Zum Hauptinhalt springen
Dietmar Bartsch © Marc DarchingerFoto: Marc Darchinger

»Scholz ist für die reale Politik entscheidender als Esken«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, Die Welt,

Linke-Fraktionschef Bartsch sagt: In der Corona-Krise haben sich Union und SPD „immerhin zu einer Bundesregierung entwickelt“. Dennoch sieht er gute Chancen für ein linkes Bündnis – auch weil Merkel bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antrete. Interview: Ulf Poschardt


WELT: Herr Bartsch, wie sieht Ihr aktueller Alltag zwischen Homeoffice und politischer Routine aus?

Dietmar Bartsch: Wir sind in einer Ausnahmesituation. Mehrfach täglich gibt’s Telefon- und Videokonferenzen. Es ist ein großer Vorteil, dass sich viele Dinge mit dem Smartphone oder über den Laptop erledigen lassen. Aber das nervt manchmal auch. Nach der Krise brauche ich dringend eine Telefonkonferenzpause. Und ich kann mich kaum an eine Zeit erinnern, in der weniger Abendtermine in meinem Kalender standen. Damit komme ich sehr gut klar. Aber ich vermisse Treffen mit Freunden, Fußball, Theater und Essen mit der Großfamilie.
Anzeige

Wie sauer sind Sie auf SPD-Chefin Saskia Esken, dass sie all die Forderungen von der Linken in Sachen Umverteilung nachmacht?

Das stimmt ja so leider nicht. Als ich zu Jahresbeginn den Vorschlag machte, Geringverdiener und die Mittelschicht steuerlich zu entlasten, war sie dagegen. Grundsätzlich freue ich mich aber, wenn die SPD Vorschläge von uns übernimmt. Aber entscheidender für die reale Politik in Deutschland ist Olaf Scholz und nicht Saskia Esken. Sie schlägt ja täglich etwas vor ... Der Finanzminister sollte am Ende der Krise das Grundgesetz anwenden und einen Vorschlag für eine einmalige Vermögensabgabe vorlegen. Mir scheint, Olaf Scholz’ Neigung dazu ist zur Zeit noch nicht sonderlich ausgeprägt.

Woher kommt der aktuelle Steuerfetisch der Linken?

Fetisch? Steuern sind ein entscheidendes Instrument für Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich. Als Norddeutscher weiß ich, dass Steuern von steuern kommt, der Steuermann steuert das Schiff. Es ist doch inakzeptabel, dass in Deutschland die Zahl der Milliardäre steigt, wir inzwischen über eine Million Vermögensmillionäre haben und gleichzeitig die Zahl der Kinder, die arm sind oder von Armut bedroht sind, bei über vier Millionen liegt und weiter steigt.

Aber ...

Und jetzt in der Krise leiden zuerst diejenigen, die ihren Job verlieren oder mit 60 Prozent Kurzarbeitergeld über die Runden kommen müssen. Die Folgekosten der Krise dürfen nicht bei denjenigen hängen bleiben, die schon für die Finanzkrise geblutet haben – die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, deren Infrastruktur kaputtgespart wurde. Der ein oder andere wird es verkraften, wenn er seinen Porsche ein Jahr länger fährt als bisher.

... warum will man die Reichen ärmer und nicht die Armen reicher machen?

„Reichtum für alle“ war mal ein augenzwinkernder Wahlspruch der Linken. Unser Steuerkonzept macht keinen Reichen ärmer, aber das Land gerechter. Wozu braucht jemand die zweite Milliarde? Betrachten Sie das Steuersystem nicht zu einseitig. Die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen werden besser gestellt, wenn unser Steuersystem gerechter wird. Kinder aus einkommensschwächeren Familien profitieren, wenn mehr Geld in Schulen fließt. Deshalb sorgen Sie sich nicht so sehr um die Superreichen – sondern um diejenigen, denen es nicht so gut geht.

Wie bewerten Sie die Arbeit der Bundesregierung im Augenblick? Linke-Chefin Katja Kipping war in dieser Interviewserie sehr streng mit der großen Koalition. Und Sie?

Die Groko hat sich verändert. Sie hat sich von einer selbstbezogenen Chaostruppe immerhin zu einer Bundesregierung entwickelt. Für Jubel gibt es allerdings keinen Grund. Wie Deutschland durch diese Krise kommt, zeigt sich nicht heute, sondern in einigen Monaten. Millionen Menschen sind bedroht – in ihrer Gesundheit und ihrer wirtschaftlichen Existenz. Dass dies so ist, hat auch mit Versäumnissen dieser und vergangener Bundesregierungen zu tun, die nach der Krise aufgearbeitet werden müssen. Denken Sie an Jens Spahn. Der hat erst gesagt: Alles sei unter Kontrolle, wir sind toll vorbereitet – und nun reicht es nicht einmal für genügend Schutzmasken.
Lesen Sie auch

Wer beeindruckt Sie mehr: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) oder sein NRW-Kollege Armin Laschet (CDU)? Oder müssen Sie jetzt Bodo Ramelow (Linke) aus Thüringen nennen?

Sichtbarkeit in den Medien meistert diese Krise nicht. Der Wettlauf „Wer ist der Entschlossenste“ ist nicht hilfreich. Bei Laschet und Söder wirkt es so, dass es nicht nur um die Pandemie geht, sondern auch um ein Rennen innerhalb der CDU/CSU.

Okay, und wen finden Sie dabei überzeugender?

Mich überzeugen eher die unaufgeregt und abgestimmt Agierenden, also eher Ministerpräsidenten wie Stephan Weil, Daniel Günther oder Ramelow, um es parteipolitisch ausgewogen zu machen.
Lesen Sie auch

Ramelows Kollege aus Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), erklärt den Erfolg der östlichen Bundesländer bei der Corona-Krise auf bemerkenswerte Weise: „Staatliche Autorität wird im Osten offenbar stärker akzeptiert.“ Teilen Sie diese Einschätzung?

Haseloff muss es ja wissen ... Mich irritieren solche Stereotypen. Und die 15- bis 30-Jährigen, die mit der DDR nichts zu tun haben, haben auch staatliche Autorität verinnerlicht? Solche Ideen münden in gefährlichen Bildern. Ich möchte nicht wissen, wie Herr Haseloff unter dieser Prämisse die hohen Infektionszahlen in Italien oder Spanien erklärt.

Zuletzt haben die Strategiekonferenz der Linken und ein paar interessante außenpolitische Exotismen Ihrer Fraktion die Frage nach der Regierungstauglichkeit aufgeworfen. Etwa die Unterstützung für Venezuelas Diktator Maduro und eine Anzeige gegen Merkel wegen des US-Drohnenangriffs auf den iranischen Terroristen Soleimani. Wie viele schlaflose Nächte bereiten Ihnen die Amateure in Ihren Reihen?

Wissen Sie, ich war gerade im Urlaub, als das passierte, und mein Erholungseffekt wurde dadurch deutlich reduziert. Uns hat das alles geschadet, aber schlafen kann ich gut.

Ganz konkret: Ich als Gutverdiener werde nicht erschossen oder zur Zwangsarbeit eingezogen?

Natürlich nicht. Damit spaßt man auch nicht. Bernd Riexinger hat sich übrigens glaubwürdig entschuldigt.

Sehen Sie in der Krise die Option einer grün-rot-roten Bundesregierung schwinden?

Mitte-Links wird im nächsten Jahr eine gute Chance haben, allein schon deshalb, weil Angela Merkel nicht mehr kandidiert. Diese Krise zeigt doch, was wirklich zählt. Sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze. Gut ausgestattete Krankenhäuser. Investitionen in unsere gemeinsame Infrastruktur. Ich glaube, die Menschen in Deutschland wissen, welche Parteien dies wollen und welche eher Ihre Sorgen um die ganz Reichen teilen.

Überrascht Sie das Schlingern der Grünen in der Suche nach einer Rolle in dieser Situation?

Nein. Jetzt sind pragmatische Antworten gefragt, die Existenzen sichern. Bis zur Bundestagswahl wird sich bei den Grünen Normalität einstellen.

Was heißt das konkret bei den Grünen – Normalität? Und können die Grünen Ihrer Meinung nach keine pragmatischen Antworten geben?

Normalität meint die Umfragen. Die Grünen sind ansonsten so pragmatisch, dass sie mit jedem außer der AfD koalieren können.

Der Flügel der AfD will sich angeblich auflösen. Aber Parteichef Alexander Gauland hat im WELT-Interview keinerlei Distanzierung zu den Flügel-Leuten vorgenommen. Heißt das, die gesamte Partei muss beobachtet werden?

Die Auflösung des Flügels ist Augenwischerei. Ob die Nazis in der AfD nun im Flügel und der AfD ein Zuhause haben oder nur noch in der AfD – über eine Beobachtung entscheide nicht ich. Viel wichtiger ist aber, dass die Wählerinnen und Wähler sehen, dass diese Partei nichts zu bieten hat. Diese Krise zeigt die ganze Leere dieser peinlichen Truppe.

Meuthen schlägt jetzt eine Spaltung der Partei vor: hier die vermeintlich Bürgerlichen, dort der Flügel. Ist das die Lösung?

Die bessere Idee als Spaltung ist Auflösung.

 

Die Welt,