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Solidarität mit den Opfern der Juniproteste in der Türkei

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Auf Einladung des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko trafen sich am 17. Oktober 2013 Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag mit Angehörigen und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, der bei den Juniprotesten in der Türkei durch die Polizei Getöteten. Der Protest, der Ende Mai als Besetzung gegen den drohenden Abriss des Gezi-Parks in İstanbul begann, weitete sich – im Anschluss an die gewalttätige Räumung durch die Polizei - auf die gesamte Türkei aus und wuchs zu einer massenhaften Demokratiebewegung an. Es folgten große Demonstrationen und verschiedene Aktionsformen, die sich gegen die Polizeigewalt sowie den diktatorischen Regierungsstil der AKP wandten und Freiheit und Demokratie einforderten. Bei diesen Protesten kamen sieben Menschen ums Leben, 8.000 wurden durch die Einsatzkräfte der Polizei und ihre Gasbomben und Wasserwerfer verletzt, von ihnen über 1.000 schwer, wobei 14 Menschen ihr Augenlicht verloren. Davon berichteten uns heute die Anwältinnen und Anwälten und Angehörigen der Todesopfer und die Vertreterin der Taksim Solidaritäts-Plattform aus eigener Anschauung.

Weiter berichteten sie von der massiven Polizeigewalt, die auch aktuell bei Versammlungen anhält, und von der staatlichen Repression gegen Aktivistinnen und Aktivisten sowie die mangelhafte Verfolgung der Polizistinnen und Polizisten und Amtsträgerinnen und Amtsträgern, die für die vielen Verletzten und Toten verantwortlich sind.

Während der Ministerpräsident Erdoğan vollmundig ein vermeintliches Demokratiepaket verkündet,  wird zugleich die Repression gegen Oppositionelle erhöht. Zum einen sieht das sogenannte Demokratiepaket, das demokratische Reformen einläuten soll, neue Einschränkungen des Versammlungsrechts und die Einführung des Präventivgewahrsams vor. Zum anderen werden Teilnehmenden der Juniproteste ohne jegliche Beweise festgenommen und wegen Putschversuchs oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Die Gerichtsverfahren haben mit einem fairen Prozess nichts zu tun.

Auch gegen Ayşe Mücella Yapıcı ermittelt die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Taksim Solidaritäts-Plattform wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Putschversuchs. Die Plattform besteht aus 200 Organisationen, neben Nichtregierungsorganisationen partizipieren verschiedenste Berufskammern, Parteien und Aktivistinnen und Aktivisten in ihr. Sie gründete sich als Forum gegen das Bebauungsprojekt am Taksim Platz und spielte eine tragende Rolle im Rahmen der Proteste. So wie Ayşe ergeht es derzeit etlichen weiteren Aktiven. Auch sie gehört zu denjenigen Frauen, die bei ihrer Ingewahrsamnahme von Polizisten sexuell belästigt wurden, Zwangsmaßnahmen und Erniedrigungen wie beispielsweise eine komplette Entkleidung ertragen mussten.
Gegen die Verantwortlichen der Polizeigewalt hingegen findet keine effektive Strafverfolgung statt. Die Anwältinnen und Anwälte Hatice Can, Kazim Bayraktar, Alper Can Aykaç und der Bruder von Ethem Sarısülük, Mustafa Sarısülük, berichteten uns von den einzigen beiden Verfahren gegen zwei Polizeibeamte, die eingeleitet wurden. Sie stellen sich als reine Farce dar und werden internationalen Verfahrensvorschriften in keinster Weise gerecht.

So wurde beispielsweise bei der Gerichtsverhandlung gegen den Polizisten Ahmet Şahbaz, der Ethem Sarısülük bei den Protesten erschossen hatte, der Zugang zum Gerichtssaal für Presse und Öffentlichkeit dadurch ausgeschlossen, dass die Zuschauerbänke mit Polizistinnen und Polizisten in Zivil besetzt wurden. Nachdem die Anwälte dagegen protestierten, wurden zwar die Polizistinnen und Polizisten aus dem Saal entfernt, aber zugleich wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen und der Verhandlungstermin um mehrere Wochen vertagt. Die Zivilpolizistinnen und -polizisten griffen im und außerhalb des Gerichtssaals die Anwältinnen und Anwälte und Zeuginnen und Zeugen an und beleidigten sie, ohne dass das Gericht oder seine Sicherheitskräfte eingriffen. Dabei wurden zwei Zeuginnen und Zeugen, die gegen den Polizisten Ahmet Şahbaz aussagen wollten, am Kopf verletzt.

Auch das Gerichtsverfahren gegen die acht Personen, die Ali İsmail Korkmaz zu Tode geprügelt haben, verläuft nicht rechtsstaatlich. Unter den Angeklagten befinden sich vier Zivilpolizisten und vier Ladenbesitzer. Nach dem Bericht des Anwalts von Ali İsmail war es Teil einer staatlichen Strategie, dass Zivilpolizisten Anwohner und Ladenbesitzer organisieren, um gemeinsam Jagd auf Demonstrierenden zu machen, wie es auch im Fall von Ali İsmail Korkmaz geschah. Während des Ermittlungsverfahrens wurde festgestellt, dass Videomaterial aus den Überwachungskameras, welches Aufnahmen von den Geschehnissen beinhaltet, auch noch nach Beschlagnahmung durch die Staatsanwaltschaft teilweise manipuliert und für den Prozess unbrauchbar gemacht wurde. Zudem versucht der Gouverneur der Stadt Eskişehir - in der Ali İsmail getötet wurde - die Zuständigkeit für das Verfahren dem örtlichen Gericht zu entziehen. Der Journalist, der dies öffentlich machte, wurde anschließend vom Gouverneur bedroht.

All diese Methoden erinnern den Anwalt Kazim Bayraktar an die Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 in der Türkei, bei denen er als Verteidiger teilnahm und die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als menschenrechtswidrig verurteilt wurden.

Um all diese unglaublichen und rechtswidrigen Vorgänge international öffentlich zu machen und den Druck auf die türkische Regierung zu erhöhen, bat die Delegation um Unterstützung durch Prozessbeobachterinnen und -beobachter aus dem Ausland, auch aus Deutschland. Da sie es für unmöglich halten im Rahmen der türkischen Gerichtsbarkeit, die nicht unabhängig agiere, zu ihrem Recht zu kommen, haben die Angehörigen der Todesopfer inzwischen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingelegt. Ein weiteres wichtiges Anliegen der Delegation ist das Verbot des Einsatzes von chemischen Mitteln wie Pfeffergas bei Demonstrationen.

Auch DIE LINKE verfolgt dieses Anliegen seit geraumer Zeit. Sie hat diese Problematik durch entsprechende parlamentarische Initiativen auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestags gebracht. Ebenso wie die Verantwortung der deutschen Bundesregierung für die Polizeigewalt in der Türkei, auch aufgrund der Unterstützung bei der Polizeiausbildung.

Die anwesenden Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla Jelpke, Alexander Neu und Kathrin Vogler sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundestagsfraktion und der Partei DIE LINKE bedanken sich herzlich für den Besuch der Delegation.

DIE LINKE sendet solidarische Grüße an die Familien der Opfer, an die vielen Verletzten und Inhaftierten und allen, die sich gegen Profitstreben für Demokratie und ein würdiges Leben in Freiheit und Solidarität einsetzen.

 

Von Elif Eralp, Referentin für Rechtspoliktik in der Bundestagsfraktion DIE LINKE