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Reale Gleichstellung in weiter Ferne

Im Wortlaut von Dagmar Enkelmann,

Von Dagmar Enkelmann, 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE. Bundestag
 

 

 

Zu einer Sternstunde der Politik hätte der 12. Dezember 2012 werden können. Am Abend tagte der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag in Berlin. Als Punkt 6 der Tagesordnung stand das Jahressteuergesetz 2013 an. Auf dem Tisch lag ein sechzehnseitiger Antrag der beiden Vertreter der LINKEN zur steuerlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften. In unzählige Paragrafen des Einkommensteuerrechts sollte nach dem Wort "Ehegatten" nunmehr auch das Wort "Lebenspartner" eingefügt werden.

Was so trocken daherkommt, barg und birgt politische Sprengkraft. Seit es 2001 die eingetragene Lebenspartnerschaft gibt, legt sich insbesondere die Union bei der steuerlichen Gleichstellung quer. Bei der Abstimmung zu später Stunde hatte Schwarz-Gelb aber das Nachsehen: Mit 19 zu 12 überstimmten die rot-rot-grünen Vertreter im Vermittlungsausschuss die von Union und FDP. Erst mit ihrer Mehrheit im Bundestag konnten die Koalitionäre Mitte Januar die Niederlage im Vermittlungsausschuss ausbügeln und die steuerliche Gleichstellung vorerst stoppen.

Die Sternstunde fiel aus. Rein aus Ideologie missachtet die Regierungskoalition die Rechtsprechung höchster Gerichte. Erst jüngst hat das Bundesverfassungsgericht - diesmal beim Adoptionsrecht - Klartext gesprochen: Der durch Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes gebotene besondere Schutz der Ehe rechtfertige nicht die Benachteiligung angenommener Kinder eines Lebenspartners gegenüber angenommenen Kindern eines Ehepartners. Zwar sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Zur Rechtfertigung der Benachteiligung vergleichbarer Lebensgemeinschaften bedürfe es jedoch eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der nicht gegeben sei.

Auch beim Steuerrecht ist dieser Grund nicht zu erkennen. Das Ehegattensplitting ist nichts anderes als ein steuerlicher Vorteil aufgrund eines Trauscheins. Selbst die Kanzlerin genießt diesen - denn ob Kinder in der Ehe vorhanden sind oder nicht, spielt keine Rolle. Für Rechtsexperten ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Verfassungsrichter auch diese letzte Bastion der Diskriminierung anderer Lebensweisen gegenüber der Ehe schleifen werden.

Wer Familien wirklich fördern will, sollte zum Beispiel die unsäglichen Bedarfsgemeinschaften bei Hartz IV abschaffen und die Regelsätze für Kinder und Jugendliche menschenwürdig gestalten. Der sollte das Kindergeld deutlich erhöhen und eine Kindergrundsicherung einführen. Und der sollte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen.

Dass Deutschlands homosexuelle Paare vermutlich noch einige Zeit auf ihre völlige rechtliche Gleichstellung warten müssen, liegt im Moment entweder an einer bayrischen Regionalpartei oder am liberalen Koalitionspartner. Der scheint bei diesem Thema nicht so viel Mut zu haben wie bei der Auswahl des Bundespräsidenten oder der Abschaffung der Praxisgebühr.

Worin besteht aber beispielsweise die grundlegende Abneigung gegen die Homoehe? Was treibt die Gegner an, sich gegen so kleine Korrekturen im Steuer- und Adoptionsrecht so stark zu wehren? Meist werden die Gründe nicht sehr deutlich formuliert. Es sind aber Vorurteile, die bis in die Mitte der Gesellschaft zu finden sind.

Zunächst existiert der Glaube der Gegner, dass Homosexualität eine Lebensentscheidung ist, die jeder Mensch für sich trifft. Dass das nicht zutrifft, ist in den Köpfen vieler, die sich nicht viel mit dem Thema auseinandergesetzt haben, noch nicht angekommen. Die Annahme, dass Homosexuelle auch eine klassische Ehe eingehen könnten, wenn sie nur wollten, scheint fest verwurzelt.

Gleichstellung ist am Ende auch eine Sache der gesamten Gesellschaft. Solange es zum Beispiel im Beruf und im Leistungssport von Nachteil sein kann, seine Sexualität zu outen, sind wir von einer realen Gleichstellung noch weit entfernt. Die Diskussion auch darüber muss weitergehen.

linksfraktion.de, 6. März 2013