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"Ricke, racke geht die Mühle mit Geknacke"

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Schröder, russische Mafiosi und Gasprom. Günter Grass, ein verbogener Revolver und der Verrat an Idealen - Politik macht hart, man verliert Freunde Warum ging Oskar Lafontaine zurück in den Bundestag? Wo er nun neben Gregor Gysi sitzt - und die zwei wie Max und Moritz wirken - Arno Luik sprach für den Stern mit Oskar Lafontaine.

Herr Lafontaine, gestern hat Gerhard Schröder...

Bitte, ich möchte jetzt nicht schon wieder über Schröder reden, das langweilt mich allmählich. Er ist weg aus dem Bundestag, und ob er oder irgendein russischer Mafioso nun viel Geld von Gasprom kassiert, ist mir egal.

Gasprom, eine Firma, die auf dem Energiemarkt knüppelhart agiert.

Gut, man könnte sich schon fragen, ob ein ehemaliger Kanzler sich in die Verpflichtungen eines russischen Staatsunternehmens einspannen lassen kann? Aber Schröder ist nun aus der Politik verschwunden, und das ist schon okay so, denn wäre er noch im Bundestag, so würde es doch immer wieder auf eine persönliche Beharkung zwischen mir und ihm hinauslaufen, ich wäre da nie ganz frei gewesen, eine persönliche Fehde eben.

Herr Lafontaine, vor ein paar Jahren taten Sie und Schröder so, als ob Sie die allerbesten Freunde seien. Kein Stück Papier, sagten Sie damals, passt zwischen uns!

Wir lachten, als ich das sagte. Das war ironisch gemeint, aber Ironie wird nur selten verstanden. In der Politik gibt es keine wirklichen Freundschaften, nur Zweckbündnisse auf Zeit. Es ist ja immer ein Kampf um Macht, ein Gerangel, ewige Rivalität.

Politik macht hart.

Ja. Politik ist ein hartes Geschäft. Man muss einstecken können.

Wenn das so ist: Warum sind Sie dann zurück in die Politik?

Ich bin ein politischer Mensch. Zum Leben gehört geistige Arbeit, geistige Herausforderung. Und Deutschland braucht eine Partei, die die kulturelle Hegemonie der Neoliberalen bricht, Deutschland braucht eine starke Linke.

Aha.

Ja. Wir stecken doch mitten in einem Kulturkampf. Es tobt ein Kampf um die Köpfe. Der Gedanke des Solidarischen ist systematisch aus der Sprache verdrängt worden. Die politische Sprache ist durch und durch korrumpiert. Der Sprachschatz der neoliberalen Kaste kaschiert den Verfassungsbruch. Sie sprechen vom Umbau des Sozialstaats und meinen: Abbau. Sie sagen: "Wir wollen Deutschland fit machen für die Zukunft." Und meinen: soziale Leistungen kürzen. Rentenalter hoch, Arbeitslosengeld runter. Wenn sie "Modernisierung" oder "Flexibilisierung" sagen, meinen sie: sozialen Kahlschlag, Zertrümmerung von Arbeit- nehmerrechten. Sie benutzen schön klingende Worte, aber es sind Lügenwörter. "Die Dinge falsch benennen", sagt Albert Camus, "heißt das Unglück der Welt vergrößern."

Aber Sie wissen, wo es langgeht, wo es langgehen muss?

Ich sage nur, dass die Agenda 2010 keine Kopfgeburt Gerhard Schröders ist. So wenig wie Merkels Kopfpauschale eine Erfindung der Kanzlerin ist. Das sind uralte Ladenhüter der Unternehmerverbände. Aber die meisten Politiker schaffen es nicht mehr, eigenständig zu denken, weil neoliberale Kampfbegriffe - Lohnnebenkosten! Besitzstandswahrer! Neiddebatte! - ihr Denken bestimmen. Sie lassen sich treiben von der Wirtschaft, und willfährige Medien spielen das üble Spiel mit.

Das ist doch Unsinn.

Nein. Im Kapitalismus wird nicht nur, wie Marx sagte, die Arbeit entfremdet, sondern auch die Sprache und damit das Denken. Es ist doch ein Irrsinn, was in diesem Land vor sich geht, ohne einen kollektiven Aufschrei zu provozieren. Da sagt der Deutsche-Bank-Chef Ackermann: ”Ich brauche eine Kapitalrendite von 25 Prozent." Gleichzeitig wird in den Zeitungen darüber philosophiert, dass eine Lohnforderung von drei Prozent eine bodenlose Unverschämtheit ist! Ich muss jetzt mal Adam Smith zitieren: ”Wir brauchen die Kapitalisten, aber ihre Interessen decken sich niemals mit denen der Allgemeinheit, vielmehr sind sie darauf aus, die Öffentlichkeit zu täuschen."

Und deswegen sind Sie zurück in den Bundestag, um das zu verhindern, um Deutschland zu retten?

So hoch hänge ich das nicht. Aber ich will mich in diesen Kampf, in diesen neuartigen Klassenkampf schon einmischen.

Klassenkampf?

Ja. Klassenkampf. Ich habe dafür einen wunderbaren Kronzeugen, einen der reichsten Männer der Welt, Warren Buffet. "Es herrscht", sagte er neulich, "ein Klassenkampf, und meine Klasse gewinnt." Es ist also ein geradezu moralischer Imperativ, sich gegen diese neoliberale Walze zu wehren.

Aber fragen Sie sich nicht manchmal, um mit Brecht zu sprechen: "Sind wir Übriggebliebene, herausgeschleudert / Aus dem lebendigen Fluss? / Werden wir zurückbleiben / Keinen mehr verstehend und von keinem verstanden?"

Sie täuschen sich, ich empfinde mich nicht als herausgeschleudert. Sie sind doch gerade hier übers Land gefahren - es gibt Ortschaften im Saarland, da haben wir bei der Bundestagswahl aus dem Nichts über 30 Prozent der Stimmen bekommen. Das ist ein Geschenk, das verpflichtet. Ich kämpfe gern, ich habe diese kämpferische Natur von meiner Mutter. Und es macht auch Spaß zu erleben, wie die Parteien der Marktwirtschaft immer mehr ins Stottern geraten. Es macht doch Spaß zu sehen, dass der Herr Glos von der CSU nun plötzlich nach Lohnerhöhungen ruft! Ohne die Linke wäre das nie passiert.

Sie haben ja einen klaren Auftrag, 0-Ton Lafontaine: "Ich will Stimmung machen gegen die Ausbeuter in Deutschland!"

Ja, man kann es doch nicht hinnehmen, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. Wer heute an dieser Gesellschaft nichts verändern, sie nicht gerechter machen will, dem kann man nicht mehr helfen. Anders ausgedrückt: Man kann doch nicht glücklich sein, wenn andere unglücklich sind!

Das klingt mächtig pathetisch.

Das mag ja sein, aber es geht um soziale Gerechtigkeit. So einfach ist es!

Das sagen Sie! Sie!

Ja, warum denn nicht?

Sind Sie denn glaubwürdig? Sie stellen sich ein protziges Haus hin, einen Palazzo di Prozzo und.. .

Das ist doch nun "Bild"-Zeitungsniveau!

Sie kennen sich da aus. Jahrelang haben Sie ja für dieses Blatt gearbeitet und ...

... weil ich ihr Niveau nicht erreicht habe, haben wir uns getrennt. Aber egal. Wer sich für Verteilungsgerechtigkeit einsetzt, wird an den Pranger gestellt. Mein Haus hat eine Grundfläche von gerade mal elf auf elf Meter. Dazu kommen eine Garage und die kleine Wohnung meiner Mutter. In diesem Haus wohnen drei Generationen - wir, meine 90 Jahre alte Mutter, meine 88-jährige Schwiegermutter. Wer sich über diesen angeblichen Palazzo das Maul zerreißt, sollte sich fragen, ob er selbst bereit wäre, mit der älteren Generation unter einem Dach zu leben.

Sie sind also mit sich im Reinen?

Ja - soweit ein Mensch mit sich im Reinen sein kann. Selbstzweifel gehören dazu. Aber wenn ich auf mein Leben zurückblicke, empfinde ich so etwas wie Dankbarkeit. Ich habe auch das Gefühl, die Ziele und Hoffnungen meiner Jugend nicht verraten zu haben.

Wie war das eigentlich für Sie, als Sie am 24. Mai 2005 Ihren Austritt aus der SPD bekannt gaben?

Ich konnte nicht anders. Um mir treu zu bleiben, musste das sein, es war zwingend notwendig. Für mich waren die Jahre zuvor sehr schmerzhaft, als ich miterleben musste, wie die Partei ihre sozialen Grundsätze aufgab. Wie die SPD-Genossen im Bundestag ihre Hände für völkerrechtswidrige Kriege hoben und damit in Kauf nahmen, dass Unschuldige gemordet und gefoltert würden.

Im Irak-Krieg aber sagte Schröder: "Ohne uns!"

... und hat beim Krieg doch mitgemacht. Nun kommt die Heuchelei ja raus, es zeigt sich, dass Rot-Grün mit gespaltener Zunge geredet hat. BND-Beamte in Bagdad halfen US-Bombern. Die Schröder/Fischer-Regierung hat das Volk getäuscht. Arme SPD.

Dennoch: So ein Parteiaustritt, nehme ich an, macht einsam.

Nein, meine Freunde sind mir geblieben.

Aber wie ist es, wenn Ihr Ex-Parteifreund Reinhard Klimmt Ihnen hinterherruft: "35 Jahre lang haben wir erzählt, der ist gut. Aber der war nie gut, der hat immer nur an sich gedacht!"

Es gibt ehemalige politische Weggefährten, über die ich mich nicht äußere.

Weil da Wunden sind?

Weil Schweigen des Sängers Höflichkeit ist.

Und dann kommt noch der Schriftsteller Günter Grass und faucht Sie an: ”Halts Maul! Trink deinen Rotwein!"

Grass, tja. Er hat diese unglaubwürdige Entwicklung der SPD mitgemacht. Er hat mal Kriege befürwortet, sie mal abgelehnt. Er hat im vergangenen Jahr diese Plastik mit dem verbogenen Revolver im Kanzleramt mit übergeben - in jenem Jahr, in dem die rot-grüne Koalition die Waffenexporte nochmals gesteigert hatte. Ich kann bei Grass keine Linie mehr erkennen, nicht in der Friedenspolitik, nicht in der Sozialpolitik. Er hat diesen Aufruf, mit dem einige Millionäre die Hartz-IV-Reformen verteidigten, mit unterschrieben. Er hat den Armen zugerufen: Ihr müsst verzichten! Das ist für unser Land überlebensnotwendig! Peinlich.

Peinlich ist doch auch, dass Sie nun Mitglied der PDS sind...

Moment mal, ich bin Mitglied der WASG und neuerdings der "Linkspartei", die ...

... ein Kind der PDS ist - einer Partei, die Joschka Fischer mal als ”ein Resozialisierungsprojekt für NVA-Veteranen, Volkspolizei und Berufsmilitärs" bezeichnet hat.

Joschka Fischer, der Joschka hat's nötig: Ein Straßenkämpfer, der mal den Nato-Austritt wollte, eine soziale Revolution, eine gerechte Welt ohne Oben und Unten. Der, um an die Macht zu kommen und zu bleiben, den Pazifismus der Grünen verraten hat. Übrigens, die PDS hat sich stark gewandelt, Zehntausende hatten nie ein SED-Parteibuch, mit den Mitgliedern der WASG besteht nun wirklich die Chance, wieder eine linke Partei im Land zu etablieren. Ich bemühe mich, das, was zerstört worden ist, wieder aufzubauen. Es ist eine Bewegung mit Leuten, die ähnliche Ziele haben wie ich - die gegen Kriege sind, gegen Sozialabbau. Ich fühl mich da wohl.

Ja?

Ja.

Und nun sitzen Sie neben Gysi im Bundestag - wie Max und Moritz wirkend.

Auf was wollen Sie denn jetzt wieder hinaus? Sie wissen ja, wie die zwei geendet haben. Ricke, racke geht die Mühle mit Geknacke ... Jetzt kommen Sie also mit den düsteren Prognosen und der Hoffnung, dass wir uns überwerfen.

Ich sage nur: kein Stück Papier...

Und ich sage nur: Gysi und ich - wir kennen uns seit langem. Wir arbeiten gut zusammen, und ich denke schon, dass wir dieses Projekt gemeinsam verwirklichen werden: ein Linke aufzubauen, die die demokratiegefährdende Hegemonie der Neoliberalen bricht.

Im Klartext: Sie wollen an die Macht. Sie wollen in die Regierung.

Wir lechzen nicht nach Regierungsämtern! Wir wollen die Politik in diesem Land verändern. Und Mitregieren hat für die Linke nur dann einen Reiz, wenn sie wirklich etwas verändern kann. Ins Bett des Neoliberalismus legen wir uns nicht!

Aber das wäre doch die perfekte Vollendung Ihres Lebens: Sie vereinigen die Linke mit der SPD - und werden Ehrenvorsitzender der erneuerten SPD.

Ach was, diese Frage stellt sich überhaupt nicht! Wichtig ist, dass wir auch im Westen bei den kommenden Landtags- und Kommunalwahlen gut abschneiden. Und was in einigen Jahren dann sein wird, kann ich doch heute nicht sagen!

Sie sind nun 62 Jahre alt, denken Sie daran, dass Ihre Lebenszeit immer kürzer wird?

Ja, klar. Ich habe ja diese existenzielle Erfahrung des Attentats.

Am 25. April 1990 wurden Sie bei einem Wahlkampfauftritt von einer geistesgestörten Frau niedergestochen.

Seither lebe ich mit dem Wissen, dass es jeden Moment vorbei sein kann. Ich lebe nun so bewusst, dass ich mir nicht mehr vorwerfen muss: Himmel, du hast vieles falsch gemacht! Prioritäten haben sich damals verschoben. Ich habe erkannt, ich muss eine Symbiose finden zwischen Privatleben und politischem Leben.

Viele, die an der Schwelle zum Tod standen, sagen anschließend: Ich habe ein weißes Licht gesehen.

Ja, es gab eine schnelle Lebensbilanz. Ein Art Film lief ab, und langsam schwand das Bewusstsein. Ich war erschöpft und sagte mir: Wenn jetzt nicht bald Hilfe kommt, ist es vorbei. Ich hatte Todesangst, Angst, dass nicht rechtzeitig Hilfe kommt, die Ermüdung wurde immer größer.

Was mich damals gewundert, ja fast geärgert hat: dass Sie so rasch zurück in den Wahlkampf gingen!

Ich wollte das nicht. Ich wollte einem anderen den Stab des Kanzlerkandidaten übergeben. Aber keiner war dazu bereit. Niemand! Ich habe mehrere aus der Führungsriege gefragt.

Wen denn?

Einmal Willy Brandt, der 1990 im Osten gefeiert wurde, und einige der Enkel. Aber keiner wollte ran. Ich war schwer geschwächt - und musste weitermachen. Das ist eine meiner negativsten Erfahrungen mit der SPD, dass keiner aus der Führungsriege in dieser Situation mir half.

Es gibt ein Stück von Max Frisch: "Biografie: Ein Spiel." Ein Mann erhält die Chance, sein Leben auszuradieren, völlig neu anzufangen. Aber in allen wichtigen Punkten entscheidet er wie beim ersten Mal.

Was nützen solchen Überlegungen? Es ist, wie es ist. Aber machen wir dennoch mal das Spiel: Wäre heute nochmals 1998, übernähme ich selbst die Kanzlerkandidatur. Die Vorstellung, es gäbe keine Beteiligung Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegen, es gäbe keine Agenda 2010, es gäbe stattdessen mehr Beschäftigung und mehr soziale Gerechtigkeit, ist schon reizvoll.

Sie sind ein Träumer.

Nein, obwohl diese Vorstellung einen schön ins Träumen bringen kann.

Interview: Arno Luik

stern, 19. Januar 2005