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Verbrannte Seele auf dem Bebelplatz

Periodika,

Eine aus den Flammen der Nazi-Bücherverbrennung gerettete Novelle von Stefan Zweig präsentierte Beate Klarsfeld bei der Veranstaltung »Lesen gegen das Vergessen« in Berlin.

 

Vorsichtig gleiten die Hände der in Berlin geborenen Journalistin Beate Klarsfeld in die weißen Handschuhe. Den angespannten Gesichtszügen der 73-Jährigen kann jeder der Anwesenden auf dem Berliner Bebelplatz an diesem 10. Mai 2012 ansehen, dass etwas Außergewöhnliches passieren wird. »Das Buch, das ich hier in den Händen halte, ist die verbrannte Seele von Stefan Zweig«, sagt Beate Klarsfeld zum Abschluss ihres Auftritts beim »Lesen gegen das Vergessen« und zieht die Aufmerksamkeit der etwa 100 Gäste der Veranstaltung auf das halb verkohlte Buch von Stefan Zweig. Es ist die Novelle »Amok«, und sie gehört zu den Werken, die Nazis am 10. Mai 1933 an selber Stelle in die Flammen warfen.

Die Bundestagsfraktion DIE LINKE lädt seit mehreren Jahren zum »Tag des freien Buches« ins Zentrum der Hauptstadt, um am Originalschauplatz gegen das Vergessen zu lesen und an jene zu erinnern, die damals verfolgt, verhaftet oder gar getötet wurden. »Wir gedenken der Opfer, die diese Bücher geschrieben und gelesen haben«, erklärt die in Paris lebende Journalistin Beate Klarsfeld. Sie war von der Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch erneut für die Veranstaltung auf dem Bebelplatz eingeladen worden. Ebenso wie die fast 102-jährige Schriftstellerin Elfriede Brüning, eine der letzten Zeitzeuginnen, und der Schöpfer des Denkmals zur Erinnerung an die Bücherverbrennung, Micha Ullman aus Israel.

Die Geschichte des Buchs habe die Leute sicher interessiert und wohl fasziniert, meinte Beate Klarsfeld hinterher. Die Kandidatin der Partei DIE LINKE für das Amt der Bundespräsidentin hatte das historische Zeitzeugnis vom Museum in der ostfranzösischen Stadt Besançon für ihren Berliner Auftritt ausgeliehen. Beate Klarsfeld erzählte den erstaunten Anwesenden seine Geschichte.

Der französische Universitäts-Assistent Jean-Philippe Larrose lehrte von 1931 bis 1933 in Göttingen und bat seinen Schüler Helmut Knochen darum, er möge ihm in Berlin doch, wenn möglich, ein Buch von dem Ereignis am Rande des Feuers in Sicherheit bringen. Dieser Helmut Knochen erwies dem damaligen Freund diesen Dienst. Der französische Uniassistent konnte nicht ahnen, wen er da beauftragt hatte. Der junge Nazi Helmut Knochen war Mitglied der SA und begegnete Larrose später in Paris wieder. Der Franzose wurde als Übersetzer des Bürgermeisters von Paris eingesetzt, und eines Tages standen sich der einstige Uni-Lehrer und sein Student erneut gegenüber. Larrose musste den deutschen Besatzern als Dolmetscher dienen, und Helmut Knochen trat ihm als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Frankreich gegenüber. Nach dem Krieg wurde er in Frankreich im Jahr 1957 zum Tode, später zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt und nach 17 Jahren entlassen.

Das angebrannte Buch von Stefan Zweig landete schließlich im Museum von Besançon. »Die verbrannten Bücher können wir wieder veröffentlichen und somit ins Leben zurückrufen. Die Menschen aber, die von der Nazibarbarei verbrannt wurden, können wir nicht wieder ins Leben zurückrufen«, sagt die weltweit bekannte Antifaschistin Beate Klarsfeld an jenem 10. Mai 2012 auf dem Berliner Bebelplatz. Kurz darauf packt sie das besondere Buch wieder in die speziell präparierte Blechschachtel und streift die weißen Handschuhe ab. In diesem Moment ist es ganz still auf dem Bebelplatz, zwischen der Humboldt-Uni und der evangelischen Kirche.

Frank Schwarz