allgemeine Beitragssatzes sein, der in Kürze von der Bundesregierung für das nächste Jahr festgelegt werden muss. Momentan beträgt er 14,9 Prozent. Der Vorteil dieser Maßnahme läge darin, dass auch die Arbeitgeber ihren Anteil zum Beheben dieses Defizits leisten müssten. CDU-Gesundheitspolitikerin Anette Widmann-Mauz achtet eher darauf, ihre Klientel, die Arbeitgeber, zu schonen. Sie schlug vor, dass zunächst einmal die Krankenkassen die Möglichkeit ausschöpfen, Zusatzbeiträge von ihren Versicherten zu verlangen. An diesen wären Arbeitgeber nämlich nicht beteiligt. Die FDP setzt noch eins drauf und will die Deckelung dieser Zusatzbeiträge bei einem Prozent des Bruttoeinkommens aufheben. Im Klartext: Versicherte können zusätzlich zum Krankenkassenbeitrag in unbegrenzter Höhe zur Kasse gebeten werden.

Sozialverband VdK, Volkssolidarität und Paritätischer Wohlfahrtsverband sind sich in der Zurückweisung der alleinigen Belastungen der Versicherten einig. Gesundheit dürfe nicht zum Luxusgut werden und eine weitere Privatisierung sei nicht hinnehmbar, heißt es da. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach befürchtet, infolge der Privatisierungswut der FDP könnten Krankengeld oder Zahnersatz vollkommen aus der GKV ausgegliedert werden. Es sei aber kein Platz für weitere Belastungen der Versicherten. Auch der Vizechef des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, forderte, die Beitragszahler nicht zu überfordern. Der Chef des Ersatzkassenverbands vdek, Thomas Ballast, plädiert für stärker steigende Steuerzuschüsse, Einsparungen bei Ärzten, Kliniken und Arzneien sowie eine Anhebung des Beitragssatzes für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Doris Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, will die Ausgabenseite ins Blickfeld rücken. »Angesichts der dramatischen Einnahmeausfälle der Gesetzlichen Krankenversicherung dürfen die Einnahmen der Pharmaindustrie, der Krankenhäuser und der Ärzte nicht ungebremst steigen.«

Auf der Seite der Industrie beeilt man sich indessen mit der Versicherung, die Medizinpreise würden entgegen aller Behauptungen sinken und ein weiterer Preiswettbewerb ruiniere die Branche. Keine Chance also für Einsparungen.

Neues Deutschland, 8. Oktober 2009