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Foto: Rico Prauss

»Unsere Aufgabe heißt jetzt: Opposition«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,

In Umfragen liegt die Linkspartei auf Bundesebene zurzeit zwischen 8 und 10 Prozent – etwa so viel wie bei der Bundestagswahl 2013. Wie die »Oppositionsführerin« zulegen kann, darüber diskutieren Abgeordnete Anfang dieser Woche auf einer Klausur.

Foto: Jan Woitas/dpa

 


Dietmar Bartsch über die Frage, wo Links wirkt, den Rechtsruck in der Gesellschaft und was zu Rot-Rot-Grün fehlt


Herr Bartsch, können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum letzten Mal mit voller Überzeugung sagen konnten: »Links wirkt«?

Dietmar Bartsch: Natürlich, weil ich das in diesen Tagen der Neujahrsempfänge sehr oft sagen kann. Zum Jahresbeginn ist zum Beispiel der Mindestlohn eingeführt worden. Es gibt zwar erhebliche Lücken, aber die gesetzliche Lohnuntergrenze ist da und das ist auch ein Erfolg der LINKEN. Oder die Abschaffung der Praxisgebühr, um die wir engagiert gekämpft haben und die zuallererst eine Forderung von uns war, ist erreicht. Nicht zuletzt: Wir stellen in Thüringen unseren ersten Ministerpräsidenten. Links wirkt also vielfältig.

Eine Gegenrechnung: Die Leute glauben, der Mindestlohn wurde von der SPD und Angela Merkel eingeführt. In den aktuellen Diskussionen kommen die Positionen der LINKEN zwar vor, aber in Umfragen pendelt sie um das Niveau der Bundestagswahl 2013.

Richtig ist, dass wir in die Offensive kommen müssen. Ich glaube allerdings, unsere Akzeptanz ist inzwischen deutlich höher als es derzeit in den Umfragewerten zum Ausdruck kommt. Die Herausforderung besteht darin, die Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag in einer Situation besser auszufüllen, in der sich eine Große Koalition auf der politischen Bühne so breit gemacht hat, dass dort wichtige gesellschaftspolitische Fragen kaum eine Rolle spielen.

Welche meinen Sie?

Zum Beispiel alles, was mit der asozial ungerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen zu tun hat. Die grassierende Kinderarmut, die wir in meiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern jetzt mit einer Kampagne wieder ins Bewusstsein gerückt haben. Die Frage guter Löhne, sicherer Arbeitsplätze, auskömmlicher Renten. Einiges davon hatte die SPD noch in ihrem Wahlprogramm. Und jetzt? Die feiern ihre Schwarze Null, mischen sich in den griechischen Wahlkampf ein, damit die irrsinnigen Spardiktate erhalten bleiben. Aber sinnvolle Vorschläge, auf die nicht bewältigte Eurokrise zu reagieren, etwas gegen die furchtbare Erwerbslosigkeit in Südeuropa, vor allem unter jungen Menschen zu tun, die habe ich von der Bundesregierung nicht gehört.

In Griechenland wird das Linksbündnis SYRIZA von vielen Menschen als Alternative zu Sparkurs und Verarmung gesehen ...

… nicht nur dort gibt es attraktive linke Alternativen, denken Sie an Podemos und die Vereinigte Linke in Spanien, an Sinn Fein in Irland …

Umso deutlicher wird, dass sich politischer Unmut hierzulande vor allem und teilweise sehr aggressiv nach rechts hin äußert – während die gesellschaftliche Linke eher stagniert. Teilweise geht es gegen alles, es werden keine Unterschiede mehr gemacht. Wird die Linkspartei jetzt vielleicht auch schon zu »denen da oben« gerechnet?

Was sich bei den Pegida-Aufmärschen und in der so genannten Alternative für Deutschland zeigt, ist höchst gefährlich. Es wird den Protagonisten dieses Rechtsrucks leider sehr viel Bühne gegeben, etwa in Talkshows. Die engagierten Gegner von Islamfeindlichkeit, die vielerorts stattfindende kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, die massenhafte sehr konkrete Solidarität mit Flüchtlingen – all das wird zu wenig ins Rampenlicht gestellt. Fast überall waren die Demonstranten für Toleranz und Solidarität, gegen Fremdenfeindlichkeit in der Mehrheit.

In Dresden waren sie es nicht. Und es scheint dort auch ein Schwerpunkt dieser Bewegung zu liegen. Warum dort?

Da warne ich vor voreiligen Schlüssen. Ich habe jetzt oft gehört, es handele sich um ein ostdeutsches Problem oder es erkläre sich aus der DDR-Vergangenheit. Das ist Quatsch. Man wird die Aufmärsche in Dresden auch nicht verstehen, wenn man sie auf Islamfeindlichkeit reduziert. Es macht sich dort auch Resignation breit, eine Abkehr von der Politik, der man keine Lösungen zutraut – weder den Regierenden noch der Opposition. Diesen Unmut müssen wir zur Kenntnis nehmen, müssen über gesellschaftliche Ursachen und Zukunftsstrategien reden. Sehr empfehle ich dazu eine Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu dieser Thematik von Horst Kahrs.

In der Politik wurde auch Verständnis für die Mitläufer von Dresden geäußert. Berechtigt?

Ich habe überhaupt kein Verständnis für Leute, die unter den Rufen »Volksverräter« und »Lügenpresse« durch die Straßen ziehen und gegen Flüchtlinge und Muslime hetzen. Es ist gut, dass Mitglieder und Sympathisanten der LINKEN bei den Gegendemonstrationen mit in der ersten Reihe stehen oder sich selbstlos in der praktischen Flüchtlingshilfe engagieren. Ganz wichtig finde ich auch das Signal, das die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen mit dem Winter-Abschiebestopp ausgesandt hat. Wie schon gesagt: Links wirkt – auf der Straße, in Parlamenten und Regierungen.

Bodo Ramelow hat im Wahlkampf gesagt, man werde in Thüringen nicht alles anders, aber vieles besser machen. Reicht das der Linkspartei als Anspruch?

Ich finde es richtig, bei Ankündigungen den Mund nicht zu voll zu nehmen. Auch Rot-Rot-Grün in Erfurt hat Anspruch auf hundert Tage zum »Einlaufen« und sollte nach fünf Jahren an den Ergebnissen gemessen werden. Den Winter-Abschiebestopp habe ich genannt. Das Beispiel zeigt ganz konkret, welchen Unterschied es macht, wenn wir mitregieren. Bodo Ramelow hat erste Zeichen gesetzt, welche überragende Rolle eine Politik sozialer Gerechtigkeit für ihn spielt. Und welcher andere Ministerpräsident wird wegen seines antifaschistischen Engagements von der Justiz verfolgt?

Gegenfrage: In Thüringen akzeptiert die Linkspartei die Schuldenbremse, die von derselben Linkspartei auf Bundesebene abgelehnt wird. Ist das kein Widerspruch?

Erstens haben auch Linke nichts gegen ausgeglichene Etats. Dass wir immer nur Schulden machen wollten, ist eine böswillige Unterstellung. Zweitens: Die Schuldenbremse ist eine Regelung, die wir als Partei aus guten Gründen ablehnen, weil sie den Gestaltungsspielraum von Politik einschränkt und ökonomisch falsch ist. Drittens: Es gibt einen Unterschied zwischen solider Haushaltspolitik, der Ideologie der Schwarzen Null und der Schuldenbremse.

Welchen?

Was die Bundesregierung macht, ist Sparen zu Lasten künftiger Generationen. Wir haben marode Schulen und Turnhallen, haben zu wenig Lehrer und Erzieher, haben Kinder- und Altersarmut, wir haben eine im europäischen Vergleich geradezu peinliche öffentliche Investitionsquote. Entscheidend ist doch: Wofür macht man gegebenenfalls Schulden? Für Rüstungsgüter oder für Investitionen in Bildung, Soziales, ökologischen Umbau? Im Übrigen wollen und brauchen wir einen radikalen Kurswechsel in der Steuerpolitik. Statt sich weiter um Großbanken und Konzerne zu kümmern, muss endlich von oben nach unten umverteilt werden. Das muss letztlich vor allem über die Bundesebene erfolgen. Als Denkmal für den Finanzminister kostet die Schwarze Null das Land schlicht zu viel!

Ein Plädoyer für Rot-Rot-Grün?

Grundsätzlich bei mir immer. Aber es gibt dafür zurzeit weder eine Grundlage noch einen Anlass für diesbezügliche Spekulationen. Die nächsten Bundestagswahlen sind 2017, die SPD hat sich vor gerade mal einem Jahr trotz anderer Möglichkeiten entschieden, mit der Union zu regieren. Wir, DIE LINKE, haben die Aufgabe kraftvolle Opposition zu sein. Ein wirklicher Politikwechsel wächst aus der Gesellschaft, auch in den Kommunen und Ländern. Solange es dort keine spürbare gesellschaftliche Entwicklung nach links gibt, ein Bedürfnis danach, dass sich das auch in Regierungsmehrheiten ausdrückt, solange ist Rot-Rot-Grün eine Scheindebatte. Wir müssen Profilstärke, Eigenständigkeit zeigen. Dass wir bereit zum Regieren sind, wenn es einen wirklichen Politikwechsel gibt, dürfte inzwischen jeder wissen.

Auch jeder in Ihrer Partei? Oder kommt da eine neue Debatte über Regierungsbeteiligung auf?

Die abstrakte Debatte um die Übernahme von Regierungsverantwortung ist bei uns im Grunde erledigt. Es herrscht im Kern Übereinstimmung, von ein paar Splittergruppen abgesehen. Das heißt nicht, dass bei der jeweils konkreten Frage nicht kontrovers diskutiert wird und zwar zurecht. Entscheidend ist, wie die Ergebnisse sind. Über Thüringen haben wir gesprochen. In Brandenburg wird aus der ersten Legislaturperiode gelernt. 2016 wird auch in Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gewählt, wo es Erfahrungen mit Regierungsbündnissen gibt.

Nicht alle waren begeistert.

Richtig. Wir behaupten nicht wie andere Parteien, es sei alles tadellos, wenn wir regieren. Aber wir sollten gleichzeitig besser darin werden, unsere Erfolge ins Schaufenster zu stellen.

Welche Rolle wird die Bundestagsfraktion dabei spielen?

Wir gehen heute in Klausur, wollen uns über die Situation nach einem Jahr Große Koalition und die Bilanz unserer Oppositionsarbeit verständigen und die Schwerpunkte für die kommenden Monate festklopfen. Ein Papier dazu von Sahra Wagenknecht und mir liegt schon seit einiger Zeit auf dem Tisch. Wir schlagen vor, uns auf Themen zu konzentrieren, die nicht nur für unsere bisherigen Wählerinnen und Wähler, sondern für eine Mehrheit der Menschen ganz zentral sind.

Zum Beispiel?

Der Kampf für gute Arbeit und sichere Arbeitsplätze, für gerechte Umverteilung, damit wir Armut endlich wirksam bekämpfen und mit den gravierenden Ungerechtigkeiten zum Beispiel im Gesundheitssystem und bei der Rente Schluss machen können. Wir müssen uns den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Es wird auch darum gehen, wie eine soziale Energiewende gestaltet wird, hier versagt die Große Koalition völlig. Wir wollen konkrete Schritte zur Einschränkung der Macht von Banken und Finanzmärkten sowie gegen Rüstungsexporte und die Militarisierung der Außenpolitik vorlegen. Aktuell aufgenommen haben wir Vorschläge zur Stärkung der Demokratie und zur Sicherung von Bürgerrechten. Das alles sind Punkte, die weit wichtiger sind als jede theoretische Diskussion über etwaige Parteienkonstellationen in ein paar Jahren.

neues deutschland, 19. Januar 2015