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V-Leute-System wird immer mehr zum Sicherheitsrisiko

Nachricht,

Zeugenvernehmungen des NSU-Ausschusses mit Bouffier u.a.

Von Gerd Wiegel

Auch in der Woche 24.-28. September hatte der NSU-Untersuchungsausschuss zwei Tage mit Zeugenvernehmungen angesetzt. Dominierend in der öffentlichen Wahrnehmung war aber der bis heute nicht bestätigte Hinweis, mit Ralf Wohlleben könnte einer der engsten Unterstützer des Terrortrios als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet haben. Der Ausschuss wird der Klärung dieses Verdachts weiter nachgehen.

Mit der Vernehmung des Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier am Freitag rückte die Frage noch einmal in Zentrum, ob der Schutz von V-Leuten der Dienste, also z.B. von bezahlten Nazispitzeln, höher anzusiedeln ist als die Aufklärung einer Mordserie. Genau diese Entscheidung hatte Bouffier im Zusammenhang mit dem Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel getroffen. Ein Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Hessen, Andreas T., war am Tatort gewesen, hatte sich nicht als Zeuge gemeldet und war von der Polizei kurzzeitig als möglicher Täter verdächtigt worden. Seine Telefonate mit einer von ihm geführten V-Person aus der rechten Szene am Tattag spielten für die Polizei eine besondere Rolle. Genauso seine sonstigen Kontakte mit den von ihm geführten V-Leuten. Jedoch verweigerte das LfV die Vernehmung der V-Leute durch die Polizei und zwar mit dem Hinweis, dass dadurch deren Anonymität und damit schlussendlich auch die Sicherheit des Landes gefährdet gewesen seien.

Quellenschutz vor Opferschutz - zynisch gegenüber den Opfern

Bouffier verwies in seiner Vernehmung immer wieder auf die von T. geführten V-Leute aus dem Bereich Islamismus. Dem Ausschuss gelang es nicht, dem damaligen Innenminister Bouffier ein rechtlich falsches Verhalten in dieser Abwägungsfrage – V-Leute Schutz und Aufklärung einer Mordserie – nachzuweisen. Doch genau hier liegt das Problem. Wenn das rechtlich abgesicherte System der V-Leute dazu führt, dass auch in einer Serie mit neun Morden rechtlich völlig korrekt gegen die Mordermittlungen entschieden werden kann, dann gilt es dieses V-Leute-System generell in Frage zu stellen. Auch nach dieser Vernehmung zeigte sich einmal mehr, dass die V-Leute und die mit ihnen verbundene Politik der Geheimhaltung selbst ein Sicherheitsrisiko ist, das es politisch zu beseitigen gilt. "Quellenschutz vor Opferschutz. Das mag Geheimdienstlogik sein, aber es bleibt zynisch gegenüber den Opfern“, so Petra Pau.

Am Donnerstag ging es zunächst noch einmal um die Bombenanschläge in Köln und die Rolle des Verfassungsschutzes in NRW. Dessen ehemaliger Präsident Möller war als Zeuge geladen. Nirgendwo sonst als beim Anschlag in der Keupstraße waren die Anzeichen für einen rechten Anschlag so deutlich. Eine Bombe in einer vor allem von Türken bewohnten Straße. Dennoch ermittelt die Polizei vor allem in Richtung Organisierte Kriminalität oder vermutete einen Anschlag von Kurden. Obwohl von Seiten des Verfassungsschutzes (BfV) die Blaupause des Anschlages völlig richtig in den Anleitungen von Combat 18 und anderen militanten Nazistrukturen ausgemacht wurde, fanden diese Erkenntnisse keinen Eingang in die konkreten Ermittlungen der Polizei. Zwei Dossiers des Bundesamtes zum Thema Militanz von rechts aus der Zeit des Anschlages weisen eindeutig in Richtung rechter Täter, sogar die Namen Böhnhardt und Mundlos tauchen in einem dieser Papier, da sie ja genau wegen Sprengstoffdelikten gesucht wurden.

Schily schloss rechtsextremen Hintergrund voreilig aus

Nur leider, so musste der Ausschuss feststellen, gelangte dieses theoretische Wissen der Dienste nie zu den Ermittlern, bzw. wurde dort nicht zur Kenntnis genommen. "Wenn man das BfV-Papier zu Combat 18 liest, konnte man eigentlich keinen Tag länger bin Richtung Organisierte Kriminalität ermitteln", so das Fazit des Obmanns der CDU Binninger. Auch LfV-Präsident Möller hatte keine Erklärung dafür, warum noch am Abend des Anschlags vom damaligen Innenminister Schily  ein rechtsextremer Hintergrund ausgeschlossen wurde: "Ich weiß nicht, woher er das Wissen hatte", so seine Aussage.

Alle neun rassistischen Morde des NSU wurden mit derselben Waffe, einer Ceska, begangen. Die Spur dieser Waffe stand im Mittelpunkt der Zeugenbefragung am Nachmittag. Nachdem im Jahr 2006 endlich ermittelt werden konnte, dass es sich um eine Waffe mit Schalldämpfer handelte, konnte die Zahl der infrage kommenden Waffen stark reduziert und schließlich auf wenige Waffen aus der Schweiz eingegrenzt werden. Dennoch gelang es nicht, die Spur von hier nach Deutschland und zu den Nazis weiterzuverfolgen. Deutlich wurde auch hier, wie sehr die Vorannahmen der Polizei die Ermittlungen beeinflussten. So wurde bei der Suche nach den Käufern der zunächst vom NSU verwendeten seltenen Munition vor allem nach türkischen Käufern gefahndet. Die Täter wurden ja im Umkreis der Opfer vermutet. Die 2006 erstellte Analyse, nach der der Täter auch eine rassistischen und rechten Hintergrund haben könnte, spielten für die Ermittlungen zur Waffe nie eine Rolle und wurden dort auch nicht ernst genommen.

Der Ausschuss setzt seine Befragungen am 18. Oktober mit Zeugen aus dem Bundesinnenministerium und zur Frage der Aktenschredderungen durch das BfV fort.