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Verletzbarkeit der Errungenschaft »Bürgerrechte«

Im Wortlaut von Michael Schlecht,

        Foto: iStockphoto/UygarGeographic

Von Michael Schlecht

 

Ferrostaal ist wohl nur der Anfang einer großen Enthüllung. Der Essener Industriedienstleister verlor vor vielen Jahren eine Ausschreibung. Es ging um einen Großauftrag für Funküberwachungssysteme in Nigeria. Ein US-Unternehmen war auch interessiert – und gewann. So sind Ausschreibungen nun mal, konnte man damals denken. Der Beste bekommt den Zuschlag. Doch heute sind wir schlauer. Nicht das bessere Angebot gewann, sondern die US-Industriespionage. Der Geheimdienst NSA hatte das Ferrostaal-Angebot abgefangen und dem amerikanischen Konkurrenten die Daten geliefert. So war es leicht, die Ferrostaal-Preise knapp zu unterbieten.

Ferrostaal ist kein Einzelfall. Wirtschaftsspionage gibt es täglich im großen Stil. Dank Edward Snowden erfahren wir nun auch Details. Man darf gespannt sein auf die ersten wirklich großen Fälle des elektronischen Wirtschaftskrieges. Vermutlich kommen erst dann die US-Geheimdienste richtig an den Pranger. Das Unternehmen Ferrostaal jedenfalls eignet sich kaum für moralische Entrüstung, weil es selbst zwielichtig handelt. Ende 2011 sind zwei Manager wegen Bestechung schuldig gesprochen worden. Sie hatten insgesamt 62 Millionen Euro an Regierungsbeamte in Griechenland und Portugal gezahlt, um U-Boot-Aufträge zu bekommen. Ferrostaal wurde zu einem Bußgeld von 140 Millionen Euro verurteilt. Zynisch meinte kürzlich ein US-Geheimdienstler, die NSA-Überwachung sei eine Antwort auf die deutsche Bestechung.

Im Interview mit der ARD erwähnt Edward Snowden Siemens. Vielleicht ein Hinweis auf die nächste Enthüllungsstory: einer der größten deutschen Technologiekonzerne als Objekt der US-Industriespionage. Spätestens dann müsste der Bundesverband der Deutschen Industrie eigentlich heftig protestieren. Aber kann er das glaubwürdig tun? Denn auch Siemens war (und ist womöglich immer noch) eine Bestechungsmaschine. Die US-Regierung hätte leichtes Spiel, wenn ausgerechnet Siemens plötzlich nicht mehr Täter, sondern Opfer wäre. Insofern ist zu hoffen, dass die Journalisten, denen Snowden das NSA-Material übergeben hat, demnächst die Fälle publizieren, die eine Welle der Empörung tatsächlich tragen.

Verlogenheit gehört in der internationalen Geschäftswelt genau so zum ABC wie in der Welt der Geheimdienste und der Regierungen. Auch die Bundesregierung gehört zu diesem Club. Ein lautstarker Protest gegen den US-Überwachungsterror wäre eine lächerliche Geste, weil Bundesnachrichtendienst und NSA seit Jahrzehnten eng kooperieren. Die Bundesregierung duldet nach wie vor die flächendeckende Überwachung der elektronischen Kommunikation in Deutschland. Sie tut nichts, um den permanenten Bruch des Grundgesetzes zu verhindern. Bislang gibt es trotz des Verdachts massenhafter und schwerwiegender Verletzung deutscher Gesetze keine Ermittlungen und keine Anklagen wegen geheimdienstlicher Tätigkeit.
Die NSA-Affäre offenbart, wie verletzlich die Errungenschaft ist, die sich Bürgerrechte nennt. Sie zeigt, dass Verfassungen und Grundgesetze systematisch ausgehöhlt werden. Und sie lässt erkennen, wer der Herr und wer der Vasall ist. Obwohl die US-Regierung jeden Tag deutsche Gesetze verletzt, bleiben Merkel und Gabriel kleinlaut und gefangen in einer von den USA abhängigen Staatsräson.

DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, das Grundgesetz zu schützen und auch gegen US-Behörden voll zur Geltung zu bringen. Nicht das Interesse der USA ist unantastbar, sondern die Würde des Menschen.

DIE LINKE verlangt, dass die NSA-Affäre mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aufgeklärt wird. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss muss so früh wie möglich seine Arbeit aufnehmen und aussagefähige Zeugen laden. Edward Snowden sollte umfassend Stellung nehmen können.

linksfraktion.de, 31. Januar 2014