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»Unsensibel« als höchste Form der Selbstkritik

Im Wortlaut,

MAD und Staatssekretär a.D. Hanning als Zeugen im NSU-Untersuchungsausschuss

Von Gerd Wiegel

Zwei Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror standen in der Woche vom 26. bis 30. November auf dem Programm. Mit dem ehemaligen Präsidenten des MAD Brüsselbach und dem Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium (BMVG) Gramm waren zwei Zeugen geladen, die darüber Auskunft geben sollten, warum der MAD dem Untersuchungsausschuss die brisante Information, dass der MAD bereits 1995 Uwe Mundlos befragt hatte und eine Akte über ihn existiert, so lange vorenthalte hatte.

Gleich nach dem Auffliegen des NSU, so der ehemalige Präsident Brüsselbach, habe man sich darum gekümmert, ob einer der beiden Männer bei der Bundeswehr gewesen sei. Schnell wurde bekannt, dass Mundlos zwischen 1994 und 1995 in der Bundeswehr war. Da er schon zu diesem Zeitpunkt aktiver Nazi war war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der MAD Gespräche mit ihm geführt hat. Doch von Seiten des Amtes wurden keinerlei Aktivitäten unternommen, um eine mögliche Akte Mundlos (aus der z.B. auch Kontakte von Mundlos hervorgehen könnten) ausfindig zu machen. Ganz im Gegenteil, als man im Februar 2012 endlich die Wehrakte von Mundlos auf Nachfrage des BKA ausfindig machte, dauerte es vier Wochen, bis sie dem BKA auch vorlag.

Aus Sachsen, vom dortigen Verfassungsschutz, kam im März 2012 der Hinweis, man habe ein Schreiben des MAD zu Mundlos gefunden das darauf hindeute, dieser sei vom MAD „bearbeitet“ worden. Das Protokoll der Befragung fehle jedoch. Zum völligen Unverständnis der Ausschussmitglieder löste diese Mitteilung aus Sachsen jedoch keinerlei Aktivitäten des MAD aus. Weder fragte man in Thüringen und Sachsen-Anhalt, noch beim Bundesamt für Verfassungsschutz nach, die alle damals das Protokoll zu Mundlos erhalten hatten. Es schien als wollte der MAD auf keinen Fall mehr von seinem damaligen Kontakt zu Mundlos wissen. Der ehemalige Präsident Brüsselbach räumte ein, dass dieses von ihm zu verantwortende Verhalten „unsensibel“ und falsch gewesen sei. Formal sei allerdings das Verteidigungsministerium für die Informationen an den Untersuchungsausschuss zuständig. Dieser Verweis auf den für den MAD zuständigen Abteilungsleiter im BMVG, Gramm, wurde vom Ausschuss gerne aufgegriffen. Auch Gramm nutzte das schöne Wort „unsensibel“, wollte jedoch von Vertuschungsabsichten durch das Ministerium oder den MAD nicht wissen. Genau um diese handelte es sich jedoch, denn auch als auf Nachfrage des neuen MAD-Präsidenten Birkenheier im Juni 2012 die Mundlos-Akte endlich auftauchte, wurde sie dem Untersuchungsausschuss weder übergeben, noch wurde dieser überhaupt davon in Kenntnis gesetzt. Erst eine Pressemeldung zu dieser Akte im September 2012, am Tag als der erste Zeuge des MAD vernommen werden sollte, machte es unmöglich, die Akte weiter zurückzuhalten. Alle diese Informationen waren im Ministerium und auch beim Minister de Maiziere bekannt. Doch auch dieser beließ es beim Wort „unsensibel“.

Ex-Präsident Brüsselbach bestritt, dass es sich bei der Vernehmung von Mundlos um einen Anwerbeversuch gehandelt habe, wiewohl die Akte einen anderen Eindruck vermittelt. Überhaupt finden sich in den Akten des MAD im Zeitraum 1998 bis 2000 zahlreiche gute Hinweise auf das Trio. An die zuständigen Ermittler oder Staatsanwaltschaften wurden sie nicht gegeben! Ob der MAD speziell auf die Suche nach dem Trio angesetzt war, konnte Brüsselbach nicht beantworten. Wieder einmal wurde das Funktionsprinzip der Geheimdienste deutlich: keine Offenlegung von brisanten und wichtigen Informationen und Eingeständnis von Kenntnissen erst, wenn dies nicht mehr zu leugnen ist. Der NSU-Komplex macht Woche für Woche deutlich, wohin diese Politik geführt hat.

Im Prinzip lief alles richtig

Hauptzeuge am zweiten Vernehmungstag war der ehemalige BND-Präsident, Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und Staatssekretär im Innenministerium August Hanning. Als eine zentrale Person der deutschen Sicherheitsorgane war Hanning ein wichtiger Zeuge, der auf verschiedenen Ebenen mit den NSU-Taten befasst war. Seine politische Linie war ähnlich der, der meisten Vertreter des Sicherheitsapparates. Fehler im Einzelnen: sicher. Versagen der Sicherheitsbehörden: nein. Für Hanning wurde zu Recht von den Behörden auch in Richtung organisierte Kriminalität ermittelt, eine Festlegung auf diese These wollte er nicht erkennen. Bei detaillierteren Fragen zu den fast schon manischen Ermittlungen in diese Richtung über mehr als sechs Jahre zog er sich darauf zurück, die Akten nicht zu kennen. Das hinderte ihn jedoch keinesfalls daran, die Ermittlungsarbeit im Großen und Ganzen als richtig zu bezeichnen. Immerhin: man habe generell die Möglichkeit rechtsextremer Einzeltäter, die möglichen Vorbilder solcher Täter im Ausland und die handlungsleitende Relevanz von einer Ideologie der „weißen Vorherrschaft“ nicht in den Blick genommen und sei zu sehr am Vorbild der RAF verhaftet geblieben.

Hanning war als Staatsekretär im Innenministerium für die Zusammenlegung der Abteilungen Rechts- und Linksextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2006 verantwortlich – gegen den Ausdrücklichen Rat des damaligen BfV-Präsidenten Fromm. Die Schwerpunktsetzung auf das Thema Islamismus unter Vernachlässigung des Rechtsextremismus fand er auch jetzt noch richtig. Dass es bei letzterem bis heute zu einer völlig falschen Einschätzung der tatsächlichen Gefährdung kommt (Stichworte: Opfer rechter Gewalt seit 1990) wurde von Hanning auch auf Nachfrage bestritten, ja nicht einmal verstanden. Hanning verstieg sich zu der Behauptung, es gäbe in Deutschland eine besondere Sensibilität gegenüber rassistischen Taten, wofür u.a. die Einsetzung des Untersuchungsausschusses spreche. Ob es bei 10 getöteten PolizistInnen einen solchen Ausschuss gegeben hätte, stellte er zur Empörung der Abgeordneten in Frage.

Die von Hanning aber auch den MAD-Zeugen vorgeführte Problemsicht zeigt genau, wohin die Exekutive die Folgerungen aus dem NSU-Desaster ziehen will: Vernetzung, Zentralisierung und Ausbau der Dienste. Das Thema struktureller Rassismus auch im Sicherheitsapparat ist nicht einmal gedanklich angekommen und die Lippenbekenntnisse zu den Gefahren von rechts werden beim nächsten islamistischen Anschlagsversuch schnell in den Hintergrund verschwinden. Nur ein kontinuierlicher öffentlicher Druck, wirklich durchgreifende Konsequenzen aus dem Geschehen zu ziehen, kann dem vielleicht etwas entgegensetzen.

linskfraktion.de, 3. Dezember 2012