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"Vereinfachung des Leistungsrechts im SGB II – Bund-Länder-Arbeitsgruppe"

Nachricht von Katja Kipping,

Hintergrundinformationen von Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

1. Worum geht es eigentlich bei der Bund-Länder-Arbeitsgruppe?

Am 28./29. November  2012 hat die 89. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder (ASMK) in Hannover mehrheitlich beschlossen, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Leistungsrechts – einschließlich des Verfahrensrechts – im SGB II einzurichten.
Die konstituierende Sitzung fand im Juni 2013 in Berlin statt. 

Zu den Teilnehmenden gehören das BMAS (ggf. auch andere Ressorts), die Länder und darüber hinaus die Bundesagentur für Arbeit (BA), die kommunalen
Spitzenverbände, also der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städtetag und der
Deutsche Städte- und Gemeindebund, sowie der Deutsche Verein für öffentliche und
private Fürsorge. Neben der Einbeziehung des Bundessozialgerichts wird auch anderen Institutionen eine Beteiligung an der inhaltlichen Arbeit angeboten (bislang z.B. dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit).

Bislang gab es eine umfangreiche Sammlung von Vorschlägen der Bundesländer, der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesagentur für Arbeit und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (ein Dachverband von Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Trägern der Wohlfahrtspflege).

Möglich ist, dass die bisherigen "konsensualen" Punkte (Punkt 2.3) später in Gesetzeswerk gegossen werden. Unklar ist, ob die Bundesregierung  auch Vorschläge aufgreifen wird, die in dieser AG keine einhellige Zustimmung gefunden haben. Ein derartiges Vorgehen würde zwar den Sinn der AG konterkarieren, ist aber angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem  SGB II nicht auszuschließen.

Vorschläge zur Vereinfachung des Leistungsrechts im SGB II sind mit kurzen Hinweisen zum jeweiligen konkreten Inhalt und zu drei durchgeführten Workshops der Bund-Länder Arbeitsgruppe in dem nicht öffentlichen "Bericht über die bisherigen Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts - einschließlich des Verfahrensrechts - im SGB II (AG Rechtsvereinfachung im SGB II) vom 4. September 2013" dokumentiert. harald-thome.de/media/files/ASMK-Rechtsvereinfachungen-SGB-II---27.09.2013.pdf
 

2. Was sind die Kritiken?

2.1 Intransparentes Verfahren

Die Vorgehensweise und bisherigen Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sind bisher weder der Öffentlichkeit noch den Abgeordneten des Deutschen Bundestages übermittelt worden. 

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) schreibt am 17.02. 2014 auf eine diesbezügliche Anfrage von Sabine Zimmermann, MdB, Fraktion DIE LINKE:

"Um die gleichberechtigte und offene Arbeitsweise auf Fachebene in der AG Rechtsvereinfachung zu gewährleisten, werden die eingebrachten Änderungsvorschläge, die Voten und Protokolle grundsätzlich vertraulich behandelt."

Es soll also auch nicht bekannt werden, welche Institution welche Vorschläge mit welcher Begründung einbringt.   Auch eine von der Fraktion DIE LINKE geforderte Berichterstattung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages durch das BMAS am 12. März 2914 brachte keine Klarheit. Berichtet wurde zwar, dass im 1. Halbjahr 2014 ein Abschlussbericht der Bund-Länder Arbeitsgruppe fertig sein soll. Ob dieser veröffentlicht wird, wurde nicht erwähnt, auch nicht welche Bedeutung dieser für die Bundesregierung hat. Ganz nebenbei wurde erwähnt, dass statt der bisher bekannten drei Workshops der Bund-Länder Arbeitsgruppe bereits acht Workshops stattgefunden hätten. Eine Angabe wozu und mit welchen Schwerpunkten und Ergebnissen erfolgte nicht.          

Ein intransparentes Verfahren höchsten Grades.

2.2 Undemokratisches Verfahren

Grundsätzlich ist zu kritisieren, dass weder Gewerkschaften noch die Vertreter/-innen der von Erwerbslosigkeit und Hartz IV Betroffenen in den Diskussionsprozess eingebunden worden sind.  

Die von Erwerbslosigkeit und Hartz IV Betroffenen erleben tagtäglich die Bürokratie des Repressionssystems Hartz IV und könnten ihre Erfahrung und ihren Sachverstand einbringen. Dies ist scheinbar nicht gewollt. Das trifft ebenso für die Nichtbeteiligung der Opposition an dem Diskussionsverfahren zu. Sie soll offensichtlich mit entsprechenden Anträgen im Deutschen Bundestag vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

Demokratische Prozesse sehen anders aus.        

2.3 Beispiele für bisherige Konsenspunkte

Die bisher bekannt gewordenen Konsenspunkte beinhalten Verschlechterungen und einige kleine Verbesserungen für die von Hartz IV Betroffenen.

Beispiel Verschlechterungen:

Das Bundessozialgericht hat festgestellt, dass der Ausschluss einer rückwirkenden Korrektur von zu geringen Leistungsansprüchen (im Sinne höherer Leistungsansprüche) nur möglich ist, wenn eine bundeseinheitliche Rechtsauslegung aller Jobcenter die geringeren Leistungsansprüche nach bisherig geltendem Recht rechtfertigte (Urteil B AS 118/10 R). Die neue von der Bund-Länder-AG vorgeschlagene "konsensuale Vereinfachung" möchte diese klare Aussage umgehen. Sie macht rückwirkende Korrekturen nur nach vorherigem Widerspruch gegen die zu geringe Leistung möglich. Das heißt zum Beispiel: Wer von einem bestimmten Jobcenter zu gering festgelegte Kosten für die Unterkunft erhielt (eine nicht bundesweit einheitlich geregelte Leistung), erhält rückwirkend nach einer Korrektur dieser falschen Festlegung nur dann den rechtswidrig vorenthaltenem Leistungsbetrag, wenn er schon zu Beginn der Leistung einen Widerspruch eingelegt hatte.

Beispiele für kleine Verbesserungen:

  • Abschaffung des Zusammentreffens von Sanktionen und Aufrechnungen (zum Beispiel von Erstattungsansprüchen) um eine sehr hohe Minderung der Leistungen zur Existenzsicherung zu vermeiden. Dies ist zwar ein minimaler richtiger Schritt. ABER: Leistungskürzungen sind grundsätzlich grundrechtswidrig, weil sie dazu führen, dass das Existenzminimum nicht gewährleistet wird.
  • Der Bewilligungszeitraum für die Grundsicherung soll von 6 auf 12 Monate erweitert werden.


2.4 Beispiele für skandalöse Vorschläge

Skandalöse Vorschläge finden sich großer Menge in dem Katalog der diskutierten Rechtsvereinfachungen. Sie laufen alle auf Sozialabbau und Abbau von Grundrechten derjenigen hinaus, die Hartz IV beziehen. Auch wenn diese Vorschläge (bislang noch) nicht zu den konsensualen Änderungsvorschlägen gehören oder bisher mehrheitlich abgelehnt worden sind, ist äußerste Vorsicht geboten. Der eine oder andere Wunsch könnte auch in Form einer "Überraschungsgesetzgebung" am Ende doch noch realisiert werden.

Vier Beispiele:

  • Vorschlag der Bundesagentur für Arbeit:
    Der Mehrbedarf für Alleinerziehende soll nur noch denjenigen zugestanden werden, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder an einer Maßnahme zur beruflichen Eingliederung teilnehmen.
    Hintergrund ist die Einschätzung, dass die lange Verweildauer von Alleinerziehenden im Leistungsbezug durch die Möglichkeit des Mehrbedarfs verursacht ist. Die lange Verweildauer hat aber andere Gründe: prinzipiell nicht ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen für alle, die eine Erwerbsarbeit suchen, erst recht nicht für Alleinerziehende, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind, fehlende Zugänge zu Kindertagesstätten, keine Unterstützung bei der Betreuung und Erziehung durch Partner/-innen(einkommen) usw. usf.
      
  • Vorschlag der Bundesagentur für Arbeit:
    Es soll eine vorläufige Leistungseinstellung gesetzlich verankert werden, wenn sich Leistungsbeziehende trotzt dreimaliger Aufforderung nicht beim Jobcenter melden. Nicht einmal erwähnt wird die zwingende Voraussetzung einer solchen Leistungseinstellung, nämlich die Einräumung des Rechts auf eine Anhörung des Leistungsbeziehenden. Eine automatische Leistungseinstellung ohne Anhörungsmöglichkeit würde rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügen.
     
  • Vorschlag der Bundesagentur für Arbeit:
    Das Bundeszentralamt für Steuern solle ermächtigt werden, grundsätzlich Daten über Internethandel und damit verbundene Einnahmen von Leistungsbeziehenden zu erfassen (also Internetseiten wie ebay diesbezüglich auszuwerten) und den Leistungsträgern weiterzugeben, damit entsprechende Anrechnungen und Rückforderungen durchgeführt werden können. Mit der routinemäßigen und anlasslosen Ermittlung werden Grundrechte ausgehebelt. Der anlasslose Datenabgleich ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.    
     
  • Vorschlag von Sachsen-Anhalt:
    Selbständige sollen nur noch 24 Monate einen (ergänzenden) Leistungsanspruch haben.
    Vorschlag Sachsen und Rheinland-Pfalz:
    Sachsen – Einführung einer Gebühr für Klagen der Betroffenen Rheinland-Pfalz – Einführung einer Gebühr für Klagen und Widersprüche der Betroffenen (z. B. 20 Euro).