Zum Hauptinhalt springen

»Sie sind kein Abgeordneter! Der Ausweis ist gefälscht«

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Niema Movassat über die Blockupy-Demonstration 2013 in Frankfurt

Von Niema Movassat





Als ich Samstagmorgen in den Zug nach Frankfurt zur Blockupy-Demo stieg, ging ich davon aus, an einer ruhigen Latschdemo teilzunehmen. Doch ich hatte die Rechnung ohne die hessische Polizei-Einsatzleitungsbehörde gemacht. Denn in Hessen stehen bald Landtagswahlen an – und die CDU punktet gerne mit dem Thema "Innere Sicherheit". Da heißt es Härte zeigen! Und so wurde die Polizei als Wahlkampfinstrument der hessischen CDU instrumentalisiert und zeigte kompromisslose, rechtsstaatswidrige Härte.

Demo nach 30 Minuten durch Polizei gespalten

Aber der Reihe nach! Kurz nach 12 Uhr setzte sich der Demozug in Bewegung. Etwa 20.000 Menschen waren gekommen, um gegen die Troika, die europäische Austeritätspolitik, Nahrungsmittelspekulation, steigende Mietpreise und den menschenverachtenden Umgang mit Flüchtlingen zu demonstrieren. Doch nach nur wenigen hundert Metern war plötzlich Schluss. Die Demo stand. Denn sehr weit vorne war der "Antikapitalistische Block" durch Einsatzhundertschaften der Polizei eingekesselt und die Demo geteilt worden. Der Vorwurf der Polizei: Vermummung einiger Demonstranten, Werfen von Böllern, passive Bewaffnung der Demonstranten (übrigens – die werteten Styroporpappen als Waffe! Jaaa – man weiß doch, dass jeden Tag unzählige Menschen durch Styropor sterben!).

Aber selbst wenn das so gestimmt hätte – es tat es nicht, jedenfalls nicht wie die Polizei es darstellt – war es absolut unverhältnismäßig, wegen vielleicht drei Dutzend Demonstranten, 1000 Menschen einzukesseln und die restlichen 19.000, die dahinter liefen, nicht weiterlaufen zu lassen auf der vom Verwaltungsgerichtshof Hessen (!) genehmigten Demonstrationsroute. Aber so ist das: Recht hat der, der es durchsetzen kann. Hier wurden die Vorgaben des Gerichts einfach von der Einsatzleitung der Polizei ignoriert. Bzw. ein eher harmloser Anlass (das Zünden von ein-drei Böllern – oh man was wäre an Silvester los, wenn die Polizei wegen drei Böllern Leute verhaften würde!) als Argument genommen, die gerichtliche Entscheidung vor Ort spontan außer Kraft zu setzen. Das Innenministerium wollte wohl Rache nehmen für die Niederlage vor dem Verwaltungsgericht.

Polizei wollte den Kessel und die Eskalation

Aber nun zu dem, wie es wirklich war: Die Polizei hat diesen Kessel gewollt. Sie hat ihm durch das entsprechende Zusammenziehen der Einsatzkräfte schon früh vorbereitet. Und auf den Anlass gewartet, zuzuschlagen. Irgendeinen Anlass findet man bei nahezu jeder etwas größeren Demo. Es gibt immer ein paar, die sich vermummen (über die massive Vermummung der Polizei redet indes keiner) oder mal einen Böller zünden. Aber normalerweise ist dies kein Grund, eine ganze Demo zu sprengen. Dafür ist das Grundrecht des Art. 8 Grundgesetz viel zu konstituierend für eine Demokratie. Eine Demokratie lebt davon, dass Versammlungen zur Artikulation der politischen Meinungskundgabe möglich sind. Ohne Versammlungsfreiheit auch keine Demokratie. So einfach ist das. Denn wo keine kollektive, öffentliche Meinungsbildung- und kundgabe möglich ist, befindet man sich in einem diktatorischen System. Das wusste offensichtlich die Polizei in Hessen nicht (vielleicht schicken wir dem Innenminister einige Ausgaben des Grundgesetzes zu?).

Jedenfalls ging es der Polizei wohl darum, Verbindungen der Demonstranten zur M31-Demonstration am 31.Mai 2012 herzustellen und entsprechende Personen zu finden. Die vermutete man im "Antikapitalistischen Block". Deshalb der Kessel – um an die Personalien zu kommen!

Polizei ohne Interesse an Kompromiss

Die eingekesselten Demonstranten machten einige Zugeständnisse an die Polizei. Sie wollten auf die Regenschirme (Achtung: Waffe) und Seitentransparente verzichten. Die Polizei bestand aber darauf, die Personalien aller Leute im Kessel, also auch die der Nicht-Vermummten, „Unbewaffneten“  (bewaffnet war ja niemand) usw. aufzunehmen. Die Polizei war mithin zu keiner Verhandlungslösung bereit, sie war kompromisslos. Diverse Versuche verschiedener Abgeordneter und der Anmelder, eine kooperative Lösung zu finden, wurden von der Polizei abgelehnt.

Am Ende wurde dann geräumt. Gewaltsam wurden Demonstranten aus dem Kessel geführt. Es gab einige Verletzte, vor allem auch durch die massiven Pfeffersprayeinsätze der Polizei, die es während der gesamten Zeit immer wieder gab. Diese fanden vor allem auch gegen die nicht-eingekesselten Demonstranten an der Rückseite des Kessels statt, die solidarisch mit den Gekesselten an Ort und Stelle blieben. Die Polizei wollte diese Demonstranten weg haben, um in Ruhe im Kessel abräumen zu können. Da machten die Demonstranten der Polizei einen Strich durch die Rechnung. Und die Mitarbeiter des Frankfurter Schauspielhauses (da war der Kessel), versorgten die Eingekesselten mit Wasser und Essen und zeigten so ganz praktische Solidarität. Journalisten wurden an der Arbeit gehindert und auch da gab es wohl Verletzte. Sanitäter wurden nicht zu Verletzten gelassen. Ich habe selbst eine entsprechende Situation erlebt, wo eine Einsatzhundertschaft aus NRW es ablehnte, einen Sanitäter durchzulassen. Erst nach massivem Druck und Diskussion durfte er mit erheblicher zeitlicher Verzögerung durch.

Bundestagspräsident Lammerts Unterschrift eine Fälschung

Abgeordnetenrechte interessierten die Polizei (natürlich) auch nicht. Wieso auch – offenbar herrschte rechtsfreier Raum in Frankfurt. So wurde mir zweimal durch zwei verschiedene Polizisten erklärt, dass mein Abgeordnetenausweis eine Fälschung und ich kein Abgeordneter sei. Auch der Hinweis auf die Unterschrift des Bundestagspräsidenten unter dem Ausweis brachte nicht so recht weiter. Ich muss zugeben – so was habe ich das erste Mal erlebt!

Die Krönung war allerdings, als eine Einsatzhundertschaft – wieder aus NRW – darauf bestand, meinen Rucksack durchsuchen zu wollen. Mein Verweis auf meine Abgeordnetentätigkeit und der damit verbundenen Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung führte dazu, dass mir gesagt wurde, ich müsse jetzt eine Weile warten, bis ich weiter darf, und dass es merkwürdig sei, dass ich nicht freiwillig bereit bin, meine Sachen durchsuchen zu lassen. Nun, letztlich wurde ich nicht durchsucht. Eine andere Situation, diesmal eine Einsatzhundertschaft aus Sachsen (die vorher ordentlich Pfefferspray eingesetzt hat, mein Hals kratzt immer noch). Ich wollte den Einsatzleiter sprechen. Die Arroganz, die mir daraufhin entgegenschlug, und man nur noch als verbale Gewalt bezeichnen kann ("Seien sie mal ruhig", "es reicht jetzt"), war das Eine. Die andere Sache, dass man nicht mal den Einsatzleiter angefunkt hat.

Demokratieverständnis wie die türkische Polizei

Mein Resümee: Ein schwarzer Tag für Demokratie! Der Rechtsstaat wurde in Frankfurt begraben. Ich hatte das Gefühl, die Einsatzleiter wollten den Kollegen in Istanbul nacheifern in Sachen Gewalt, Überheblichkeit und Menschenfeindlichkeit. Sie zeigten zumindest ein ähnliches Demokratieverständnis. Man wollte die Eskalation. Die Demonstranten sind angesichts der massiven Provokation der Polizei dennoch friedlich geblieben.

Es gab auf der Straße einen interessanten Spruch in Richtung Polizei: "Marionetten fürs Kapital". Und ja – die Polizei ist in Frankfurt nicht rechtsstaatsgemäß vorgegangen, sondern hat die Interesse der Konzerne und Banken umgesetzt. Sie hat sich zur Marionette gemacht. Jeder Polizist, der irgendwann mal auf das Grundgesetz vereidigt wurde, sollte sich fragen, was er oder sie da eigentlich macht.

linksfraktion.de, 3. Juni 2013