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Stalking im Staatsauftrag

Im Wortlaut,

Verfassungsschutz bespitzelt Abgeordnete der LINKEN

Von René Heilig

Mindestens 27 Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet. Das ist mehr als ein Drittel der Fraktion. Dazu kommen – offiziell – noch elf Fraktionsmitglieder der Linkspartei in verschiedenen Landtagen.

Im Visier der Geheimdienstler ist ein Gutteil der Führungscrew der Bundestagslinksfraktion: der Vorsitzende Gregor Gysi, seine erste Stellvertreterin Sahra Wagenknecht, die Mitglieder des Fraktionsvorstands Dietmar Bartsch und Jan Korte sowie die Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann. Auch vor der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, machen die dem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) unterstehenden Agenten nicht halt.

Beobachtet werden die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Katja Kipping, und das Mitglied im Vertrauensgremium des Bundestages, Steffen Bockhahn. Selbst Fraktionsmitglieder, die mit dem Bereich Gesundheit oder der Situation in Ostdeutschland betraut sind, stehen auf der Verdachtsliste.

Das Muster, nach dem diese einzigartige Spitzelei funktioniert, ist schwer nachvollziehbar. Während die Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch nebst Stellvertreterin Halina Wawzyniak verdächtig ist, ist es der Ko-Vorsitzende Klaus Ernst offenbar nicht – oder noch nicht. Gleiche Unlogik gilt für die fraktionelle Stellvertreterebene. Das legt den Verdacht nahe, dass den »Kalten Kriegern« in Köln – dort hat der Geheimdienst sein Hauptquartier – auch 20 Jahre nach der staatlichen Einheit Ostbiografien in der Regel verdächtiger sind als westdeutsche Lebensläufe.

Jan Korte, der sich als Mitglied des Innenausschusses beharrlich um die Aufarbeitung der Naziherkunft des BND kümmert und jüngst dessen Verschwendungswahn beim Bau der neuen Geheimdienstzentrale in Berlin angeprangert hat, hält die »staatliche Stalkerei, dieses permanente Auskundschaften von frei gewählten Abgeordneten« nicht nur für einen »undemokratischen Akt« sondern auch für eine »Frechheit gegenüber meinen Wählerinnen und Wählern im Wahlkreis Anhalt«. Er, der als Parlamentarier die Sicherheitsbehörden kontrollieren soll, wird von ihnen kontrolliert. Gleiches gilt für Stefan Bockhahn. Als Mitglied im Vertrauensgremium soll er die Haushalte der Geheimdienste überwachen – und wird überwacht. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat Ende vergangenen Jahres festgestellt, dass »aufgrund der besonderen Aufgabenstellung des Vertrauensgremiums (…) nur ganz außergewöhnliche Umstände die Beobachtung eines Mitglieds (…) rechtfertigen«.

Der Thüringer Linksfraktionschef Bodo Ramelow, dessen Klage gegen seine Beobachtung derzeit beim Bundesverfassungsgericht liegt, hält die offiziellen Angaben für eine Verharmlosung. Bereits 2006 sei auf Anfrage mitgeteilt worden, dass alle Bundestagsabgeordneten der LINKEN erfasst seien.

Das BfV wiegelt ab. Die Abgeordneten würden nicht nicht »überwacht«, sondern »beobachtet«. Dabei setze der Geheimdienst keine »nachrichtendienstlichen Mittel« ein. Der »Spiegel« verweist auf eine Aufstellung des Bundesinnenministeriums vom 4. Januar 2012, laut der im BfV sieben Mitarbeiter mit der »Bearbeitung der Partei DIE LINKE« beschäftigt sind. Jährlicher Kostenpunkt für das Personal: rund 390 000 Euro.

Neues Deutschland, 23. Januar 2012