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Venezuelas Revolution muss zurück auf die Straße

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Foto: DBT/photothek.net/Thomas Trutschel

 


Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, zum Ausgang der Parlamentswahl in Venezuela

Die gute Nachricht nach dem Parlamentswahlen am Sonntag in Venezuela ist, dass die Lage während der Abstimmung und am Abend ruhig geblieben ist. Das ist für Venezuela nicht selbstverständlich angesichts eines blutigen Putschversuchs der rechtsgerichteten Opposition im April 2002 und gewalttätiger Proteste Anfang vergangenen Jahres, die 43 Menschen das Leben gekostet haben.

Noch bis zur Wahl am 6. Dezember hatten sich Vertreter des Oppositionsbündnisses „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) geweigert, eine Erklärung des Wahlrates zum Gewaltverzicht und der Anerkennung der Ergebnisse zu unterzeichnen. Der ruhige und transparente Ablauf der Parlamentswahl ist damit auch ein Ergebnis der Rechtsstaatlichkeit, die seit dem Antritt der Sozialisten Anfang 1999 geschaffen und gegen Gegner der Demokratie verteidigt wurde und wird.

Nun muss in Venezuela und im Ausland aufmerksam verfolgt werden, ob das Oppositionsbündnis MUD dieser Verantwortung auch mit der neuen Mehrheit im Parlament gerecht wird oder das Land erneut in eine Welle der Gewalt stürzt. Daran werden sich die Sieger von gestern morgen messen lassen müssen.

Verluste für die regierende sozialistische Partei, PSUV, waren angesichts der Wirtschaftskrise des Erdölstaates zu erwarten. In der Deutlichkeit haben sie alle Beteiligten und Beobachter überrascht: 99 der 167 Sitze gehen an die Parteien des MUD, 46 an die PSUV, die Vergabe von 22 Mandaten ist noch offen. Bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit könnte die Regierungsopposition im Parlament quasi eine Gegenregierung schaffen, Präsident Maduro müsste mit Dekreten regieren.

Die Gründe liegen, wie Präsident Maduro immer wieder erwähnt hat, in wirtschaftlichen und politischen Angriffen auf die Stabilität des Landes von außen. Das betrifft die billige Ölpreispolitik der USA und ihrer verbündeten OPEC-Staaten, der wirtschaftliche Quasiboykott Venezuelas durch viele Länder einschließlich Deutschlands, aber auch die Sabotagepolitik der Opposition durch Hortung von Waren, um die Versorgungslage im Land zu beeinflussen.

Natürlich wird das Wahlergebnis aber auch Anlass für eine Selbstkritik sein, die bereits an der chavistischen Basis geübt wird. Dazu gehört die einseitige Abhängigkeit von Ölexporten und die fehlende wirtschaftliche Diversifizierung. Eine Krankheit, die bisher keine Regierung Venezuelas überwinden konnte und insgesamt viele Erdölstaaten betrifft. Auch die schlechte Sicherheitslage und die Ausweitung von Korruption und dadurch fehlende Mobilisierungsfähigkeit der eigenen Anhänger ist ein Problem, das viel offensiver als bisher bekämpft werden muss.

Das ist eine erste Lehre aus dem Wahlverlust der Regierungspartei in Venezuela am Sonntag. Dass der revolutionäre Elan nach 17 Jahren und angesichts schwerer wirtschaftlicher Probleme schwindet, war klar. Dass sich die Menschen an Sozialprogramme und massive Infrastrukturprojekte gewöhnen, war abzusehen. Dass sich Funktionsträger in Parlament und Regierung an die Regierungsmacht gewöhnen, war zu erwarten. Umso wichtiger ist es daher, dass der Weckruf gehört wird und die Bolivarische Revolution sich an ihre Ursprünge erinnert. Und die liegen nicht nur an der Spitze der Ämter und im Parlament, sondern auch auf der Straße. In den Armenvierteln an den Hängen um Caracas; in den ländlichen Gebieten, die von der Oberschicht über Jahrzehnte vergessen wurden.

Das Bewusstsein dieser ausgegrenzten Bevölkerungsschicht ist da, dass sie für ihre politischen und sozialen Rechte kämpfen müssen und kämpfen können. Dies hat ihnen die bolivarische Revolution ermöglicht. Diese Basisarbeit muss linke Politik ausmachen. Nicht nur in Venezuela, sondern ebenso in Deutschland und Europa. DIE LINKE wird gemeinsam mit der Linken in Venezuela kämpfen für das Menschenrecht auf ein Leben in Würde für alle
- nach diesem Wahlausgang mehr denn je.