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Polizei trat in Frankfurt Bürgerrechte mit Füßen

Im Wortlaut von Matthias W. Birkwald,

Ein Augenzeugenbericht von Matthias W. Birkwald


Blockupy in Frankfurt: Matthias W. Birkwald mit gelber Weste


Mit Verspätung aber reichlich guter Stimmung startete der Blockupy-Demonstrationszug am Samstagvormittag vom Baseler Platz in Frankfurt am Main, um gegen die von der Bundesregierung in ganz Europa forcierte Austeritätspolitik und den marktradikalen Umbau zu Lasten der Beschäftigten, der Erwerbslosen und der Rentner und Rentnerinnen in ganz Europa zu protestieren. Zigtausende Menschen demonstrierten friedlich, gut gelaunt und kreativ und gingen auf der gerichtlich erstrittenen Route mit Transparenten, Plakaten und bunt verkleideten Aktivistinnen und Aktivisten ein.

Die Stimmung war gut, weil die erfolgreichen Blockaden vom Vortag im Fernsehen und in den Tageszeitungen überwiegend wohlwollend oder neutral kommentiert worden waren. Ich ging im Block der LINKEN mit. Nach einer guten halben Stunde stoppte der Demozug. Nichts ging mehr. Ein Grund war nicht ersichtlich.

Als Mitglied der Parlamentarischen Beobachter, einer Gruppe von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und dem Hessischen Landtag, ging ich weiter nach vorne und traf eine Gewerkschaftssekretärin der IG Metall und einen Kölner Attac-Aktivisten. Beide berichteten übereinstimmend, dass die Polizei im vorderen Teil der Demonstration ohne jeden ersichtlichen Grund gegen Mitdemonstrierende aus dem antikapitalistischen Block vorgegangen war.

Pfefferspray und Polizeikessel

Behauptet wurde von Seiten der Polizei, dass hunderte von Menschen gewaltbereit und "vermummt" seien, nur weil sie Sonnenbrillen trugen, vereinzelt bei frischem Wind die Kapuzen auf den Kopf zogen und ihre Transparente in Brusthöhe trugen. Absurd und abstrus. Als eine Sylvesterrakete in die Luft (!) abgefeuert wurde, ging die Polizei brutal in die Demonstration rein und kesselte cirka 400 bis 600 überwiegend junge oder sehr junge Menschen ein.

Meiner Ansicht nach war dies von Seiten der Polizei vorbereitet und beabsichtigt gewesen, denn es erfolgte genau an dem Punkt der Demoroute, die zur Europäischen Zentralbank am Willy-Brandt-Platz führen sollte. Dies wollte die Polizei im Vorfeld verhindern, doch die Veranstalterinnen der Demo erstritten ihr demokratisches Recht vor Gericht. Um diese Entscheidung der Judikative kümmerte sich die Polizei als Teil der Exekutive an diesem Tag in keiner Weise. Die Polizisten und Polizistinnen waren genau an der Stelle zusammengezogen worden, an der die Polizei die Demonstration auf einen anderen Weg zwingen wollte. Dies war auffällig. In der hinteren Polizeikette wurde Pfefferspray eingesetzt. Ich wurde davon auf dem Weg in den Kessel getroffen. Es brannte höllisch und später dachten Mitdemonstrierende, ich hätte einen Sonnenbrand. Hatte ich nicht. War das Pfefferspray.

Lange Stunden im Kessel

Während der Verhandlungen zwischen Demoleitung und Polizei bot die Polizei dann an, dass die Demo am Mainufer lang fortgeführt werden könne, wenn die angeblich gewaltsamen Mitdemonstrierenden der Polizei zur Feststellung ihrer Personalien übergeben werden würde. Diesen Versuch, die Demonstration zu spalten, lehnte der Fraktionsvorsitzende der LINKEN im hessischen Landtag, Willy von Ooyen, im Namen der Demoleitung ab. Zu Recht.

So wurden es dann fünfeinhalb lange Stunden im Kessel. Zunächst ohne Wasser und ohne Toiletten. Später ließ die Polizei vier Dixie-Klos anliefern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Theaters versorgten die Eingekesselten mit Wasser. Unsere Vorsitzende Katja Kipping und wir anderen MdBs und MdLs gaben eine Parlamentarische Pressekonferenz aus dem Kessel. ZDF, dpa und andere Medien waren vor Ort. Als die Polizei dann am späten Nachmittag begann, einzelne Demonstrierende aus dem Kessel zu holen, stellten die LINKEN Bundestags- und Landtagsabgeordneten und ein kommunaler Abgeordneter aus Venedig sich mit erhobenen Händen vor den antikapitalistischen Block. Die Polizei zog sich daraufhin zurück.

Wenig später behauptete sie, wir schützten angeblich "Straftäter", also Menschen, die seit mehr als fünf Stunden in einem Polizeikessel standen und von deren Lautsprecherwagen immer wieder Musik und Wortbeiträge kamen, die zu einer Lösung der Lage aufforderten und in keiner Weise militant waren. Die Polizei kam erneut, forderte uns auf, zu gehen und wir weigerten uns erneut und hoben die Hände. Daraufhin führte die Polizei uns ab und aus dem Kessel heraus. Alle. Anschließend begannen sie dann damit, die Eingekesselten abzuführen. Dies geschah überwiegend vorschriftsmäßig, zum Teil und bei Einzelnen aber in äußerst brutaler Weise. Eines ist jedenfalls klar: Die Polizei agierte undemokratisch, scherte sich nicht um ein Gerichtsurteil und sie trat die Bürgerrechte mit Füßen. Dieser Polizeiwillkür muss dringend Einhalt geboten werden.

linksfraktion.de, 3. Juni 2013