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Prävention vor Repression

Im Wortlaut von Frank Tempel,

 

Von Frank Tempel, stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags und Leiter des Arbeitskreises Demokratie, Recht und Gesellschaftsentwicklung der Fraktion DIE LINKE

 

Dem Terrorismus entgegentreten – aber wie? In dieser Diskussion wird viel über den Ausbau von Befugnissen von Sicherheitsorganen oder Stellenaufbau bei BKA und Geheimdiensten geredet. Dabei zeigt das Beispiel Frankreich, dass selbst die Möglichkeit der vollständigen Kommunikationsüberwachung ohne richterliche Kontrolle terroristische Anschläge nicht verhindert. Es ist auch inzwischen fast unmöglich alle von den Sicherheitsbehörden ausgemachten 420 Gefährder und die 750 nach Syrien ausgereisten Dschihadisten auf Schritt und Tritt zu überwachen. Pro Gefährder bedarf es nach Angaben des Innenministeriums bis zu 35 Überwacher. Es muss vielmehr die Aufgabe der Gesellschaft sein, das Abgleiten von Jugendlichen in die Terrorszene rechtzeitig zu verhindern! Der Präventionsgedanke kommt auch hierzulande noch immer viel zu kurz.

Jahrzehnte verfehlter sozialer Integration sind nicht erst jetzt sichtbar. Ein Teil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund fühlen sich nicht nur ausgestoßen, sondern sie sind real ausgestoßen. Mangelnde Schulbildung, schwierige soziale Hintergründe und kaum vorhandene zielgerichtete Angebote führen nicht dazu, die Verhaltensregeln der Gesellschaft zu akzeptieren. Das ist aber der soziale Untergrund auf dem sich dschihadistische Angebote ausbreiten können. Nicht nur in den französischen Vorstädten, sondern auch in sozial schwierigen Vierteln in Deutschland gibt es solche Nährböden. Niederschwellige Jugendsozialarbeit, maßgeschneiderte Bildungsangebote, Hilfsangebote für Familien in schwierigen Verhältnissen, Jobangebote in einem öffentlichen Beschäftigungssektor könnten viel zur Integration beitragen. Dazu muss aber der Bund Geld in die Hand nehmen und die Aufgabe nicht den überforderten Kommunen und Ländern überlassen.

Spezielle Angebote für gefährdete Jugendliche

Es muss jedoch auch spezielle Angebote für gefährdete Jugendliche geben, die schon auf dem Weg der Radikalisierung sind. Betroffenen Eltern muss geholfen werden, wieder eine Kommunikation mit den Kindern aufzubauen und den Jugendlichen muss ein Weg zurück in die Gesellschaft aufgezeigt werden. Insassen von Gefängnissen sind ebenfalls gefährdet. Resozialisierung wird immer wieder in Reden gefordert, doch selbst für normale Gefangene sind Angebote sehr begrenzt, von spezialisierten Angeboten zur Reradikalisierung ganz zu schweigen. Trotz der Aufstockung im Bundeshaushalt von 10 Millionen Euro beim „Demokratie lebt“-Programm muss noch viel getan werden. Dass diese Gelder dem Kampf gegen Rechts einfach entzogen worden und nun gegen islamistische Tendenzen eingesetzt werden, spricht allerdings eher für Aktionismus und nicht für eine sinnvolle Strategie.

Hauptträger solcher speziellen Projekte gegen Radikalisierung sollten zivilgesellschaftliche Akteure, Vereine und Verbände sein. Der Staat, von dem radikalisierte Jugendliche enttäuscht sind und der als feindlich angesehen wird, ist derweil bereits nicht mehr in der Lage Vertrauen zu erzeugen oder zurückzugewinnen. Allerdings müssen diese Initiativen staatlich unterstützt werden. Bisher existierende Einzelinitiativen sollten sich vernetzten. Auch dabei kann der Staat mit Stellen und Finanzierungen helfen.

All diese Aufgaben können nur in Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinden erfolgen. Es geht um Gleichberechtigung, Arbeitsteilung, Vertrauen und Kommunikation. Tendenzen wie beim ehemaligen Innenminister Friedrich, die muslimischen Gemeinden, Schulen und Verbände quasi als Hilfspolizisten engagieren zu wollen, sind hingegen kontraproduktiv. 


linksfraktion.de, 26. November 2015