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Schäfer? Schädler? Zschäpe!

Im Wortlaut,

Ihre jahrelangen Freiräume verdankten die NSU-Terroristen auch der Schlamperei von BKA-Ermittlern

Von René Heilig

Unter den Aktenbergen des Bundeskriminalamtes (BKA), mit denen der Bundestagsuntersuchungsausschuss »zugeschüttet« wurde, fand sich nun ein Dokument, das abermals Zweifel am Ermittlungswillen gegen Rechtsterroristen nährt.

»Am 30. 10.2007 hat das Bundeskriminalamt aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt am Main ... die Wohnung des Beschuldigten Thorsten HEISE... durchsucht«, heißt es in einem Vermerk, der erst am 4. Mai 2009 als Verschlusssache gefertigt worden ist.

Heise ragt heraus aus dem Netz militanter Neonazis. Er war einer der ersten, die Nazimusik, rechte Jugendkultur und Politik erfolgreich miteinander verbanden. Auch als im Herbst 2000 das Blood&Honour-Netzwerk verboten wurde, liefen seine CD-Geschäfte weiter. 2004 holte die NPD den Mann in den Bundesvorstand, als Kontaktmann zu Freien Kameradschaften.

Über die BKA-Razzia wurde in Medien berichtet, immerhin besaß Heise eine Maschinenpistole, ein Maschinengewehr sowie eine Pistole. Wie aus dem 2009er BKA-Vermerk hervorgeht, fand man aber auch »drei Kassetten für ein Diktiergerät«. Auf einer ist ein Gespräch festgehalten, das Heise mit dem Gründer des Thüringer Heimatschutzes und V-Mann »Tino Brandt (phon.)« geführt hat. Es gehe, so fasst das BKA zusammen, »um Landespolitik, insbesondere um die Landesverbände in Berlin und Thüringen, um Kontakte zur NPD und die Tätigkeit des BRANDT für den Verfassungsschutz«.

Dabei fallen nach dem Hinweis auf »Nationale e.V.« auch Namen: »Andre, GOLLOGOWSKI, Frank SCHWERT, Udo VOGT, Jörg Christian WENDT, WOLLEBEN, Dieter BÖHNISCH, KAPPKE, ROSENMANN, Beate SCHÄFER (oder) SCHÄDLER, Uwe (oder) Udo MUNDLOS, Udo BOHMER (letztgenannte 3 Personen seien verschwunden).«

Schäfer, Schädler statt Zschäpe? Udo statt Uwe Mundlos? Udo Böhmer statt Uwe Böhnhardt? Nur ein wenig Mühe hätte gereicht, um hinter den drei Verschwundenen das untergetauchte Bombenbauer-Trio aus Jena zu entdecken. Die NSU-Zelle hatte bereits zehn Morde, zwei Bombenanschläge und ein Dutzend Banküberfälle begangenen. Mit minimaler Recherche wäre man auf Vernetzungsstränge gekommen. Ralf Wohlleben ist einer der im NSU-Fall Angeklagten.

Zudem ist auf den Kassetten von Geld die Rede, »das auf dem Weg zur Übergabe ... in KAPPKES Handschuhfach verschwunden sei«. Heise hat ein Gespräch mit einem »Danny« aufgezeichnet, in dem er rund 28 000 Mark Eintrittsgelder von einem Nazi-Konzert einfordert. Besagte Danny erklärte, Tino habe einen Betrag von i.H.v. 7900,00 Mark genommen«.

Auf einer der drei Kassetten geht es auch um einen »Patrick FISCHKE«. Richtig heißt der vermutlich Patrick Wieschke. Aktuell ist der Eisenacher Bundesorganisationsleiter der NPD, seit Mai 2012 Thüringer Landeschef. Er hat noch immer großes Interesse am NSU – auch als Zuhörer beim Thüringer Untersuchungsausschuss.

Petra Pau, Obfrau der Linksfraktion im Bundestags-Untersuchungsausschuss, merkt an: Bislang »musste oder sollte man davon ausgehen, dass das NSU-Nazi-Trio seit 2001 für die Strafverfolgungsbehörden unauffindbar« war. Das jetzt von gefundene Dokument lasse an dieser Version abermals »erheblich zweifeln«.

Nur bei einem Namen hat sich das BKA der Mühe unterzogen und die zugehörige Person identifiziert. Heise sprach von einem »Oberst«. Beim Abgleich mit einer Telefonüberwachung kam das BKA auf den einstigen Regimentskommandeur der »Brandenburger«. Diese Wehrmachtseinheit hat sich zahlloser Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Oberst Wilhelm Walther sollte offenbar das Vorwort für ein Buch schreiben. Doch da der Ritterkreuzträger 96 Jahre alt und »zudem taub sowie blind sei«, wollte Heise ihm »Vorgeschriebenes übersenden«.

Der Berliner NSU-Ausschuss beklagt sich freilich nicht über solche Akten, wohl aber darüber, dass so wenige von dieser Art geliefert werden. So fehlen noch immer Briefe der Terroristen sowie Exemplare des »Weissen Wolf« . In dem Hetzblatt tauchte der Begriff NSU bereits Anfang 2001 auf. Unmut gibt es auch über Sachsen-Anhalt. Die Landesregierung hat mitgeteilt, Tausende von Akten müssten digitalisiert werden, bevor man sie im März oder April an den Ausschuss geben könne. Bis dahin müssen die Abgeordneten ihre Ermittlungen aber abgeschlossen haben.

neues deutschland, 3. Dezember 2012