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Sogar das Geburtsdatum ist falsch

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,

Die »schwarze Akte« des Abgeordneten Gehrcke

Von René Heilig

Geht man davon aus, dass die Verfassungsschützer halbwegs ihr Handwerk beherrschen, so müssten sie eigentlich in der vergangenen Woche Schweißausbrüche bekommen haben, als sie die Akte von Wolfgang Gehrcke vervollständigten. Er war (mit Gattin) zur Feier anlässlich des 50. Geburtstages von Außenminister Guido Westerwelle eingeladen und hatte beim Gratulieren sogar persönlichen Kontakt mit dem FDP-Mann. Schlimmer noch, es besteht die Möglichkeit, dass Gehrcke kurzzeitig neben Kanzlerin Angela Merkel oder Verteidigungsminister Thomas de Maizière (beide CDU) gestanden und vielleicht auch kurz Blickkontakt hatte.

http://medien.linksfraktion.de/bilder/510x660-gehrcke-akte.jpgDer Name Merkel in der Akte des »Altkommunisten« Gehrcke – das geht nun aber gar nicht. Wie gut, dass niemand außer den Verfassungsschützern selbst und deren Vorgesetzten im CSU-sicheren Bundesinnenministerium weiß, was in der Akte steht. Nicht einmal Gehrcke wird – so nicht irgendwelche verfassungstreuen Richter dazwischenfunken – je erfahren, was man über ihn und sein Umfeld zusammengetragen hat.

Ein entsprechender Versuch des Abgeordneten – frei nach dem Motto »Meine Akte gehört mir!« – ist schon einmal gründlich daneben gegangen. Allein die beiden Sperrvermerke des Bundesinnenministeriums dazu, weshalb er was nicht sehen darf, umfassen zusammen 571 Seiten.

Die Akte selbst ist über 5000 Seiten dick. 600 davon bekam Gehrcke gar nicht erst zu Gesicht und über 700 Seiten sehen aus, als ob die Firma Edding, ein bekannter Hersteller von Filzstiften, bei einer Streichorgie der Kölner Verfassungsschutzbehörde als Sponsor aufgetreten wäre. Denkbar auch, dass jemand in der Behördenleitung auf »Rolling Stones« steht. Deren Song »Paint it Black« ist allerdings bereits 1966 aufgelegt worden. Könnte passen, müsste Gehrcke vermutlich bestätigen, denn er wird bereits seit 1961 vom Verfassungsschutz beobachtet. Damals war er 18 Jahre alt und hörte gewiss mehr als revolutionäre Marschgesänge.

Seit über 50 Jahren sammelt das Amt Informationen, Unterlagen, holt Erkundigungen ein. Aus einer Stellungnahme des Bundesinnenministeriums ist zu entnehmen, dass dies auch mit geheimdienstlichen Mitteln geschieht. Ungeachtet der Tatsache, dass Gehrcke seit über zehn Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages ist.

Wie wahr das Gesammelte ist, lässt sich allenfalls schätzen: Von den vier auf dem ansonsten geschwärzten Deckblatt enthaltenen Fakten stimmen drei. Falsch ist Gehrckes Geburtstag. Da das Beobachtungssubjekt nicht am 12. September 1943, sondern bereits am 8. September auf die Welt drängte, um sie in (vermutlich) umstürzlerischer Weise zu verändern, sind den Verfassungsschützern tatsächlich vier Tage durch die Lappen gegangen. Verdammt!

Ob die LINKEN-Sammelwut des Geheimdienstes mit dem Grundgesetz und den Rechten von Abgeordneten vereinbar ist, lässt der Thüringer Linksfraktionschef Bodo Ramelow (seine Geheimakte hat die Registrierung P 511 327) gerade von den Karlsruhern Verfassungsrichtern klären. Falls nicht – es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten, linke Politiker zu diskreditieren. Weil Ramelow vor fast genau zwei Jahren an Protesten gegen einen Naziaufmarsch in Dresden teilgenommen hat, verurteilte ihn Sachsens Justiz zu 20 Tagessätze zu je 170 Euro, also insgesamt 3400 Euro. Sein Parteifreund André Hahn, Fraktionschef in Sachsen, soll wegen desselben »Delikts« 3000 Euro zahlen. Nun soll auch die sächsische Linken-Bundestagsabgeordnete und Bundesgeschäftsführerin der Partei, Caren Lay, ihre parlamentarische Immunität verlieren, weil sie im Februar 2011 aktiv die Blockade einer genehmigten Versammlung von Neonazis in Dresden betrieben habe. (Interview unten) So wie gegen andere wurde gegen Falk Neubert, Mitglied des Sächsischen Landtags, ein Ermittlungsverfahren wegen »Sprengung einer Versammlung« eingeleitet.

Neues Deutschland, 25. Januar 2012