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Steigerung der Dublin-Überstellungsquoten ist kein Anlass zur Freude

Nachricht von Ulla Jelpke,

Noch nie sind so viele Menschen im Rahmen des Dublin-Verfahrens in andere EU-Staaten überstellt worden wie im Jahr 2018. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung (PDF) auf eine Kleine Anfrage von Ulla Jelpke hervor. Das Bundesinnenministerium spricht von einer „Trendwende“. Was für den Bundesinnenminister ein Grund zu sein scheint, die Sektkorken knallen zu lassen, bedeutet für Schutzsuchende Abschiebungen ins Elend. In Staaten in der südlichen Peripherie der EU kann ihnen weder die nötige Versorgung noch ein faires Asylverfahren garantiert werden.

Bis November 2018 wurden 8.658 Schutzsuchende überstellt, das sind 1.556 mehr als im Vorjahr und sogar mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2016. Die sogenannte Überstellungsquote lag bei 24,5 Prozent - im Vergleich zu 15,1 Prozent im Jahr 2017. Immer wieder scheitern Dublin-Überstellungen aus guten Gründen daran, dass zum Beispiel Zielstaaten wie Griechenland nicht in der Lage sind, die Bedingungen für eine Aufnahme und Asylprüfung zu erfüllen oder wie Ungarn oder Bulgarien schlicht und ergreifend nicht dazu bereit sind, sind Schutzsuchende aufzunehmen. Die Bedingungen für Flüchtlinge in Ländern wie Griechenland, Italien, Bulgarien oder Rumänien sind verheerend. Überstellungen in diese Staaten kommen Abschiebungen in Obdachlosigkeit und fehlende Versorgung gleich. Im Fall Bulgariens kassieren die deutschen Gerichte geplante Überstellungen in über 64 Prozent der Fälle, weil den Asylsuchenden dort eine unmenschliche Behandlung droht, also entweder keine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung gewährleistet sind und/oder kein faires Asylverfahren gesichert ist.

Ganz vorne bei den deutschen Dublin-Überstellungsersuchen lagen im 3. Quartal 2018 Schutzsuchende aus der Türkei mit 10,9 Prozent. Das ist besonders perfide, hatte doch Staatsminister Roth vollmundig im Namen der Bundesregierung versprochen, Deutschland stehe „allen politisch Verfolgten im Grundsatz offen“ und zu Verfolgten aus der Türkei erklärt: „Sie können in Deutschland Asyl beantragen. Das gilt dezidiert nicht nur für Journalisten.“ Die Bundesregierung lässt politisch Verfolgte aus der Türkei auch nach Bulgarien oder Rumänien überstellen, wo diese akut von der weiteren Abschiebung in ihren Verfolgerstaat Türkei bedroht sind.

Der Anstieg der Dublin-Überstellungen geht offensichtlich auf Kosten der Rechte von Schutzsuchenden, zumal sich die Berichte häufen, dass diese Überstellungen zunehmend unter rechtsstaatlich und humanitär inakzeptablen Umständen vollzogen werden, um die Abschiebequote um nahezu jeden Preis zu erhöhen. Familien werden getrennt, Betroffene werden mit Festhaltegurten gefesselt, es kommt zu Demütigungen und Schlägen. Es gibt sogar Berichte, dass Schutzsuchende während Dublin-Überstellungen gegen ihren Willen medikamentös ruhiggestellt wurden (siehe Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zum Thema im Oktober 2018, PDF). Insofern ist die Steigerung der Zahl der Dublin-Abschiebungen nur für jene ein Grund zum Feiern, denen Menschenrechte nichts weiter als lästige Vollzugshindernisse sind.

Die Dublin-Regelungen belasten einige wenige EU-Länder mit relevanten Außengrenzen in besonders starkem Maße. Bei diesen Ländern handelt es sich um Staaten wie Griechenland, deren Sozialsysteme und Wirtschaft durch das EU-Spardiktat praktisch zerstört wurden. Das Dublin-System ist in seiner Konstruktion zutiefst ungerecht. Es ist aber auch menschenfeindlich, denn Schutzsuchende werden nach den Dublin-Regeln gegen ihren Willen in Europa hin- und hergeschoben, sie können häufig nirgendwo mehr an- und zur Ruhe kommen. Statt um die Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit geht es immer häufiger nur noch um Fragen des konkreten Reisewegs und formelle Aspekte. Flüchtlingsschicksale werden so rechtlich und tatsächlich zum Verschwinden gebracht. Demgegenüber plädiert die DIE LINKE für ein Free Choice Modell, in dem Schutzsuchende ihren familiären Bindungen und ihren Sprachkenntnissen entsprechend frei das EU-Land wählen können, in dem sie Asyl beantragen. „Europäische Solidarität“ würde dann bedeuten, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten entsprechend ihrer volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an der Versorgung der Schutzsuchenden beteiligen, wobei besonders begehrte Aufnahmestaaten entsprechend höhere Zuwendungen erhalten müssten.