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Umverteilung von unten nach oben ist roter Faden von Schwarz-Gelb

Interview der Woche von Matthias W. Birkwald, Jutta Krellmann,

Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeits- und Mitbestimmungspolitik, und Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion, sehen keine grundsätzliche Kurskorrektur der neuen Bundesregierung bei der Arbeits- und Rentenpolitik.

Die schwarz-gelbe Regierung versucht, den Eindruck zu vermitteln, dass sich niemand Sorgen machen muss. Können Rentnerinnen und Rentner mit Zuversicht ins neue Jahr blicken?

Matthias W. Birkwald: Nein. Weder die Rentnerinnen und Rentner von heute, noch die künftigen Rentnerinnen und Rentner können zufrieden in das neue Jahr blicken. Die einen trifft die so genannte Nullrunde, die real eine Rentenkürzung bedeutet. Die anderen wird die „Rente erst ab 67“ treffen, die zu „Abschlägen“, also auch zu Kürzungen führen wird. Eine zusätzliche Belastung hat die Bundesregierung im Bereich der Krankenversicherung angekündigt: Wenn - wie im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP vorgesehen - die Arbeitgeberbeiträge „eingefroren“ würden, müsste die steigenden Beiträge für die Gesetzliche Krankenversicherung von den Rentnerinnen und Rentner allein getragen werden. Das ist inakzeptabel.

Wie sieht es bei den Menschen aus, die noch im arbeitsfähigen Alter sind? Was haben sie von der neuen Koalition weiter zu erwarten?

Jutta Krellmann: Im Moment wurden gerade das Kindergeld und die Kinderfreibeträge erhöht. Das hört sich erst einmal gut an, aber es nutzt gut verdienenden Beschäftigen und Selbstständigen am meisten, normalen Beschäftigten ein bisschen und ALG-II-Empfängern- und -empfängerinnen gar nicht. Die Umverteilungspolitik von unten nach oben wird nahtlos fortgesetzt. Das gilt für diese Beispiele, aber ist auch der rote Faden der aktuellen Politik.

Viele Seniorinnen und Senioren kämpfen mit Altersarmut. Nun hat Ministerin von der Leyen eine Nullrunde für die Renten angekündigt. Immerhin gebe es keine Anpassung nach unten. Sehen Sie Grund zur Freude?

Matthias W. Birkwald: Wer aktuell Rente bezieht, soll von der Regierung mit einer Nullrunde bei der Rentenanpassung beruhigt werden. Nullrunde heißt, die Rente nominal nicht zu erhöhen. Aber die Rente nicht zu erhöhen heißt, sie nicht an die Preisentwicklung anzupassen und sie somit real zu kürzen. Mit der Nullrunde greift die Bundesregierung den Rentnerinnen und Rentnern trotz gegenteiliger Bekundungen ins Portemonnaie. Unser Job als Bundestagsfraktion DIE LINKE ist es, das zu verhindern.

Eine große Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Rente mit 67 ab. Die SPD hat hier Fähigkeit zur Einsicht noch nicht gezeigt, obwohl sie bei der letzten Wahl die Quittung für ihre Politik bekommen hat. Wie verhält sich die Regierung?

Matthias W. Birkwald: Wie die Rentnerinnen und Rentner von heute so haben auch die Rentnerinnen und Rentner von morgen mit faktischen Kürzungen zu rechnen. Heute sind es die Nichtanpassungen, die zu Kürzungen führen. Morgen wird es die neue Altersgrenze 67 sein, die zu Abschlägen, also auch zu Kürzungen führt. Die Bundesregierung ist gesetzlich verpflichtet, ab 2010 alle vier Jahre zu überprüfen, inwiefern die Rente erst ab 67 „vertretbar“ ist. Bisher hat sich die Bundesregierung jedoch mit keinem Wort geäußert, was „vertretbar“ bedeutet und wie dies dann gemessen werden könnte. So bleibt also bisher nicht mehr als die Ankündigung weiterer Kürzungen in der Rente.

Ein anderes Thema, bei dem sich auch die neue Regierung wenig davon beeindrucken lässt, was die Mehrheit fordert, ist der Mindestlohn. Was wird die Konsequenz sein, wenn die unternehmerfreundliche Haltung sich weiter durchsetzt?

Jutta Krellmann: In der Koalitionsvereinbarung steht ganz klar, dass keine weiteren Mindestlöhne vereinbart werden sollen. Mindestlöhne sind bereits jetzt ein Flickenteppich durch einzelne Branchen. Sie sind verhandelt zwischen den Tarifparteien und dann durch das Arbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt bzw. im Entsendegesetz aufgenommen worden. In der Abfallwirtschaft beispielsweise war schon alles klar: 8,02 Euro Mindestlohn und damit mehr für zwanzig Prozent der dort Beschäftigten. Was fehlte, war die Zustimmung des Ministeriums. Und wenn nicht die Gewerkschaft ver.di aktiv geworden wäre und auch wir den Finger in die Wunde gelegt hätten, gäbe es heute noch keine Zustimmung.

Beschäftigte und ihre Gewerkschafen sollen nicht jedes Mal neu um Mindestlöhne ringen. Wir brauchen einen einheitlichen Mindestlohn von 10 Euro. Durch Tarifverträge können dann bessere Regelungen verhandelt werden.

Die Fraktion DIE LINKE hat zuletzt den Arbeitskampf bei Schlecker unterstützt. Beschäftigte wurden erst gekündigt und dann als Leiharbeiterinnen zu halbiertem Gehalt wieder eingestellt. Was fordert Ihre Fraktion, um solche illegalen Praktiken zu verhindern?

Jutta Krellmann: Anton Schlecker hat dem Ausnutzen bestehender Gesetze in seinen Drogeriemärkten die Krone aufgesetzt: Festeingestellte Angestellte werden gekündigt und bekommen ein Arbeitsplatzangebot in einem neuen Schlecker XL-Markt - dann allerdings als befristet Beschäftigte in der schleckereigenen Leiharbeitsfirma MENIAR (Menschen in Arbeit) zu der Hälfte des bisherigen Stundenlohns - 6,50 Euro anstelle von vorher 12,71 Euro, ohne Weihnachts-und Urlaubsgeld.
6,50 Euro sind ein Gefälligkeitstarif mit der sogenannten christlichen Gewerkschaft CGZP, die jüngst vom Landesarbeitsgericht Brandenburg für nicht tariffähig erklärt wurde. Dieses Beispiel macht deutlich, dass Leiharbeit abgeschafft und ein Mindestlohn von 10 Euro eingeführt werden muss und dass Befristungsmöglichkeiten reduziert werden müssen. Was Herr Schlecker macht ist alles zur Zeit legal, aber nicht legitim. Deshalb bleiben wir am Ball, damit die „Schleckers“ keine Schule machen können.

www.linksfraktion.de, 30. Dezember 2009