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Seit dem Bildungsgipfel ist nichts passiert

Interview der Woche von Nele Hirsch,

Wenn über das Thema Hochschule gesprochen wird, fällt schnell das Stichwort Bologna-Prozess: Können Sie uns kurz umreißen, worum es geht?

Vor zehn Jahren vereinbarten die BildungsministerInnen der EU sowie weiterer Staaten in Bologna - daher der Name - einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Um die Vergleichbarkeit zwischen den Bologna-Teilnehmerstaaten zu erhöhen, sollte die Studienstruktur auf einen sechssemestrigen Bachelor und einen viersemestrigen Master umgestellt werden.

Außerdem sollte der Praxisbezug im Studium gestärkt, mehr internationale Mobilität gefördert, die Qualität des Studiums gesteigert und mehr Studierende an die Hochschulen gebracht werden. Tatsächlich wurden viele dieser Versprechungen bis heute nicht eingelöst.

Letzte Woche diskutierten die Bildungs-MinisterInnen aus den mittlerweile 46 Bologna-Teilnehmerländern im belgischen Leuven über ihre Fortschritte im Bologna-Prozess. Was brachte das Treffen?

Für Studierende und Studieninteressierte leider so gut wie nichts. Die MinisterInnen verständigten sich auf eine Fristverlängerung, da der Bologna-Prozess eigentlich schon bis 2010 umgesetzt sein sollte. Daneben gab es wie üblich viel heiße Luft. Allen voran die Bundesregierung lobte sich für die schnelle Umstellung der Studiengänge auf die Bachelor- und Masterstruktur.

Die Konsequenzen der übers Knie gebrochenen Reformwut an den Hochschulen wurde dabei aber nicht diskutiert. Die haben Lehrende und Studierende gleichermaßen zu tragen. Mit den Bologna-Reformen wurde das Studium verschulter und der Prüfungs- und damit auch der Korrekturdruck verschärfte sich. Die Qualität der Lehre blieb auf der Strecke.

Die StudentInnen wünschen sich nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage einen leichteren Zugang zu Hochschulen, kostenloser Bildung und mehr Möglichkeiten zum Auslandsstudium. Nachvollziehbar, aber ist das inmitten dieser drastischen Wirtschaftskrise eine umsetzbare Forderung?

Allerdings. Und ihre Erfüllung sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, wenn man es mit der vielbeschworenen Priorität für die Bildung ernst meint. Der Bologna-Prozess löst seine Versprechen bisher allerdings nicht oder nur unzureichend ein. Heute ist es sogar deutlich schwieriger die Hochschule innerhalb Deutschlands zu wechseln - geschweige denn innerhalb Europas.

Die viel zitierte »Vergleichbarkeit« blieb häufig auf der Strecke. Ähnlich sieht es beim Zugang aus: Die Hochschulen schließen für junge Menschen aus finanzschwachen Elternhäusern immer weiter ihre Türen. Statt wie dies der UN-Sozialpakt vorschreibt, die Gebührenfreiheit an Hochschulen immer weiter auszubauen, wird in Deutschland das Bezahlstudium eingeführt.

DIE LINKE will die Hochschulen öffnen: hierzu müssten Studiengebühren in allen Bundesländern abgeschafft und mehr und qualitativ hochwertige Studienplätze geschaffen werden. Um allen ein Studium zu ermöglichen, muss auch das BAföG verbessert werden.

Am Mittwoch findet eine Plenardebatte zum Bologna-Prozess im Bundestag statt. Was werden Sie vorschlagen?

DIE LINKE im Bundestag will den Bologna-Prozess auf eine neue soziale Grundlage stellen: die Teilnahme am Bologna-Prozess soll an die konsequente Umsetzung der Verpflichtungen aus dem UN-Sozialpakt geknüpft werden - also unter anderem ein gebührenfreies Studium. Im Plenum wurde darüber schon einmal diskutiert.

Die Reaktionen der anderen Fraktionen darauf waren wenig verwunderlich: Solch ein Vorhaben sei unrealistisch und würde den Bologna-Prozess überfrachten bzw. sogar ganz zum Scheitern bringen. Die Realitäten in der EU seien nun mal andere, als im UN-Sozialpakt dargelegt. Damit ist das zentrale Problem erkannt: Wer einen sozialen Hochschulraum will, kann diesen nicht auf der Lissabon-Strategie aufbauen.

Bessere Bildung kostet Geld. Peer Steinbrück erklärte am Donnerstag, dass es die vorgesehenen Milliarden unter anderem für die Fortsetzung des Hochschulpaktes erstmal nicht geben wird.

Dies ist ein Armutszeugnis. Innerhalb weniger Tage kann die Bundesregierung Milliarden für Banken und Unternehmen aufbringen. Im Bildungsbereich soll aber weiter gespart werden. Im Oktober 2008 erklärten Union und SPD beim Bildungsgipfel noch unisono und öffentlichkeitswirksam sie wollen die Bildungsausgaben erhöhen. Seitdem ist nichts passiert.

Dabei wäre eine Erhöhung der Bildungsausgaben längst überfällig: Die Hochschulen leiden unter einer jahrzehntelangen Unterfinanzierung. Das Betreuungsverhältnis ist miserabel: Lehrende müssen heute bis zu 100 oder 140 Studierende betreuen. Viele bekommen nicht den Studienplatz, den sie wollten und wer an der Hochschule eingeschrieben ist, hat mit Warteschlangen bei Seminaren und überfüllten Hörsälen zu kämpfen. Der Bologna-Prozess führt in dieser Situation zu noch mehr Chaos und Unzufriedenheit. Eine qualitative Studienreform geht nur mit deutlich mehr Geld.

www.linksfraktion.de, 4. Mai 2009