Zum Hauptinhalt springen

Schreddern, Leugnen, Lügen?

Nachricht,

Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie bringt immer neue Ermittlungspannen ans Licht

Von Gerd Wiegel

Die letzten drei Sitzungen des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der NSU-Taten vor der Sommerpause waren an Dramatik und Brisanz kaum zu überbieten. Mit dem Rücktritten beziehungsweise Entlassungen von Verfassungsschutzpräsident Fromm und vom Leiter des Thüringischen Landesamtes Sippel mussten zwei Verantwortliche Konsequenzen aus dem Versagen der Behörden bei der Aufdeckung der Nazimordserie ziehen. Die Aktenvernichtung beim Bundesamt, das skandalöse Verhalten des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz im Fall der verdächtigen VS-Mitarbeiters Andreas T., der politisch skandalöse Auftritt von BKA-Präsident Ziercke oder die Missachtung der vielfältigen Spuren in Richtung Rechtsextremismus beim Nagelbombenanschlag in Köln 2004: die Ergebnisse des Ausschusses können sich sehen lassen, denn das Mosaik der Fehler und Versäumnisse der Behörden wird immer dichter. Deutlich wird dabei die systematische Unterschätzung des Rechtsextremismus.

Verfassungsschutzprädident Fromm brachte das in seiner Vernehmung auf den Punkt, als er selbstkritisch feststellte, man habe die extreme Rechte mit einem zu eingeschränkten Blick gesehen, sie in einer „analytischen Engführung“ betrachtet. Gewalt, Anschläge, Sprengstoff – all das habe man der Naziszene zugetraut und auch (angeblich) im Blick gehabt, eine systematische Mordserie in Form von Exekutionen sei außerhalb des Blicks des Verfassungsschutzes gewesen. Diese Form der Selbsthinterfragung ist die Ausnahme bei den Zeugen, die in ihrer Mehrheit auch heute keine Fehler bei ihren Ermittlungen entdecken können.

Doch Fromm hatte auch allen Grund zur Selbstkritik, waren doch in seinem Amt Akten über Operationen des Bundesamtes in Thüringen vernichtet worden (Operation Rennsteig), die von höchster Brisanz sind. Die Frage stand und steht im Raum, ob vom Bundes- oder vom Landesamt für Verfassungsschutz Personen aus dem Umfeld des NSU als Quellen geführt oder zumindest angesprochen wurden. Genau diese Akten wurden im Bundesamt vernichtet und zwar nicht, wie Fromm schon im November 2011 einräumte, im Januar 2011 – also weit vor dem Bekanntwerden des NSU – sondern im November 2011, als der Generalbundesanwalt den Fall an sich zog.

Die Bedeutung dieses Vorgangs und die politische Brisanz werden klar, wenn man sich die Reaktionen des Innenministeriums gegenüber dem Untersuchungsausschuss ansieht. 26 Geheimordner wurden dem Ausschuss einen Tag vor der Vernehmung von Fromm zur Verfügung gestellt, aus denen der Inhalt der vernichteten Akten rekonstruierbar sei. Die Abgeordnete konnten am Tag vor der Vernehmung von Fromm in der Außenstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Treptow die ungeschwärzten Akten zur Operation Rennsteig mit den Klarnamen der V-Personen einsehen. Namen der Verdächtigten oder Beschuldigten fanden sich hier offenbar nicht. Da aber nicht alle vom Verfassungsschutz geführten Quellen in den Akten auftauchen, konnte der Verdacht auch nicht abschließend ausgeräumt werden. Im Gegenteil: Fromm räumte ein, dass es eine weitere Operation in Thüringen in den Jahren 2003 bis 2005 gegeben habe, wieder mit der Anwerbung zahlreicher V-Leute. Die Thüringer Naziszene – und sicher nicht nur diese – war durchsetzt mit Zuträgern der Dienste und dennoch soll es keinerlei Hinweise auf das Trio gegeben haben.

Die letzten drei Ausschusssitzungen haben noch einmal die ganze Bandbreite des behördlichen Versagens gezeigt. BKA-Präsident Jörg Ziercke präsentierte sich im Ausschuss am 28.Juni als unbelehrbar. Ermittlungsfehler wollte er nicht einräumen. Man habe immer in alle Richtungen ermittelt und auch die Spur in Richtung Rechtsextremismus ernst genommen, die durch die bayerische Fallanalyse im Jahr 2006 kurzzeitig verfolgt wurde. Die Akten des BKA sagen allerdings das genaue Gegenteil. Das Wort Rechtsextremismus sucht man dort vergebens, denn Ermittlungen liefen immer nur in eine Richtung: organisierte Kriminalität und Täter aus dem Umfeld der Opfer. Auf die Frage von Petra Pau, ob von Seiten des BKA jemals die These der Bayern, es könnte sich auch um rechtsextreme Täter handeln, der politischen Führung im Rahmen der nachrichtendienstlichen Lage im Bundeskanzleramt vorgestellt wurde, behauptete Ziercke, alle Ermittlungsansätze seien hier thematisiert worden. In den Akten findet sich davon nichts. Und auch Verfassungsschutzpräsident Fromm, ebenfalls Teilnehmer an diesen Runden im Kanzleramt, konnte sich auf Nachfrage von Petra Pau nicht daran erinnern, dass das Thema Rechtsextremismus im Zusammenhang der Mordserie dort jemals erwähnt wurde. Ganz offensichtlich hat Ziercke dem Ausschuss nicht die Wahrheit gesagt, um nicht eingestehen zu müssen, dass das BKA das Thema Rechtsextremismus systematisch ausgeblendet hat.

Die Vernehmung des Hessischen Ermittlers zum Mord an Halit Yozgat in Kassel im Jahr 2006 sorgte selbst im Ausschuss für Fassungslosigkeit. Wie allgemein bekannt, war bei diesem Mord ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen im Internetcafé und hatte sich als einziger Zeuge nicht bei der Polizei gemeldet. Für die Polizei galt er über Wochen als einer der Hauptverdächtigen, zumal er selbst einen V-Mann aus der Naziszene führte und mit diesem direkt vor und nach dem Mord telefonierte. Verständlich, dass die Polizei dringend auch diesen V-Mann vernehmen wollte. Doch, so musste es der Ausschuss lernen, Quellenschutz geht beim Verfassungsschutz vor der Aufklärung einer Mordserie. Der hessische Verfassungsschutz verweigerte der Polizei die Vernehmung und der damalige Innenminister Bouffier unterstützte das Landesamt bei dieser Behinderung der Ermittlungsarbeit. Es handele sich doch 'nur um ein Tötungsdelikt', dafür könne man nicht seine Quellen preisgeben, so las es sich in den Mails des Landesamt für Verfassungsschutz, die in den Akten zu finden waren. Dessen ehemaliger Präsident Irrgang wird dem Ausschuss einiges zu erklären haben, wenn er im September als Zeuge aussagen muss. Überhaupt zeigt sich immer wieder, dass Quellenschutz Täterschutz bedeutet. Das bayerische Landesamt gab den Ermittlern der BAO Bosporus nicht die gewünschten Infos zur Naziszene in Bayern - mit Hinweis auf den Quellenschutz. Mit eben diesem Grund hatte das Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg die Info eines V-Mannes, dass sich das Trio Waffen besorgte, nicht an die Polizei weitergegeben. Auf Nachfrage der LINKEN musste Verfassungsschutzpräsident Fromm einräumen, dass ein solches Verständnis des Quellenschutzes untragbar ist.

Anders lief es im Fall des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße in Köln. Hier war dem Bundesamt für Verfassungsschutz schnell klar, dass es sich auch um einen Anschlag von rechts handeln könnte. Ähnliche Anschläge der militanten britischen Combat 18 Szene wurden angeführt und mit dem Kölner Fall verglichen. Doch die Polizei in Köln nutzte diese Infos nicht und legte sich lieber schnell auf Ermittlungen im Bereich Organisierte Kriminalität fest. Befördert wurde dies sicher durch die Aussage des damaligen Bundesinnenministers Schily, der noch am Abend des Anschlags einen "fremdenfeindlichen" oder terroristischen Hintergrund ausschloss. Selbst ein Wochen nach dem Anschlag gefundenes Flugblatt, in dem der Anschlag gerechtfertigt wurde und das mit dem Satz "Deutsche, wehrt euch!" endet, wurde von den Ermittlern nicht als Hinweis auf eine rechte Tat gewertet. Es könnte auch als Warnung eines besorgten Bürgers gemeint gewesen sein.

In Köln waren Mundlos und Böhnhardt sogar von einer Kamera gefilmt worden, wie sie das Fahrrad mit der Bombe vor den Laden schoben und später mit Fahrrädern den Tatort verließen. Auch bei der Mordserie gab es Zeugen, die die Täter mit Fahrrädern gesehen hatte. Kurzfristig wurde im Jahr 2006 sogar eine Verbindung zwischen den Morden und dem Anschlag in Köln hergestellt, doch eine vergleichende Fallanalyse unterließ man. Ein schwerer Fehler.

Viel Arbeit wartet auf den Ausschuss nach der Sommerpause. Im September wird es noch einmal um den Mord in Kassel gehen. Hessens Verfassungsschutzpräsident Irrgang und Andreas T., der Verfassungsschützer der am Tatort war, werden als Zeugen gehört. Danach wird sich der Ausschuss mit dem Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter und dem Mordanschlag auf ihren Kollegen in Heilbronn befassen.