Hintergrundpapier
Nach jahrelangem Kampf ist nun eines der bedeutendsten Reformvorhaben im europäischem Gesundheits- und Umweltschutz über die Bühne gegangen zu sein: Am 30. November einigten sich Vertreter des Europäischen Parlaments und des EU-Ministerrates auf einen Kompromiss zur Chemikalienreform REACH, der im Dezember von beiden Häusern formell verabschiedet wurde.REACH steht für „Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien“. Wenn die neue Verordnung voraussichtlich im Frühjahr 2007 in Kraft tritt, wird sie für alle Mitgliedstaaten unmittelbar bindendes Recht.
Der erzielte Kompromiss ist nach Ansicht der LINKEN ein harter Schlag gegen die Interessen der Verbraucher/innen und der Umwelt. Aus einem vormals weitgehend fortschrittlichen Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission wurde ein im Wesentlichen an den Interessen der Chemieindustrie ausgerichtetes Gesetz. Insbesondere die Bundesrepublik hat daran mitgewirkt. Vertreter der Bundesregierung und EU-Spitzenbeamte aus Deutschland traten im Rat und in der EU-Kommission als Repräsentanten der heimischen chemischen Industrie auf. Ähnlich verhielten sich deutsche EU-Parlamentarier von Union, SPD und FDP bei den Abstimmungen im Europaparlament. Näheres dazu ist dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. zu entnehmen, der auch detailliert die Situation unmittelbar vor der verhängnisvollen Kompromissfindung zwischen Rat und Parlament beschreibt.
Bislang wurden nur etwa 4.000 Stoffe darauf geprüft, ob sie Gesundheit oder Ökosysteme schädigen. Auf dem EU-Markt befinden sich jedoch etwa 100.000 so genannte Altstoffe, die vor 1981 auf den Markt kamen. Etwa 30.000 davon werden gegenwärtig mit mehr als einer Tonne Jahresproduktion eingesetzt. Mit ihnen läuft faktisch ein Großversuch an Mensch und Umwelt. In den letzten Jahrzehnten haben auch als Folge dieser Politik nachweislich Allergien sowie Brustkrebs- und Atemwegserkrankungen zugenommen. Giftcocktails lassen sich selbst noch in der Muttermilch nachweisen.
Die EU-Kommission wollte diesen unhaltbaren Zustand mit ihrem REACH-Verordnungsentwurf beenden. Doch der vom EU-Parlament verwässerte Entwurf mit seinen deutlich abgeschwächten Berichterstattungs-, Prüf- und Registrierungspflichten für die Chemiekonzerne wurde Ende 2005 auch vom Ministerrat weitgehend bestätigt. Von den 30.000 als relevanten betrachteten Chemikalien müssen nach diesem Entwurf nun nur noch 12.000 gründlich überprüft werden. Zudem wanderte die Beweislast der Unbedenklichkeit wieder von den Herstellern zurück zu den Behörden. Genau dies sollte jedoch durch REACH eigentlich umgekehrt werden.
Mit einem Vorstoß des Umweltausschusses des EU-Parlaments im Vorfeld der zweiten Lesung versuchten verbraucherfreundliche Parlamentarier das Ruder in letzter Minute herum zu reißen (näheres auch hier im Antrag der Fraktion DIE LINKE.). Die Forderungen des Ausschusses gingen aber nur im geringen Maße in den ausgehandelten Kompromiss ein.
Im Ergebnis dieses Handels hinter verschlossenen Türen wird sich nun aus Verbrauchersicht nur wenig an der bestehenden Gesetzeslage ändern. Wichtigstes Minus: Die Industrie wird nicht, wie ursprünglich vorgesehen, verpflichtet, alle gefährlichen Stoffe zu ersetzen. „Der Kompromiss sieht vor, dass krebserregende, fortpflanzungsschädigende und andere gefährliche Chemikalien selbst dann weiter vermarktet und in Alltagsprodukten verwendet werden dürfen, wenn Alternativen vorhanden sind“ schätzen der BUND und Greenpeace ein. Die Fraktion der Linken im Europaparlament (GUE/NGL) sprach dann auch von einem „giftigen Kompromiss“. Nach diesem sollen lediglich langlebige, sich in der Natur anreichernde Chemikalien ersetzt werden, sofern es für sie Alternativen gibt. Zudem wird der Industrie auch künftig erlaubt, entscheidende Sicherheitsdaten zu ihren Chemikalien zurückzuhalten.
Die umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Eva Bulling-Schröter fasst zusammen: „Die europäischen Chemiekonzerne haben nichts unversucht gelassen, um beim langwierigen Gesetzesverfahren die wirtschaftlichen Interessen der Chemiekonzerne durchzusetzen. Leider waren sie erfolgreich“.
Mehr zu diesem Thema:
Rede von Eva Bulling-Schröter am 9. November im Bundestag „REACH - Chance für zukunftsfähige europäische Chemikalienpolitik nutzen!“