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Sie können die Hoffung nicht auslöschen

Periodika,

Heike Hänsel, Friedensaktivistin der LINKEN, engagiert sich im Parlament und weltweit auf der Straße für die Rechte von Frauen.

»Die Fundamentalisten wollen mich vernichten, aber sie können die Hoffnung nicht auslöschen, die viele Menschen in Afghanistan haben. Solange ich lebe, möchte ich mich für diese unterdrückten Menschen und gegen die Kriegsverbrecher in meinem Land einsetzen.« Eindrücklich beschreibt die junge afghanische Frauenrechtlerin Malalai Joya Anfang April auf einer Veranstaltung der Linksfraktion in Karlsruhe ihre politische Arbeit. Sie ist bereits zum dritten Mal auf Einladung der Linksfraktion nach Deutschland gekommen. Den Kontakt zu ihr hatte die baden-württembergische Abgeordnete Heike Hänsel hergestellt.

An diesem Abend spricht die linke Abgeordnete mit der 31-jährigen Joya über die Situation in Afghanistan und die Frauenrechte nach acht Jahren NATO-Besatzung. Beide Frauen sind sich einig: Die Situation der Bevölkerung in Afghanistan muss stärker in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Auch die deutsche Politik trägt Schuld an der katastrophalen Lage im Hindukusch. Für ihr mutiges Engagement im Parlament gegen die afghanischen Kriegsherren wurde Joya vor vier Jahren das Mandat entzogen. Zum Schweigen gebracht haben sie jedoch weder die Suspendierung noch die Anschläge auf ihr Leben. Heike Hänsel setzte sich dafür ein, dass Malalai Joya in das Netzwerk des Deutschen Bundestages »Parlamentarier schützen Parlamentarier« aufgenommen wurde, das verfolgten PolitikerInnen weltweit Schutz bieten soll.

Zwei Tage später nehmen die beiden Frauen an den Demonstrationen in Straßburg gegen die 60-Jahr-Feier der NATO teil. Hänsel ist auf der deutschen Seite, wo sie mit tausenden Protestierenden von der Polizei auf der Brücke daran gehindert wird, zum Kundgebungsplatz auf der französischen Seite zu gelangen. Joya hält sich auf der französischen Seite auf. Sie soll auf der Bühne eine Rede zu halten. Doch dazu kommt es nicht, weil die Kundgebung im Zuge der Brände und Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei aufgelöst wird.

Es ist nicht nur dieses Erlebnis, das Heike Hänsel in ihrem Widerstand gegen Militarisierung und Repression im eigenen Land und in Europa bestärkt. In der Woche vor den Demonstrationen hatte sie im Bundestag dagegen protestiert, dass schon im Vorfeld des NATO-Gipfels das Heraushängen von Friedensfahnen im Straßburger Zentrum verboten worden war.

Mandat im und außerhalb des Parlaments nutzen

Seit über 20 Jahren ist Heike Hänsel aktives Mitglied der Friedensbewegung, eine Aktivistin, die sich auch nach ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag einen kritischen Blick auf den Parlamentarismus bewahrt hat. Als Friedensaktivistin im Parlament -was kann man da bewirken? Auf diese Frage, die ihr oft gestellt wird, antwortet die Abgeordnete: »Ein Mandat im Parlament hat dann viel Sinn, wenn ich die Möglichkeiten, die einer Parlamentarierin zur Verfügung stehen, dafür nutzen kann, andere AktivistInnen in Krisenregionen zu unterstützen, die sich unter schwierigsten Bedingungen für Frieden, Menschenrechte und Gerechtigkeit einsetzen.«

Heike Hänsel ist eine Netzwerkerin. Ihre politischen Kontakte sind dauerhaft. Begegnungen werden nicht abgehakt, sobald die gemeinsame Veranstaltung absolviert ist und alle Interviews gegeben wurden. Die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion bleibt dran, will wissen: Was können wir noch gemeinsam bewegen? Wie kann ich konkret helfen? Mit Frauen aus allen Teilen der Welt knüpft Heike Hänsel höchst erfolgreich ein Netz der Solidarität. Nicht selten entwickeln sich daraus auch persönliche Freundschaften - in der Politik nicht unbedingt die Regel.

Im Oktober 2007 und Frühjahr 2008 reiste sie nach Kolumbien und besuchte Friedens- und Widerstandsgemeinden. Darunter auch San José de Apartadó, dass 2007 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet wurde. Die Friedens- und Widerstandsgemeinden sind ein Zeichen der Hoffnung in einem Land, das seit Jahrzehnten von Gewalt und Unterdrückung erschüttert wird. Ihre Bewohner wehren sich unter hohen Opfern gewaltfrei gegen Vertreibung und Landraub. Sie zeigen damit, dass ein anderer Weg möglich ist. Die Menschen in San José de Apartadó haben einen hohen Preis dafür gezahlt: Mehr als 180 Menschen sind in den vergangenen zehn Jahren für dieses Engagement ermordet worden. Die Gemeinden brauchen den Schutz der internationalen Öffentlichkeit. Deshalb ist Hänsel dorthin gefahren, hat sich mit den AktivistInnen getroffen. Und sie hat dabei auch ihre Freundin Gloria Cuartas wieder gesehen, die 2006 als Gast der Fraktion DIE LINKE in Deutschland über die Situation in ihrem Land berichtete.

Keine klassische Politiker-Karriere

Als Bürgermeisterin der Kreisstadt Apartadó hatte Gloria Cuartas die Entstehung der Friedensgemeinde unterstützt und wurde dafür von der UNESCO als »Bürgermeisterin für den Frieden« ausgezeichnet. Die beiden Frauen haben viel gemeinsam: Gloria Cuartas, die kämpferische Linke und engagierte Christin, Heike Hänsel, die über ihr Studium und die Auseinandersetzung mit der lateinamerikanischen »Theologie der Befreiung« zur Linken wurde. Beide sind keine klassischen Parteipolitikerinnen - und haben doch ihren Platz in den linken Parteien ihrer Länder gefunden. Hänsel als Abgeordnete der Partei DIE LINKE, Gloria Cuartas als Spitzenpolitikerin des Mitte-Links-Bündnisses Polo Democrático Alternativo.

Entwicklungspolitik muss auch aktive Friedenspolitik sein, davon sind beide Parlamentarierinnen überzeugt. Entwicklungszusammenarbeit soll keine Abhängigkeit schaffen, sondern auf gleichberechtigter Basis stattfinden und ein selbstbestimmtes, würdiges Leben für alle Menschen im Süden sichern. Die internationale Weltwirtschaftsordnung steht dem entgegen. Mit Freihandel und Exportsubventionen setzen die Industrieländer ihre wirtschaftlichen Interes-sen oft rücksichtslos und in Komplizenschaft mit undemokratischen Regierungen und Eliten durch. Sie bewirken so noch mehr Abhängigkeit, Hunger und Armut.

Frauen an der Spitze in Lateinamerika

Gerechte Weltwirtschaftsstrukturen können nur in Zusammenarbeit mit den Frauen im Süden durchgesetzt werden. Im Januar 2007, am Rande des Weltsozialforums in Nairobi, nahm Heike Hänsel an einem Protestmarsch afrikanischer Organisationen gegen die Freihandelsabkommen der EU (EPAs) teil. Zu den Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Rostock hat sie dann einige VertreterInnen der afrikanischen Stop-EPA-Kampagne zum Gegenbesuch nach Deutschland eingeladen. Darunter Jane Nalunga von der Nichtregierungsorganisation SEATINI (Southern and Eastern African Trade Information and Negotiations Institute), die eindrucksvoll die Auswirkungen neoliberaler Wirtschaftspolitik auf die afrikanischen Gesellschaften beschrieb.

Bei zahlreichen Treffen mit Friedensaktivistinnen aus dem Nahen Osten, im Austausch mit Gewerkschaftsführerinnen in Bolivien, die heute an der Spitze der Umwälzung in ihrem Land stehen - Heike Hänsel schöpft viel Kraft und Mut aus den Begegnungen: »Ihre Entschlossenheit und ihr Lebensmut geben uns Kraft für die Auseinandersetzungen, die wir hier in Deutschland zu führen haben«, sagt sie.

Ein Schwerpunkt bleibt Afghanistan. Ihr seit langem geplanter Gegenbesuch bei Malalai Joya wurde aufgrund der zugespitzten militärischen Lage im Land vorerst abgesagt. Es bleiben der Friedensaktivistin im Parlament also genug Aufgaben für die nächste Legislaturperiode.