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Rechtsverstöße der Geheimdienste endlich abstellen

Interview der Woche von André Hahn,

André Hahn, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, im Interview der Woche über Geheimdienstskandale, die Aushöhlung der Grundrechte, die Pläne der Großen Koalition, einen Ständigen Sachverständigen für die Kontrolle der Geheimdienste abzustellen, und die Vorratsdatenspeicherung

 

Eine Geheimdienstaffäre reiht sich an die nächste, ein Ende ist nicht in Sicht. Sie beschäftigen sich schon seit Mitte der 1990er-Jahre mit der Kontrolle der Geheimdienste, zunächst im Sächsischen Landtag, seit 2013 nun im Bundestag. War das Ausmaß an Geheimdienstskandalen, das wir seit den Veröffentlichungen von Edward Snowden und den Anschlägen des NSU erleben müssen, in dieser Dimension vorstellbar?

André Hahn: Nach all den Jahren, in denen ich mit der Geheimdienstkontrolle im Parlament befasst war, kann mich eigentlich kaum noch etwas erschüttern. Gleichwohl war ich wie viele andere entsetzt darüber, dass die Morde und andere Verbrechen des NSU, der ganz sicher nicht nur aus einem Trio bestand, über mehr als ein Jahrzehnt unerkannt blieben, obwohl sich im Umfeld des rechtsterroristischen Netzwerkes oder sogar darin zahlreiche V-Leute des Verfassungsschutzes tummelten. Die Enthüllungen von Edward Snowden haben auch noch mal im internationalen Maßstab deutlich gemacht, wie Geheimdienste arbeiten und dass dabei Recht und Gesetz häufig umgangen werden.

Warum gelingt es nicht, Geheimdienste wie den Bundesnachrichtendienst und den Verfassungsschutz auf die Einhaltung der Grundrechte zu verpflichten?

Offiziell sind die Nachrichtendienste nicht nur zu Einhaltung der Grundrechte im Grundgesetz, sondern auch aller anderen gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet. Unter dem Vorwand der ohne Zweifel notwendigen Terrorabwehr werden offenbar mit Billigung der Bundesregierung  jedoch immer mehr Sonderregelungen geschaffen, Grundrechte ausgehöhlt und Gesetze unterlaufen, wie sich nicht zuletzt im NSA-Untersuchungsausschuss gezeigt hat. Deshalb ist dieser Ausschuss auch so wichtig, denn er deckt – vor allem durch Beweisanträge der Opposition – immer mehr Rechtsverstöße auf. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, diese endlich abzustellen.

Die Große Koalition will nun gegensteuern. Nach Plänen von Union und SPD soll ein Ständiger Sachverständiger und ein großer Apparat eingerichtet werden, um die Kontrolle der Geheimdienste zu übernehmen. Was halten Sie von diesen Plänen?

Dass die Koalition einsieht, dass die derzeitige parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste fast wirkungslos ist und deutlich gestärkt werden muss, ist ein erstes positives Zeichen. Die nunmehr angekündigte Reform mit einem Sachverständigenmodell als Kern löst aber kein einziges der vorhandenen Probleme. Alle bisherigen Erfahrungen zeigen: Geheimdienste lassen sich nur sehr eingeschränkt kontrollieren. Sie sind ein Fremdkörper in einer Demokratie und müssen deswegen überflüssig gemacht beziehungsweise aufgelöst werden. Solange sie noch existieren, setzen wir uns für die Ausweitung und Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Dienste ein. Ein neuer Beauftragter mit einer eigenen Behörde hilft dabei nicht weiter. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, dass bestimmte und vor allem die brisanten Dinge nur noch dem Sachverständigen – wie zuletzt bei der so genannten Selektorenliste mit den rechtswidrigen Suchbegriffen der NSA – und nicht mehr den eigentlich zuständigen gewählten Volksvertretern mitgeteilt und damit letztlich die Kontrollrechte des Parlaments weiter beschnitten werden. Das ist unter keinen Umständen hinnehmbar.

Aber war es nicht so, dass die Abgeordneten des Bundestags mit der Kontrolle der Geheimdienst auch überfordert waren?

Keine Frage: Neun Abgeordnete könne drei deutsche Geheimdienste mit mehreren tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern niemals vollumfänglich kontrollieren, erst recht, wenn die Dienste selbst und in letzter Konsequenz das Bundeskanzleramt entscheiden, welche Vorgänge den Abgeordneten vorgelegt oder worüber sie informiert werden. Wir können immer nur das bewerten, von dem wir auch Kenntnis haben.

DIE LINKE will ja die Geheimdienste am liebsten auflösen. Aber wie sollen die Dienste denn ihrer Meinung nach kontrolliert werden, solange es sie noch gibt?

Unsere programmatische Zielsetzung gilt unverändert, aber wir müssen auch die politischen Realitäten zur Kenntnis nehmen. Es gibt absehbar nicht einmal ansatzweise eine parlamentarische Mehrheit zur Abschaffung der Geheimdienste. Ähnliches gilt – um mal ein anderes Beispiel zu nennen – für die Aufhebung der Zuständigkeit der Länder für das jeweilige Bildungssystem. Für 16 unterschiedliche Schulsysteme und -gesetze gibt es keinerlei sachliche Notwendigkeit und dennoch wird sich daran nichts ändern, weil für ein einheitliches Schulsystem in Deutschland eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag wie im Bundesrat erforderlich wäre, die derzeit völlig aussichtslos ist.

Wenn eine Auflösung der Geheimdienste derzeit nicht durchsetzbar ist, müssen wir wenigstens darauf hinwirken, die parlamentarische Kontrolle zu verbessern. Natürlich brauchen die Abgeordneten für die Ausübung ihrer Kontrolltätigkeit angemessene personelle Unterstützung – Anfänge dazu sind ja mit der Einsetzung einer so genannten Task-Force im Parlamentarischen Kontrollgremium auch schon gemacht worden. Die Einsetzung eines Geheimdienstbeauftragten, wie von der Koalition vorgeschlagen, ist definitiv der falsche Weg: Das Parlament braucht statt weiterer Entmündigung vor allem selbst mehr Rechte. DIE LINKE wird im Herbst dazu eigene Vorschläge in den Bundestag einbringen.

Auf der Agenda steht nach der Sommerpause die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung. Wie wird DIE LINKE politisch agieren?

Dazu wird es ein klares „Nein“ der Abgeordneten der LINKEN geben. Die bisherigen Gesetzesinitiativen zu Vorratsdatenspeicherung sind sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof als rechts- und verfassungswidrig eingestuft worden. Von daher ist es ein absolutes Unding, dass die Bundesregierung nun offenbar einen neuerlichen Versuch unternehmen will, eine irgendwie halbwegs rechtskonforme Regelung zu konstruieren. Daran werden wir uns garantiert nicht beteiligen! Ich persönlich bedauere, dass Justizminister Maas seine ursprünglich klar ablehnende Position aufgegeben hat und sich in dieser Frage seinem Parteivorsitzenden Gabriel gebeugt hat. Die SPD spielt leider auch hier keine gute Rolle.

linksfraktion.de, 31. August 2015