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Versagen auch bei der Polizei

Nachricht,

Berlin, Keupstraße und Spur in die Schweiz als Thema im NSU-Ausschuss

Von Gerd Wiegel

Nachdem die letzte Woche im NSU-Untersuchungsausschuss ganz im Zeichen der Pannen, Fehler und Abgründe des Verfassungsschutzes stand (vgl. http://linksfraktion.de/nachrichten/fahrdienst-nazis/), zeigte sich in dieser Woche, dass es die Polizei in vielen Fällen auch nicht besser gemacht hat. Im Sommer 2012 wurde bekannt, dass das LKA-Berlin über viele Jahre einen engen Weggefährten des Trios Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt als V-Mann geführt hatte – Thomas Starke. Starke war in den neunziger Jahren kurzzeitig mit Beate Zschäpe liiert, er hat dem Trio den Sprengstoff besorgt der in Jena in der Garage gefunden wurde und der zum Abtauchen des Trios führte und Starke war es, der dem Trio nach der Flucht die erste Unterkunft in Chemnitz besorgte. Im Jahr 2000 wird Starke vom LKA-Berlin als V-Mann geworben, es geht um das Verfahren gegen die Blood&Honour Band „Landser“. Zwischen 2001 und 2005 gibt Starke fünf Hinweise mit mehr oder weniger deutlichem Bezug zum NSU, die jedoch samt und sonders ohne jede Auswirkung bleiben, weil das Berliner LKA die Informationen nicht an die zuständige Thüringer Polizei weitergibt. Am 13.2.2002 spricht Strake von drei abgetauchten Thüringern die mit Haftbefehl gesucht würden und für die Jan W. Waffen besorgen solle. „Thüringen“, „Haftbefehle“, „Waffen“ – diese Stichworte reichen nicht aus, um beim LKA-Thüringen mal nachzufragen, ob hier drei gesuchte Straftäter bekannt sind. Weder der V-Mann-Führer von Starke, noch der ehemalige LKA-Leiter Haeberer, geschweige denn der Staatssekretär des Inneren Krömer konnten die Frage beantworten, welchen Nutzen solche Informationen haben, wenn sie ungenutzt liegen bleiben.

Sieht man sich die Informationen an, die der V-Mann in Bezug auf das Trio gab, dann wird deutlich, dass sie weitgehend veraltet sind. Während die Quelle 2002 angibt, Jan W. solle Waffen für abgetauchte Thüringer besorgen (das war im Herbst 1998 aktuell), sitzt dieser in Moabit im Knast. Das LKA hat sich keine Mühe gegeben die Information zu überprüfen, man hat sie lieber gleich beiseitegelegt und Starke brav weiter bezahlt.

Spätesten seit März 2012 wusste das Land Berlin und der Innensenator Henkel von dem brisanten V-Mann des LKA aus dem direkten Umfeld des Trios, dennoch wurde der Untersuchungsausschuss über diese wichtige Information erst im September 2012 informiert. Transparenz und Offenheit, wie sie Bundeskanzlerin Merkel als Konsequenz aus dem NSU-Desaster versprochen hatte, sehen sicherlich anders aus. Parallel wurde bekannt, dass auch in Berlin Akten zum Thema Rechtsextremismus „versehentlich“ geschreddert wurden. Aussortiert wurden diese Akten schon im September 2011, also deutlich vor der Aufdeckung des NSU. Ein Teil sollte vernichtet, ein anderer dem Landesarchiv zugeführt werden. Durch eine Verwechselung wurden die falschen Akten geschreddert, konnten jedoch weitgehend rekonstruiert werden. Auf die Idee, die im September 2011 aussortierten und noch nicht vernichteten Akten nach der Entdeckung des NSU noch einmal zu kontrollieren, ist man in Berlin nicht gekommen. Noch viel weniger auf einen generellen Vernichtungsstopp zu allen Akten aus dem Bereich Rechtsextremismus.

Bombenaschlag in der Keupstraße und die Spur in die Schweiz

Am 25. April standen Zeugen zum Anschlag in der Keupstraße im Jahr 2004 auf dem Programm des Untersuchungsausschusses, dazu ein Zeuge zur Spur des Trios in die Schweiz.
Der Anschlag des NSU in der Keupstraße aus dem Jahr 2004 hatte die deutlichste Handschrift eines Nazianschlags, selbst das Bundesamt für Verfassungsschutz verglich ihn sofort mit Anschlägen der britischen Nazitruppe Combat 18. Zweimal war dieser Anschlag schon Thema im Ausschuss gewesen und auch am Donnerstag zeigten sich weitere Pannen und Fehler der polizeilichen Ermittlungen, die kaum zu fassen sind. Wie dem Ausschuss durch die Zeugenaussage eines Anwohners der Keupstraße bekannt wurde, waren direkt nach dem Anschlag sofort zwei Polizisten am Tatort, die in der Nähe auf Streife waren. Diese Polizisten wären für die damaligen Ermittlungen enorm wertvolle Zeugen gewesen, denn sie hielten sich in der Stunde vor dem Anschlag in der benachbarten Schanzenstraße auf, eben jener Straße, in der sich auch Mundlos und Böhnhardt vor der Tat aufhielten. Bekannt ist das, weil die Täter in der Schanzenstraße mehrfach von einer öffentlichen Kamera des Senders VIVA aufgenommen wurden. Die beiden Polizisten bewegten sich in einem anderen Teil dieser Straße, dennoch ist es äußerst wahrscheinlich, dass sie den mit Fahrrädern ausgestatteten Tätern begegnet sind. Heute, neun Jahre später, haben beide natürlich keine Erinnerung mehr an mögliche Radfahrer. Umso unerklärlicher, dass sie damals nicht sofort als Zeugen vernommen wurden. Wie beide im Ausschuss versicherten, wurden sie nie nach ihren Beobachtungen gefragt, noch wurden ihnen die Auszüge der VIVA-Kamera mit den Bildern der Täter gezeigt.

Schließlich ging es am Nachmittag um eine Spur des Trios in die Schweiz und die Frage, wie dieser Spur nachgegangen wurde. Im Frühjahr 1998 registrierte die Polizei mehrere Anrufe auf das Telefon des NSU-Helfers Jürgen Helbig, die von Mundlos bzw. Böhnhardt stammten. Einer dieser Anrufe kam aus Concise in der Schweiz. Zur Abklärung wurde das BKA eingeschaltet und dessen Verbindungbeamter in der Schweiz machte die entsprechende Telefonzelle ausfindig. Mehr aber auch nicht. Obwohl bekannt war, dass es sich um abgetauchte Nazis handelte ging man nicht der Frage nach, was diese in die Schweiz führen könnte und welche Kontakte sie hier haben könnten. Also ermittelte man auch nicht, was die MitarbeiterInnen des Untersuchungsausschusses zu Tage förderten: Am 11. April 1998, dem Tag des Anrufs, fand in Concise ein Blood&Honour-Konzert statt, das von Hammerskinks und Combat 18 Anhängern organisiert wurde und unter dessen ca. 300 Besuchern auch deutsche Nazis waren. Kontakte, Spuren, Fluchtwege – all das wurde vom BKA-Beamten nicht ermittelt, ein Bild das nun schon zur Gewohnheit geworden ist.

Fazit dieser Woche im Ausschuss: Nicht nur der Verfassungsschutz hat im NSU-Fall versagt. Immer wenn es drauf ankam hat auch die Polizei entscheidende Fehler gemacht. Hätte es sich bei den Gesuchten nicht um Nazis sondern um bombenbastelnde Islamisten gehandelt, das Engagement wäre sicherlich größer gewesen.

Die letzten öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses finden am 13. und 16. Mai 2013 statt.
 

linksfraktion.de, 26. April 2013