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Rechtspopulismus – wann, wo und wie fängt er an?

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Von Luc Jochimsen

Wo? Auf jeden Fall nicht an irgendwelchen Rändern irgendwelcher Gesellschaften, sondern mitten in unserem Alltag. Und wann und wie?

Einfallstor 1 ist die Sprache. Das gesprochene, geschriebene und vor allem gebloggte Wort. "Geh' sterben du Schlampe", sagt oder schreibt ein Jugendlicher einem Mädchen. Das ist so menschenverachtend wie alles, was in den Pamphleten der Rechtspopulisten auftaucht. Unsere Umgangssprache ist eine Wüste des Inhumanen geworden und wir haben es nicht gemerkt oder wollen es nicht bemerken: Du Arsch, Du Opfer, Du Jude, Du Sau, Du Fotze, Du Wichser. Oder auch "What the fuck" als Name eines Protestbündnisses von Papstgegnern.

Einfallstor 2 ist die vorgebliche oder tatsächliche Dummheit und Geschichtsvergessenheit. Eine Mutter steht im Kinderzimmer ihres Sohnes vor dem Poster mit dem Hakenkreuz und sagt ohne eine Spur von Schuldbewusstsein in die Kamera: "Das hat doch nichts zu bedeuten. Der hat doch den Krieg gar nicht erlebt. Der weiß doch überhaupt nicht, was das bedeutet. Er will halt ein Tabu brechen. Jugendlicher Protest. Ich sehe da gar nichts Schlimmes."

Einfallstor 3 sind die Massenmedien mit ihrem "Wir schreiben und senden was das Volk wirklich interessiert"–Credo. Da geht es dann nur um Skandale und Sündenböcke, Huren und Helden, Heilige und Schurken. Und die Darstellung der Politik schildert eine reine Event- oder Imagepolitik. Alles ist Brot und Spiele - die Benzinpreise, der Kinderschänder, die Traumhochzeit, die Ausländer unter uns.

Einfallstor 4 ist unsere "gefühlte Wirklichkeit". Wir "fühlen" uns nicht sicher, auch wenn uns seit Jahren kein Einbrecher oder Dieb geschädigt hat. Wir "fühlen" uns an den Rand gedrängt, obwohl wir 80 oder 90 Prozent der Mehrheit in unserer Stadt stellen. "Gefühlte Ängste" machen aus Bürgern und Bürgerinnen leicht ansprechbare Adressaten für Rechtspopulisten.

Einfallstor 5 ist die Gesellschaftsfähigkeit dumpfer Agitation. Das Motto lautet: Das wird man ja wohl mal sagen dürfen - mit dem Zusatz: endlich. Und schon werden Stammtischparolen zu Partygeplauder und spielerischem Austesten, was die anderen so denken, beim Latte Macchiato.

Einfallstor 6 ist der Wegfall unserer Vorbild-Nachbarn in Skandinavien. Früher, ja früher da konnte man auf Skandinavien verweisen: In Dänemark wäre doch "so etwas" gar nicht möglich oder in Norwegen. Oder auch in den Niederlanden. Seit das vorbei ist, ist alles auch bei uns nur noch halb so schlimm, wenn nicht sogar richtig. Und so kommt es nun auch noch zu:

Einfallstor 7, genannt der "moderate Rechtspopulismus". Die neuen, moderaten Rechtspopulisten gibt es überall in Europa. Sie regieren sogar mit, führen Grenzkontrollen wieder ein - alles ganz demokratisch. Was ist dagegen zu sagen?

Einfallstor 8 ist Ablehnung von "Zuviel Kultur" in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Wer braucht eigentlich Theater, Orchester, Museen, Bibliotheken, Bildergalerien? Das ist doch unnützes Zeug und viel zu teuer. Weg damit!

Einfallstor 9 ist Bildungsfeindlichkeit. So viele Abiturienten, Hochschulen, Lehrer, Professoren. Müssen die sein? Und müssen so viele Ausländer bei uns studieren – auf unsere Kosten?

Einfallstor 10 schließlich ist ein Widerwille gegen alles, was links ist. Moderater Rechtspopulismus ist viel besser als jede Linke. Da wird nicht gefragt, nix geprüft. Da steht man auf Jahrzehnte lang festgestampftem Boden hierzulande. Und wenn aus dem moderaten Rechtspopulismus strammer Rechtspopulismus wird, ist das lange nicht so schlimm, wie irgendein Linksruck, der angeblich durchs Land geht. Man braucht ja nur nach Brandenburg zu schauen oder Nordrhein-Westfalen beispielsweise.

10 Einfallstore sind nicht wenige. Wahrscheinlich gibt es sogar noch mehr. Wie Rechtspopulismus endet, wohin er führt, das lehrt uns die Schreckenstat von Oslo und Utoya. Wann und wie Rechtspopulismus beginnt, auch bei uns, darüber müssen wir in diesen Tagen nachdenken. Nur so sind Mittel zu finden, die verhindern, dass es bei uns irgendwann auch so endet. Es geht darum, Menschenverachtung in jeder Form entgegenzutreten.

Nachtrag: Am 25. Juli ist auf ein Mehrfamilienhaus in Leverkusen, in dem viele Roma wohnen, ein Brandanschlag verübt worden, der das Erdgeschoss völlig zerstörte. In Leverkusen ist die rechtspopulistische Bewegung "Pro NRW" aktiv.

linksfraktion.de, 29. Juli 2011