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Sie wissen nicht, worum es geht

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Der frühere SPD-Chef und Ex-Finanzminister Oskar Lafontaine, 62, ist neben Gregor Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag.

Wie bewerten Sie das finanzpolitische Konzept der Koalition?
Im nächsten Jahr wird vernünftigerweise mit der Keule der Mehrwertsteuererhöhung noch nicht zugeschlagen. Die Finanzpolitik wird zunächst nicht erkennbar restriktiv sein, das ist sicher positiv. Doch die Regierung hofft, schon mit ein paar kleineren Verbesserungen - etwa bei den Abschreibungsbedingungen für Unternehmen - das Wachstum anzukurbeln. Wenn sich ihre positiven Erwartungen für 2006 nicht erfüllen, dann sitzen wir 2007 - wenn die Mehrwertsteuer kräftig steigt - so richtig in der Krise.

Wie kompetent sind die Regierenden - Merkel, Glos und Steinbrück - in der Wirtschaftspolitik?
Wenn eine Regierung nicht zur Kenntnis nimmt, dass die realen Bruttolöhne über mehrere Jahre gesunken sind, dann erinnert mich das an einen Architekten, der keine Ahnung von Statik hat. Ohne steigende Bruttolöhne kann es kein Wachstum geben. Ich bin mir sicher, dass Merkel und Glos nicht wissen, worum es geht. Wir brauchen wieder Lohnabschlüsse in Höhe der Summe aus Produktivitäts- und Inflationsrate.

Wie beurteilen Sie die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB)?
Sie ist falsch und ungerechtfertigt. EZB-Chefvolkswirt Issing irrt, wenn er meint, die Notenbank müsse steigende Ölpreise bekämpfen. In Amerika wäre niemand auf so eine Schnapsidee gekommen. Die Zinserhöhung wird das Wachstum dämpfen.

Financial Times Deutschland, 2. Dezember 2005