Zum Hauptinhalt springen

Teenies in Tarnzeugs

Im Wortlaut,

Action und Fun – bei der Bundeswehr darf man schon mit 17 Jahren ans Gewehr

Verteidigungsministerin von der Leyen setzt auf Familienfreundlichkeit. Dabei denkt sie nicht nur an Kitas in Kasernen. Sie beruft auch ältere Minderjährige ein. Beim Bund darf man mit 17 an die Waffe.

Von René Heilig

2012 wurden nach Angaben der Bundesregierung 1216 freiwillig Wehrdienstleistende und Zeitsoldaten unter 18 Jahren, also Minderjährige eingestellt. Die Anzahl deutet auf ein leicht steigendes Interesse bei deutschen Teenagern am militärischen Dienst hin. Natürlich wird niemand die minderjährigen Bundeswehrangehörigen ernsthaft gleichsetzen mit den zwangsrekrutierten Kindersoldaten in afrikanischen oder asiatischen Kriegs- und Krisengebieten. Dennoch verdient die Tatsache, dass sich bereits 16-Jährige beim Bund bewerben und sich auf Eignung testen lassen können, um dann ab dem 17. Lebensjahr eine Ausbildung an der Waffe zu beginnen, besondere Aufmerksamkeit. Es reicht das Einverständnis der Eltern und schon unterliegen die Minderjährigen dem ganz normalen Wehrstrafgesetz.

Katrin Kunert, die sich in der Linksfraktion des Bundestages um Verteidigungspolitik kümmert, versuchte mit einer Kleinen Anfrage mehr Aufmerksamkeit zu erreichen. Gerade weil Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) so auf Familienfreundlichkeit pocht. Kunert meint, der beste Schutz für Familien bestünde darin, »Minderjährige nicht mehr für militärische Zwecke zu rekrutieren«. Die Abgeordnete beruft sich auch auf ein Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 2002. Es wurde von Deutschland ratifiziert.

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat die Bundesrepublik bereits 2008 aufgefordert, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre zu erhöhen, »um den Schutz des Kindes durch insgesamt höhere gesetzliche Standards zu fördern«. Das Gremium wies darauf hin, »dass die große Mehrheit der Vertragsstaaten die Einberufung von Kindern (also unter 18-Jährigen) nicht erlaubt«.

Mit der hierzulande geltenden Rekrutierungsgrenze von 17 Jahren befindet sich die Bundesrepublik in einer Gruppe von 24 Staaten, zu der Länder wie Algerien, China, Libanon, Malaysia, Saudi-Arabien und die USA gehören. Innerhalb der EU berufen nur noch Frankreich, Großbritannien und Österreich Minderjährige ein. Spätestens seit Aussetzung der Wehrpflicht 2102 versucht das Militär systematisch, Minderjährige für den Militärdienst zu begeistern. Denn pro Jahr sollen insgesamt 5000 bis 12 500 Stellen mit sogenannten Freiwillig Längerdienenden besetzt werden.

2012 sind von den Meldebehörden 720 000 Datensätze von Jugendlichen im werbefähigen Alter erhoben und an die Truppe weitergegeben worden. Die lockt vor allem mit Action, Abenteuer und Fun – von der Wirklichkeit in Afghanistan ist abgesehen von der Höhe des steuerfreien Auslandsverwendungszuschlags kaum die Rede.

Rund 300 000 Jugendliche erreicht die Bundeswehr pro Jahr alleine durch Werbeveranstaltungen der Jugendoffiziere und Wehrdienstberater. Zudem spannen sich die Arbeitsagenturen ein. Deren Beratungsfachkräfte organisieren gemäß einem Vertrag mit dem Verteidigungsministerium in den Räumen der Agenturen spezielle Bundeswehr-Karrieretreffs. Das ist ein Service, den man weder für die Bundespolizei noch für die Bahn oder andere Bedarfsträger anbietet, bestätigte die Nürnberger Behörde auf nd-Nachfrage.

Natürlich fehlen nicht Hinweise darauf, dass man bei der Bundeswehr bereits mit 16 Jahren eine zivile Ausbildung beginnen kann. Hat man das entsprechende Alter erreicht, um den Blaumann mit der Tarnuniform zu tauschen, winken raschere Beförderungen und Vergünstigungen. Auch bei der Lehrerausbildung steigt die Einflussnahme der Bundeswehr. Das Militär schult jährlich um die tausend Referendare und bietet Fortbildungen für Lehrer an.

Dennoch herrscht nach der faktischen Abschaffung der Wehrpflicht und trotz der Absenkung der Truppenstärke auf aktuell rund 220 000 Soldaten und Soldatinnen spürbarer Mangel an qualifiziertem Personal. Die Wirtschaft ist ob der geburtenschwachen Jahrgänge ein ernsthafter Personalkonkurrent. Mitte vergangenen Jahres musste die Truppe konstatieren, dass die Bewerberzahlen deutlich zurückgegangen sind. So haben im Januar 1607 Freiwillige den Dienst angetreten. Im Vergleichsmonat 2012 waren es 2720. Dazu kommt: 25 bis 30 Prozent der Freiwilligen quittieren den Dienst innerhalb der ersten drei Monate. So lauten jedenfalls die letzten Angaben der Bundeswehr aus dem vergangenen Jahr.

Die Abgeordnete Kunert wollte auch wissen: Wie viele der minderjährig Geworbenen werden nach dem Erreichen des 18. Lebensjahres ins Ausland geschickt? Kunert fragte weiter: Wie viele der minderjährig Eingestellten kehren mit einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus dem Krieg heim? Beide Frage wurde mit Hinweis auf fehlende Statistiken nicht beantwortet.

Laut Betroffenen-Initiative »Angriff auf die Seele« gab es 2012 in den Bundeswehrkrankenhäusern 1143 Soldaten, die wegen PTBS behandelt wurden. Allein in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres registrierte die Bundeswehr 1100 Fälle. Unter all diesen Leidtragenden, so die Initiative, seien »besonders viele junge Soldaten«.

 

neues deutschland, 25. Januar 2014