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Solidarität mit Haiti - jetzt und für lange Zeit

Im Wortlaut,

Auf 10 Mrd. US-Dollar werden die Aufbaukosten nach dem verheerenden Erdbeben geschätzt, das letzte Woche die haitianische Hauptstadt Port-au-Prince und weitere Städte in der Umgebung nahezu vollständig zerstörte und möglicherweise weit über 100.000 Menschen das Leben kostete. Drei Millionen Menschen in Haiti sind akut auf Hilfe angewiesen. 50 Prozent der Betroffenen sind Minderjährige. Die Haitianerinnen und Haitianer bedürfen der massiven internationalen Hilfe, und das für viele Jahre.

Die von der Bundesregierung und der Europäischen Union bislang zugesagten Mittel für die Soforthilfe und den Wiederaufbau sind noch nicht ausreichend. Die Fraktion DIE LINKE fordert, dass die Bundesregierung ihre Zusagen für die Soforthilfe deutlich erhöht und dass für die nächsten fünf Jahre jeweils ein dreistelliger Millionenbetrag für die Aufbauhilfe in den Entwicklungshaushalt eingestellt wird. Damit der Wiederaufbau nachhaltig wirken kann, muss die Unterstützung weitergehen, wenn die schlimmsten Schäden beseitigt sind. Die Fraktion DIE LINKE fordert deshalb die Wiederaufnahme der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Haiti, die vor zweieinhalb Jahren beendet worden war.

Mit Blick auf die anstehenden Konferenzen, auf denen die Geber zusammenkommen werden, um ihre Hilfe zu koordinieren, fordert die Fraktion DIE LINKE die Bundesregierung dazu auf, sich für eine sofortige, vollständige und bedingungslose Entschuldung Haitis einzusetzen. Auf gar keinen Fall dürfen Haiti durch die Hilfe - wenn sie etwa in Form von Krediten ausgereicht wird - neue Schulden entstehen.

Das entstandene Machtvakuum aufgrund der Zerstörung eines gesamten Staates darf nicht in eine militärische Intervention münden. Die massive Militärpräsenz von mehr als 12 000 US-Soldaten sieht aber danach aus. Derzeit kontrolliert das US-Militär den Flughafen von Port-au-Prince und wichtige Versorgungslinien. Nach der Ausrufung des Ausnahmezustands durch die haitianische Regierung ist das US-Militär außerdem mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut. Mittlerweile kommt Kritik von Hilfsorganisationen und Ländern wie Brasilien und Frankreich. Die starke militärische Präsenz auf dem kleinen Flughafen von Port-au-Prince blockiert teilweise die Anlandung von Hilfsgütern, US-Flüge werden bevorzugt, vor allem um US-Bürger zu evakuieren. Die haitianische Regierung hat bereits beklagt, über die Vorgänge auf dem Flughafen und eingehende Hilfslieferungen nicht mehr informiert zu sein.

Die Hilfe darf nicht in den Dienst strategischer Interessen gestellt werden und nicht in eine militärische Besatzung Haitis münden. Die Fraktion DIE LINKE schließt sich der Forderung nach einer internationalen zivilen Aufbaumission an, die unter Führung der Vereinten Nationen stattfinden soll. Es muss zugleich eine Perspektive eröffnet werden, wie Haiti wieder die volle Souveränität zurückerhält, die Handlungsfähigkeit der haitianischen Regierung wiederhergestellt und ihr die souveräne Verfügung über die bereitgestellten Mittel ermöglicht werden kann.

Die Fraktion DIE LINKE anerkennt die solidarische Leistung lateinamerikanischer Nachbarstaaten, die seit Jahren als Geber in Haiti präsent sind und angesichts der Erdbeben-Katastrophe ihre Hilfe verstärkt haben. Das kubanische Engagement im Gesundheitssektor und das venezolanische Engagement im Energiesektor bieten gute Ansatzpunkte für den Wiederaufbau in Haiti. Kuba und Venezuela müssen deshalb unbedingt in die Koordinierung der internationalen Aufbauhilfe einbezogen werden.

Die westlichen Geber müssen aus ihren Fehlern der Vergangenheit lernen. Die entwicklungspolitischen Konzepte, die sie in den 80er und 90er Jahren in Haiti durchsetzten, haben zur Verstärkung der Katastrophe beigetragen. Ein Erdbeben ist ein Naturereignis und hätte in dieser Stärke und in dieser Nähe zu einem dichtbevölkerten Ballungsraum auch in jedem anderen Land zu Verheerungen geführt. Dass die Menschen aber nach dem Beben tagelang ohne Hilfe blieben, liegt auch darin begründet, dass die Hauptstadt aus dem Hinterland nicht versorgt werden kann, dass auch außerhalb von Port-au-Prince kaum Infrastruktur vorhanden ist, über die Hilfe abgewickelt werden könnte, und dass ein Gesundheitssystem (Krankenhäuser, Ärzte) außerhalb von Port-au-Prince praktisch nicht existiert.

Strukturanpassungsprogramme des IWF und Handelsliberalisierung haben die Handlungsfähigkeit des öffentlichen Sektors massiv geschwächt, den Aufbau von Daseinsvorsorge verhindert und die lokale Produktion von Nahrungsmitteln fast zum Erliegen gebracht. Angesichts des Notstands explodieren nun die Nahrungsmittelpreise. Die Menschen sind vollständig von den Lieferungen von außen abhängig.

Für eine nachhaltige Entwicklung in Haiti sind diese Maßnahmen unbedingt erforderlich:

Landreform und Förderung ländlicher Entwicklung: Die Förderung ländlicher Entwicklung muss Priorität haben und massiv verstärkt werden. Das fordert auch der haitianische Präsident. Importzölle auf Grundnahrungsmittel, die auch in Haiti produziert werden könnten, sollten schrittweise angehoben werden, bis die Konkurrenzfähigkeit lokaler Produkte wiederhergestellt ist. Die Umsetzung der seit 20 Jahren vorgesehenen Landreform muss im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden.

Energieversorgung: Das Energiedefizit bremst nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern trägt maßgeblich dazu bei, dass die haitianischen Wälder abgeholzt werden, um Holzkohle zu gewinnen, und Hänge vegetationslos zurückbleiben. Die vergünstigte Energieversorgung durch Venezuela im Rahmen von PetroCaribe ist ein solidarischer Ansatz, der auch von anderen Gebern unterstützt werden sollte.

Wiederaufforstung: Um zu verhindern, dass an Hängen erbaute Siedlungen abrutschen bzw. von Bergrutschen verschüttet werden, und um wieder ein ökologisches Gleichgewicht in Haiti und in der ganzen Region herzustellen, müssen internationale Anstrengungen zur Wiederaufforstung der Hänge verstärkt werden.

Gesundheitsversorgung: Haiti war schon vor dem Erdbeben medizinische stark unterversorgt. Außerhalb von Port-au-Prince existieren kaum Krankenhäuser. Der Aufbau der medizinischen Versorgung steht im Mittelpunkt der Soforthilfe und muss auch mittel- und langfristig ein Schwerpunkt der Hilfe sein. Hier bietet sich die Zusammenarbeit mit Kuba an, dass seit vielen Jahren mit Hunderten von Ärzten in weiten Teilen des Landes eine medizinische Grundversorgung aufrechterhält und nun sein Engagement nach dem Erdbeben noch verstärkt hat.

Aufnahme von Flüchtlingen: Hunderttausende Haitianerinnen und Haitianer haben alles verloren. Einige sehen möglicherweise eine Perspektive für sich im Ausland, zumal wenn sie dort Verwandte haben. Eine Zurückdrängung von Flüchtlingen, womöglich ihre Internierung in Guantanamo, darf es nicht geben. Stattdessen müssen großzügige Regelungen gefunden und Nachbarstaaten dabei unterstützt werden, Flüchtlinge aufzunehmen.

Haiti blickt auf eine stolze Geschichte zurück. Es hat viel zum globalen zivilisatorischen Fortschritt beigetragen. Der erfolgreiche Sklavenaufstand Ende des 18. Jahrhunderts läutete das Ende der Sklaverei weltweit ein. Als erster freier Staat Lateinamerikas hat Haiti den anitkolonialen Befreiungskampf in Südamerika unterstützt. Heute benötigt Haiti die Hilfe der anderen Nationen. Die Haitianerinnen und Haitianer haben Anspruch darauf.

Haiti hat eine lange Tradition zivilgesellschaftlicher Organisierung, die den Menschen bereits durch viele Krisen und Katastrophen geholfen hat. Die Fraktion DIE LINKE ist solidarisch mit den vielen sozialen Organisationen, Basisgruppen, Landkooperativen, Gewerkschaften Haitis und hofft darauf, dass sie sich bald wieder in die Debatte um die Zukunft ihres Landes einmischen können. Die Fraktion DIE LINKE wird sie dabei unterstützen.

Von Alexander King, Referent für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag