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Sorry, we are open statt #BrusselsLockdown

Im Wortlaut,

Foto: Getty Images

 

 

Martin Schirdewan, Leiter des Europa-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, berichtet über die Situation in Brüssel und die politischen Reaktionen auf die Terroranschläge in Paris

Etwas dramatisch formuliert hieße es, die Stadt befinde sich im Ausnahmezustand. Der Weg durch die Innenstadt und das Europaviertel Brüssels gleicht in den Tagen des #BrusselsLockdown einem Ausflug in eine Kaserne. Nach den Anschlägen in Paris und angesichts der vielen Spuren, die nach Belgien führen, sind überall Militärfahrzeuge, bewaffnete Soldaten, schwer hochgerüstete Polizeieinheiten. Es fanden Razzien in verschiedenen Stadtteilen statt. Es gab Verhaftungen. Schüsse wurden gemeldet.

Veranstaltungen werden reihenweise abgesagt. Geschäfte und Einkaufszentren sind - so überhaupt geöffnet - verwaist. Die Schulen blieben für zwei Tage geschlossen. Die Metro fuhr seit Samstag nicht mehr. Ausländische Arbeitgeber belassen ihre Angestellten, nachdem sie die Sicherheitshinweise ihrer diplomatischen Vertretungen studiert haben, per ordre zu Hause. Überstunden abbummeln. So kann man reagieren, und die Vernunft gebietet es, den Sicherheitsempfehlungen Folge zu leisten.

Ergebnis des #BrusselsLockdown: Das öffentliche und kulturelle Leben in Brüssel kam zum Erliegen. Die Brüsselerinnen und Brüsseler selbst nahmen es zum Teil mit Humor. Unter dem Hashtag #BrusselsLockdown, mittlerweile Synonym für den gegenwärtigen Zustand, wurden niedliche Katzenbildchen gepostet. Selbst offizielle Stellen beteiligten sich am Katzenbild-Wettbewerb.

Vor ein paar Tagen dann tauchte die Facebook-Gruppe “Sorry, we are open” auf. Hier können auf charmante belgisch-anarchische Art alle Läden, Restaurants, Kinos, Bars, Galerien etc. auf sich und ihre Art des Widerstands aufmerksam machen. Des Widerstands gegen den Terror und seinen Einfluss auf das alltägliche Leben und zugleich den Widerstand gegen eine Politik, die bislang keine Erfolge gegen die Terroristen aufweisen kann und zugleich die Grund- und Bürgerinnen- und Bürgerrechte massiv beschränkt.

Man sollte wissen, dass in Belgien mit der Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) eine rechte Partei an der Regierung beteiligt ist, die nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo im Januar das Militär ermächtigt hat, im Inneren Polizeiaufgaben zu übernehmen. Das Bild schwer bewaffneter Soldaten in der Stadt erlebt man hier auch in den beschaulicheren Sommermonaten. Der Ruf nach stärkeren Geheimdiensten, stärkerer Polizei, dem Militär im Inlandseinsatz erschallt vernehmbar in Frankreich, Belgien, Deutschland, Polen…

Doch sind Einschnitte in die demokratische Verfasstheit die richtige Antwort auf den abscheulichen Terror? Nein. Ist die Forderung nach verstärkten innereuropäischen Grenzkontrollen und damit der Aufhebung der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU die richtige Antwort? Wohl kaum. Schritte in Richtung einer autoritären innereuropäischen Sicherheitsarchitektur sind falsch. Und ebenso grundfalsch ist die fatale Verknüpfung der notwendigerweise zu führenden Debatte darüber, wie man den Terror des IS bezwingen kann, mit der aktuellen Migrationsdebatte, wie sie von deutschen, polnischen, britischen Konservativen nur wenige Stunden nach den Anschlägen vorangetrieben wurde und seitdem wird.

Welchen Nutzen soll eine militarisierte  Außengrenzenpolitik der EU haben, die Flüchtlinge abhält, lebensnotwendigen Schutz in Europa zu finden, wenn sich belgische oder französische Jugendliche radikalisieren, weil ihre Gesellschaften nicht in der Lage sind, notwendige Antworten im Inneren zu leisten? Demokratieabbau und der Verhinderung von Migration im Namen des Antiterroreinsatzes stärkt perspektivisch nur die politische Rechte. Überall in der EU.

Auch das Kriegstrommeln des französischen Präsidenten – aus innenpolitischem Kalkül vielleicht sogar nachvollziehbar, schließlich steht der Mann umfragetechnisch mit dem Rücken zur Wand – wird zu keiner Minderung der terroristischen Gefahr beitragen. Bislang haben die Bomben zum Gegenteil beigetragen.

Was aus Brüssel dieser Tage zu lernen ist? Angst oder Panik sind die falsche Antwort. Dann tweetet lieber Katzenbildchen oder geht ins Kino, in die Bar, ins Theater. Sorry, we are open, heißt eben nicht nur, dass das öffentliche und kulturelle Leben aufrechterhalten wird und man sich nicht dem Terror beugt. Es heißt genauso in Richtung derjenigen, die Demokratieabbau betreiben wollen und dem Krieg das Wort reden, die offene demokratische Gesellschaft verteidigen zu wollen.