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Präsident des Konjunktivs

Im Wortlaut,

Viele schwören auf Joachim Gauck - manche aber mit gekreuzten Fingern

SPD und Grüne favorisierten im Präsidenten-Poker bis zuletzt Joachim Gauck - zumindest nach außen. Tatsächlich wäre Gauck in vielerlei Hinsicht aber auch ein echter Problemfall für Sozialdemokraten und Grüne.

 

Die Chancen sind gut für Joachim Gauck. SPD und CDU haben sich für ihn ausgesprochen, Gelb und Grün werden folgen. Die Mehrheit wird groß sein, wenn Gauck im April gewählt wird - zum Ehrenbürger der Hansestadt Rostock. Auf der großen Bühne ist es für ihn dagegen komplizierter. Zwar blieb er am Wochenende in allen Umfragen Favorit mit Werten um die 50 Prozent. Dennoch sah die Lage am Sonntagnachmittag für Gauck nicht gut aus. Zwar sprach sich die FDP für ihn, deren großer Koalitionspartner CDU jedoch gegen ihn aus, wie die Nachrichtenagentur dpa aus den berühmten Kreisen erfahren haben wollte. Für Sonntagabend jedenfalls war ein Spitzengespräch von CDU, FDP, SPD und Grünen angesetzt.

»Merkel blockt den Präsidenten des Volkes!« Es ließe sich viel Kapital aus der Situation schlagen. Doch weder SPD noch Grüne wollten bisher den Elfmeterpfiff gehört haben. Zwar nennt man bei der Regierung in spé noch immer nur seinen Namen, signalisiert aber zugleich, darauf nicht zu bestehen. Die neue Lauheit hat Methode: Viel spricht dafür, dass Rot und Grün insgeheim ganz froh über das Ausbleiben des Ernstfalls wären. Denn die rot-grünen Masterminds, die sich 2010 über ihre virtuelle Win-Win-Personalie - Merkel düpiert, Linkspartei vorgeführt - so diebisch freuten, würden mit dem echten Gauck recht dämlich dastehen. Oder könnte Gabriel seinen famosen »Gerechtigkeitswahlkampf« wirklich glaubwürdig mit der Inthronisierung eines Mannes einleiten, der Armut schon mal als individuelle Charakterschwäche auslegt, den »Mut« rassistischer Islam-Basher Marke Sarrazin hervorhebt, demokratischen Protest gegen die Macht der Finanzmärkte für dumme Kinderstreiche hält und für engagierte junge Leute den folgenden Leck-Mich-Satz parat hat: »Schreibe lieber Lieder oder male Bilder. Aber lass mich in Ruhe mit deiner politischen Erlösungsphantasie.«

Auch für Trittin wäre Gauck eigentlich ein Problembär: Nach dem naiven, gesinnungsethischen Ja zur Militärintervention, zu dem sich die Expazifisten um die Jahrtausendwende durchrangen, scheinen nun zumindest Teile der Partei nachdenklich zu werden. Gauck dagegen prescht in seinem neuen Buch »Freiheit. Ein Plädoyer«, das dieser Tage erscheinen soll, gerade auf diesem Schlachtfeld nach vorne wie ein preußischer Husar: Der Westen, analysiert er laut »Focus«-Vorabdruck, sei noch immer viel zu zimperlich, namentlich die grünen und sozialdemokratischen Brüder und Schwestern. »Warum«, fragt der Präsident des Konjunktivs, »gehen wir oft in die nicht-demokratische Welt hinaus und tun so, als hätte unsere demokratische Welt ›Nichtwerte‹, fühlen uns stattdessen betroffen von dem, was die Potentaten dort über uns behaupten: Wir seien Imperialisten, wir wollten ihnen unsere westlichen Werte überstülpen?«

Nach dem Jahrzehnt des »demokratischen« Dauerkrieges muss man darauf erst mal kommen. Ist Gauck eigentlich klar, dass es sich bei den meisten Staatsoberhäuptern, die zuletzt vom Imperialismus gesprochen haben, um gewählte Präsidenten handelt? Die Welt verändert sich schnell in den letzten Jahren. Das neue, selbstbewusste Lateinamerika zum Beispiel pflegt einen offenen, konstruktiven Umgang mit Kuba. Aus der Nähe und im fairen Vergleich mit Haiti, Jamaica oder der Dominikanischen Republik scheint sich die staatssozialistische Insel nicht verstecken zu müssen, so anachronistisch die »führende Rolle der Partei« auch wirken mag. Im Weltmaßstab verliert Europa seine Vorbildfunktion, die sich im Nachhinein oft eher als Machtposition entpuppt. Für Leute wie Gauck - nach Umfragen ist er im situierten Bürgertum am populärsten - ist das schwer zu akzeptieren. Aber braucht das Land wirklich einen Repräsentanten, für den die Welt am westlich-deutschen Wesen genesen soll?

Gauck kann man auf »gastredner.de« buchen: Entweder »Freiheit als Verantwortung« oder die Herleitung »Zwischen Furcht und Neigung - die Deutschen und die Freiheit«. Was er dabei sagt, ist leicht zu rekonstruieren: Die Deutschen sind historisch blockiert vom Sicherheits- und Anspruchsdenken, haben Angst vor der Freiheit usw.: Ein veralteter Sampler der plattesten Hits des börsengläubigen »Reformdiskurses« der Jahrtausendwende, vor dessen Scherbenhaufen man nun steht. Sogar für seine bürgerlichen Unterstützer ist Gauck daher nicht unproblematisch: Will man nämlich auch die demnächst fälligen Tranchen der großen Rechnung für die Börsenparties der 2000er vom Normalverbraucher bezahlen lassen, empfiehlt es sich, diesem nicht noch ins Gesicht zu hauen.

 

Von Velten Schäfer

Neues Deutschland, 20. Februar 2012