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Rausgerechnet: Mutterschutz

Periodika von Matthias W. Birkwald,

Wenn Frauen auch Mütter sind, langjährig gearbeitet haben und abschlagsfrei in die Rente ab 63 gehen möchten, könnten sie böse Überraschungen erleben. 

Mit dem sogenannten Rentenpaket, gültig seit dem 1. Juli 2014, können besonders langjährig Versicherte in die Rente ab 63 oder 65 ohne Abschläge gehen. Christel Blankenhagen, Grundschullehrerin und zu Hause in Sachsen-Anhalt, wollte das für sich nutzen. Sie hatte die dafür geforderten 540 beitragspflichtigen Monate beziehungsweise 45 Beitragsjahre erarbeitet. Dachte sie jedenfalls. Sie war nie arbeitslos, hatte zwischendurch zwei Kinder geboren und großgezogen und war jeweils nach den gesetzlich verordneten Mutterschutzzeiten zurück in den Schuldienst gegangen. Laut Rentenversicherung sollte Christel Blankenhagen jedoch einen Monat länger für ihre abschlagsfreie Rente arbeiten. Einen Monat mehr als Männer mit vergleichbaren Arbeitsbiografien.   Der Grund: In vielen Fällen wird ein Monat Mutterschutz vor der Geburt nicht auf die 45 Jahre angerechnet, die man braucht, um ab 63 oder 65 abschlagsfrei in die Rente gehen zu können. Wie viele Frauen genau davon betroffen sind, weiß niemand. Häufig wissen das nicht einmal die Frauen selbst, denn der Rentenversicherer weist diese Begründung nicht nachlesbar im Rentenbescheid aus. Martin Blankenhagen, als Ingenieur jeglichen Zahlensalats mächtig, nahm den Rentenbescheid seiner Frau Posten für Posten auseinander und bekam die fehlenden vier Wochen auf persönliche Nachfrage von der Rentenberaterin entschlüsselt – nämlich als Mutterschutzzeit. In dem Geburtsvormonat zahlt die Krankenkasse zwar ein Entgelt für die Schwangere, in die Rentenversicherung aber fließt kein einziger Cent. Somit fällt die vom Gesetzgeber aus guten Gründen festgelegte Schutzzeit für werdende Mütter den Frauen bei der abschlagsfreien Rente auf die Füße. Es gibt zwar keine Mutterschaft ohne Schwangerschaft, trotzdem verlangt der jetzige Gesetzgeber, diese vier Wochen nachzuarbeiten. Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, sieht darin eine Gerechtigkeitslücke, eine Ungleichbehandlung von Frauen und Männern – und stellte darum den Antrag, die Mutterschutzzeit für die Rente anzurechnen.    Ende September wurde dieser Antrag in letzter Lesung nun verhandelt, und Christel Blankenhagen wollte die Debatte dazu live im Bundestag erleben. Sie saß mit ihrem Mann Martin auf der Besuchertribüne. Er hatte im April 2014 eine Petition eingereicht, um die Sozialexperten aller Fraktionen auf die Benachteiligung seiner Frau und anderer Frauen aufmerksam zu machen. Antworten bekam er – bis auf die von Matthias W. Birkwald – keine.    Frustrierende Debatte im Deutschen Bundestag   Zur Debatte im Bundestag war auch Doris Augustin-Grau aus Köln angereist. Auch sie zog zwei Kinder groß, war ohne Unterbrechung beim Deutschlandfunk als Cutterin, als Schnittmeisterin für Radiobeiträge, angestellt. Ihr könnten sogar zwei Monate für die Rente ohne Abschlag nicht angerechnet werden. Denn ihre Kinder wurden nicht innerhalb von zehn Jahren geboren, sondern mit einem Abstand von zwölf Jahren (siehe Interview). Ihre Anfrage, welche Auswirkungen das für ihre Rente ab 63 haben könnte, blieb bislang ohne Antwort der Rentenversicherung.    Der Schlagabtausch im Parlament frustrierte die Frauen, vor allem die Ignoranz von Matthias Zimmer (CDU/CSU). Der konservative Abgeordnete meinte, es gebe „keine konkreten Fälle“. Er hätte beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales nachgefragt, „denen sei kein einziger Fall bekannt“ und die Rentenversicherungen hätten „ebenfalls keine Kenntnis“. Das Problem der Rentenungleichbehandlung sei somit „ein theoretisches“, von der Fraktion DIE LINKE „aufgeblasen“. Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE sei darum auch abzulehnen. Das passierte. Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD stimmten mit ihrer Mehrheit dagegen, Bündnis 90/Grüne und DIE LINKE hatten für die betroffenen Frauen votiert. Das Angebot von Matthias W. Birkwald, mit den anwesenden Frauen zu reden, nahmen die Fachpolitikerinnen und -politiker der Regierungskoalition nicht wahr.