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VOR 20 JAHREN: Weltfrauenkonferenz in Peking

Periodika,

Welche Erwartungen gab es, welche Forderungen, was ist geblieben? Die Pekinger Aktionsplattform bleibt ein Grundpfeiler für die Gleichstellung der Frauen, sagt die Menschenrechtlerin Marion Böker.

Die Erwartungen an die Pekinger UN-Weltfrauenkonferenz waren so hoch wie angemessen. Die Realität der Rechte und Lage von Frauen war 1993 bis 1995 so unzureichend, unerträglich, unzulässig wie heute immer noch, selbst wenn es partielle Verbesserungen gibt. So viel politische Kritik es am Austragungsort China und der räumlichen Distanz zwischen dem Pekinger Treffen der Staaten und dem Vorort Huairou für die NGO-Frauen gab, so sehr die Ergebnisse dann hinter NGO-Erwartungen zurückfielen: Die Vereinbarungen, und das wird nun die 59. Frauenrechtskommission im März in New York beschließen, gelten und sind abzuarbeiten. Regionen wie etwa die EU und AU haben spezielle Entschließungen dazu. Ein großer Teil der Staaten und Zivilgesellschaften arbeiten an der Umsetzung, auch wenn uns Aktivistinnen Geduld
und Verständnis fehlen, weil die Regierungen zu langsam arbeiten. Wir wussten, es gibt ideologische, politische Hindernisse. Wir haben Strategien erörtert, wie jene angegangen werden könnten, die sich gegen Geschlechter und jede andere Gerechtigkeit stemmen, um sich selbst durch Hierarchien ihre Privilegien und Macht zu erhalten.

Die UN-Konferenz hat eine nie dagewesene Anzahl von NGOs und ihren Vertreterinnen
mobilisiert und zu einem einzigartigen, vielstimmigen Lernort zusammen geführt: Das wirkt bis heute. Viel interkulturelle Kompetenz wurde erarbeitet, um zu verstehen, wie Frauenrechtsinhalte gleichzeitig in sehr unterschiedlichen Gesellschaften und politischen Kontexten umsetzbar sein können. Viele der globalen Verstrickungen der Macht konnten aus Frauensicht beleuchtet und Lösungen oder Strategien diskutiert werden. Das Verbindende und ein Konsens konnte meist formuliert werden. Wichtig war der persönliche Kontakt. Mit Huaroui waren die Frauen in Münster, Lima, Harare, Taipeh, Moskau, Rabat, Anchorage, Bangkok oder Jakarta erstmals digital durch E-Mail dabei. Die zu Hause Stationierten transportierten Inhalte, Forderungen und Ergebnisse in die lokale Öffentlichkeit. Dadurch war Interaktion, mehr Teilhabe und Einflus möglich.

Über vier Überprüfungskonferenzen und 20 UN-Frauenrechtskommissionen hinweg halten viele Kontakt. Diese Netzwerke sind ein er(n)ster Machtfaktor. Längst stehen neue Themen und weitergehende Maßnahmen auf der Liste. Die Solidarität und das Bewusstsein, eine NGO-Gemeinschaft zu sein, die für eine ökonomisch, ökologische und friedliche Welt, für die Bearbeitung historischer Konflikte und globale Gerechtigkeit auch in anderen UN-Konferenzen antritt, wurde hier gestärkt, gegenseitiges Empowerment erlebt. Nicht wenige, etwa die chinesischen Delegierten – was am Ende doch für den Ort sprach –, gründeten wichtige NGOs, kandidierten, wurden Parlamentarierinnen, stehen Staaten, Firmen oder Institutionen vor, änderten ihr Leben und das anderer. Nicht alle wurden dafür gefeiert. Manche zahlen ihren Preis. Manchen Staaten und Gruppen kündigte sich hier zu viel Kraft, Dynamik und Veränderung an. Von dort kommt Gegenwind. Dazu gehört die Ablehnung einer neuen UN Frauenrechtskonferenz, die endlich neue Generationen und Themen über eine unabhängige, neue Vereinbarung einbinden müsste. Zentral ist die vereinbarte Maßnahme des Gender Mainstreamings: Geschlechtergleichstellung als verbindliche Querschnittsaufgabe sollen die Regierungen national, in Regionen und Kommunen, in allen Ressorts und Sektoren, einschließlich der Haushaltspolitik (Gender Budgeting) umsetzen. Bis heute ist diese strukturelle, systemische Weichenstellung nicht effektiv erfolgt. Davon haben wir uns viel versprochen. Es ist die Voraussetzung, damit die Maßnahmen der zwölf Aktionsbereiche Wirkung entfalten können. Die Abwehr ist so groß, wie es ihre Wirkung wäre.

Gemeinsam war die Hoffnung, dass die Staaten zu dem stehen, wozu sie sich verpflichten. Erwartet wurde nicht, dass nach 20 Jahren die egalitäre Partizipation von Frauen aller Altersgruppen in den Entscheidungsebenen von Politik, Wirtschaft und Finanzmarkt so niedrig ausfällt. Ohne Naivität war und ist die Erwartung da, dass Mädchen heute global Zugang zu Bildung und (reproduktiver) Gesundheit haben, dass Armut unnötig ist und daher beendet wird, Nahrung, Sozialversicherungen, ein würdiges Existenzminimum für alle organisiert wird, dass der Lohnunterschied beseitigt ist, dass Frauen in bewaffneten Konflikten nicht nur besser geschützt sind, sondern auch in größerer Anzahl als Entscheiderinnen aktiv Krieg vermeiden, dass die Kriterien politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen sich ändern, Menschenrechte Maßstab sind.

Alle wussten, dass der Aushandlungsprozess wie die Umsetzung einen langen Atem erfordert. Den haben die meisten. Auch einige Akteure und Akteurinnen in Regierungen. Es lohnt sich, die Verpflichtungen der Staaten von 1995 und 2000, die „Blaue Bibel der UN“, zu lesen, sich nicht beirren zu lassen und an der Umsetzung mitzuwirken.

Marion Böker ist Beraterin für Menschenrechte und Genderfragen. Sie arbeitet in NGOs mit, ist im Vorstand der International Alliance of Women (IAW) und Vorsitzende des Ausschusses für Internationale Arbeit des Deutschen Frauenrings e.V.

Informationskasten
4.Weltfrauenkonferenz Peking 4.-15. 9. 1995
° verabschiedet wurde die Aktionsplattform zur Förderung der Geschlechtergleichstellung
° die 189 Staaten nahmen das Programm einstimmig an und verpflichteten
sich zur Umsetzung der Pekinger Erklärung
° auch Deutschland unterschrieb sie, verpflichtete sich damit, deutschlandweit
und international die Gleichstellung der Geschlechter umzusetzen