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Über Waffen, Angst und die Werte der EU

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Es ist die größte Fluchtbewegung seit Ende des zweiten Weltkrieges. Man prognostiziert, dass in diesem Jahr 1,5 Millionen Flüchtlinge in Deutschland Asyl suchen werden. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich (Die Linke) wird am kommenden Donnerstag, 8. Oktober, 18 Uhr einen Vortrag zum Thema „Fluchtursachen, nicht Flüchtende bekämpfen!“ im Hörsaal 7 der Friedrich-Schiller-Universität am Carl-Zeiss-Platz halten. In der anschließenden Diskussion stellt sich der Abgeordnete den Fragen aus dem Publikum. Wir sprachen mit ihm über Waffenexporte, die bröckelnde EU und die Angst vor dem Fremden. Interview: Jördis Bachmann

 

Warum flüchten so viele Menschen – was sind die vorrangigen Fluchtgründe?

Stefan Liebich: Es gibt derzeit 60 Millionen Flüchtende weltweit. Das ist die höchste Zahl seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Hälfte dieser Menschen ist im eigenen Land vor Bürgerkrieg und Terror auf der Flucht. Es gibt arabische Länder, aus denen heraus nahezu niemand flieht, und es gibt Länder wie Syrien, Afghanistan, Libyen oder den Irak, in denen Krieg und Chaos herrschen. Dort fürchten die Flüchtenden um ihr Leben. Libyen ist in Anarchie versunken, nachdem die NATO dort militärisch eingegriffen hat, und Syrien wird seit Jahren von einem blutigen Bürgerkrieg erschüttert. Nur wenn der endet, enden auch die Fluchtbewegungen. Ich finde, wir zäumen das Pferd von hinten auf, wenn wir über Aufnahmestopps und Höchstgrenzen reden, denn nur fünf Prozent aller Flüchtenden kommen überhaupt nach Europa. Wichtig ist doch, die Fluchtursachen zu bekämpfen und nicht die Flüchtenden.

Kann das die EU überhaupt?

Kriege können nur geführt werden, wenn es die Waffen dazu gibt. Der deutsche Waffenhersteller Heckler & Koch produziert zum Beispiel auch in Saudi Arabien, und die Bundesregierung hat mittlerweile eingeräumt, dass nicht klar ist, wohin diese Waffen exportiert werden. Waffenexporte besser zu kontrollieren und im Zweifelsfall zu unterbinden, ist ein Weg, Fluchtursachen zu bekämpfen. Auch darf nicht vergessen werden, dass die EU selbst Fluchtgründe produziert. Die Zulassung europäischer Fischereiflotten vor Afrikas Küste etwa zerstört die Existenzgrundlage Tausender lokaler Fischerfamilien.

Derzeit wirkt es eher so, als würde die EU am Flüchtlingsthema zerbrechen. Wie soll sich das ändern?

Wir müssen uns auf das besinnen, wofür der Name Europäische Union eigentlich steht. Es führt in die falsche Richtung, wenn die Briten ihr eigenes Ding machen wollen und permanent über den Austritt reden, wenn wir die Länder im Süden Europas behandeln wie ungeliebte Verwandte und Ungarn es nicht mal schafft, die einfachsten Menschrechte zu achten. Die EU ist nicht zuletzt auch ein Bündnis von Werten und Asyl ein zu achtendes Grundrecht.

Sie sagten, man müsse die Rüstungsindustrie besser kontrollieren. Kann man einen so starken Wirtschaftszweig überhaupt noch kontrollieren?

Die Rüstungsindustrie hat natürlich mächtige Unterstützer. Selbst die IG Metall, die sich immer wieder auch gegen Exporte von Waffen in Krisenregionen äußerte, will natürlich als Gewerkschaft die vielen Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie schützen. Auch CDU und CSU stehen hinter der Rüstungsindustrie. Die Linke fordert zwar, Rüstungsexporte gänzlich abzuschaffen, aber ein erster Schritt wäre das Verbot des Waffenexports in Krisengebiete.

Falls man es schafft, eine Friedenslösung zu finden und die Fluchtursachen zu bekämpfen, dauert das vermutlich noch eine längere Zeit. Bis dahin werden noch viel mehr Flüchtlinge Hilfe benötigen. Kann das die EU bewältigen?

Gerade diejenigen, die, wie ich, aus den neuen Bundesländern stammen, sollten sich über mangelnden Platz eigentlich keine Gedanken machen. Im Jahre 1989 lebten auf dem Gebiet der damaligen DDR 17 Millionen Menschen, heute sind es nur noch 15 Millionen. Es gibt also genügend Platz. So mancher Landrat, in dessen Kreis Schulen geschlossen werden müssen, sollte über den Zuzug froh sein. Außerdem relativieren sich die mächtig wirkenden Zahlen im Vergleich mit anderen Ereignissen.

Nach dem Krieg mussten 12 Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene integriert werden. 3 Millionen Gastarbeiter kamen in die Bundesrepublik, und in den 90er-Jahren kamen jüdisch stämmige Menschen aus der Sowjetunion nach Deutschland. Die jetzigen Flüchtlingszahlen bieten keinen Anlass zur Panik, und stacheldrahtbewehrte Zäume sind keine Lösung. Es darf nicht gewollt sein, dass an den Grenzen wieder auf Menschen geschossen wird.

Doch viele Menschen in Deutschland verfallen in Panik. Wie kann man denen die Angst nehmen, die sich Sorgen darum machen, dass sie persönliche Nachteile von der Ankunft der Flüchtlinge haben?

Um es klar zu sagen, für Neonazis habe ich kein Verständnis, und es muss auch die Frage erlaubt sein, wo eigentlich die Trennlinie zwischen Rechtsextremen und AfD verläuft. Es wäre jedoch falsch, pauschal all jene zu beschimpfen, die ob der ankommenden Flüchtlinge verunsichert sind oder sich auch verunsichern lassen. Es ist wichtig, auf jede Frage auch eine Antwort zu geben, sich den Menschen zuzuwenden, offen zu sein, Ängste ernst zu nehmen. Ich finde, das bekommt die Thüringische Landesregierung ganz gut hin.

Wie sollte mit straffälligen Asylbewerbern umgegangen werden?

In unserem Land gelten Recht und Gesetz für jedermann. Wer dagegen verstößt, muss mit Konsequenzen im Rahmen unserer Rechtsordnung rechnen.

Was sagen Sie zum Umgang mit Flüchtlingen aus den Balkanstaaten?

Jeder, der einen Anspruch auf Asyl in Deutschland hat, darf hier bleiben. Staaten können nicht pauschal als „sicher“ erklärt werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Liebich.

„Fluchtursachen, nicht Flüchtende bekämpfen!“: Diskussionsveranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Donnerstag, 8. Oktober, 18 Uhr am Campus, Carl-Zeiß-Straße 3, im Hörsaal 7