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Rente ab 70: Von der Lebenswirklichkeit meilenweit entfernt

Im Wortlaut von Klaus Ernst,

Von Klaus Ernst, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales

 

 

 

Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GfK möchten 87 Prozent der Deutschen mit der Erwerbsarbeit aufhören, bevor sie 65 Jahre alt sind. 53 Prozent würden das noch vor dem 60. Geburtstag tun, wenn damit keine gravierenden materiellen Einbußen verbunden wären. Die Rente mit 67 oder gar mit 70, wie sie vom Handwerkspräsident Otto Kentzler gefordert wird, wird dagegen als unzumutbar abgelehnt.

Dabei geht es in den meisten Fällen gar nicht um das "Wollen", sondern um das "nicht mehr Können". Denn eine weitere Umfrage im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes "Index Gute Arbeit" vom Juni dieses Jahres hat gezeigt, dass rund die Hälfte der 5000 befragten Beschäftigten es nicht bis ins Rentenalter schaffen werden.

Was treibt den Handwerkspräsidenten also mit seinen auch schon 71 Lenzen um? Weiß er denn nicht, dass praktisch kein Dachdecker oder Mauerer bis zum 60. Lebensjahr auf dem Dach oder dem Gerüst stehen kann?

Es sei der Fachkräftemangel, der es aus Sicht Kentzlers notwendig mache, dass die Beschäftigten länger arbeiten sollten. Tatsächlich waren aber im Juni 2013 gut 560.000 über 55-Jährige als arbeitslos registriert. Die Arbeitslosenquote Älterer lag 2012 bei 8,2 Prozent und damit höher als die allgemeine mit 6,8 Prozent. Gleichzeitig bilden nur noch 22 Prozent der Unternehmen aus. Kein Wunder also, dass im vergangenen Jahr lediglich 70 Prozent aller ausbildungsinteressierten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten haben. Mittlerweile haben so 2,2 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren keine abgeschlossene Ausbildung.

Anstatt sich über einen Fachkräftemangel zu beklagen, sollte sich der Handwerkspräsident endlich um ausreichend Ausbildungsplätze und die Einstellung von älteren Arbeitslosen kümmern. Die Debatte um die Rente erst ab 70 ist also in Wahrheit eine Scheindebatte und zeigt noch einmal, was schon jetzt die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre für viele Beschäftigte bedeuten wird: eine Rentenkürzung, die sich gewaschen hat. Aber das wird den Handwerkspräsidenten wenig beeindrucken, denn von der Lebenswirklichkeit ist er meilenweit entfernt.

linksfraktion.de, 6. August 2013