Zum Hauptinhalt springen

Politik-Versagen oder Politik-Ansagen?

Im Wortlaut von Petra Pau,

Petra Pau, Obfrau für DIE LINKE im Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die NSU-Mordserie aufklären soll, über das neue Abwehrzentrum gegen Extremismus, das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst, Fehleinschätzungen von Ex-Bundesinnenminister Schily (SPD) und einem Ausblick über die Anhörung des Untersuchungsausschuss in dieser Woche


Bundesinnenminister Friedrich (CSU) hat vor Tagen ein neues Zentrum gegen Extremismus eröffnet. Klingt angesichts des NSU-Desasters doch logisch, oder?

Petra Pau: Es ist ein Superzentrum gegen Allroundextremismen, gegen Rechts, gegen Links, gegen Islam, gegen Spiogenten, gegen Waffenhändler, gegen alles und nichts. Extremismus ist ohnehin ein ideologischer Kampfbegriff, sachlich unbestimmt und politisch missbrauchbar.

Du willst gegen das Zentrum beim Bundesverfassungsgericht klagen, las ich.

Nein, da wurde ich von einer Agentur überinterpretiert. Richtig ist: Ich halte dieses Extremismus-Zentrum verfassungsrechtlich für fragwürdig. Richtig ist aber auch: Es gibt seit Jahren ein Zentrum gegen so genannten islamistischen Extremismus. Dagegen läuft bereits eine Verfassungsklage. Hat sie Erfolg, hat sich auch das neue Wunder-Zentrum erledigt.

Wo ist eigentlich das Problem?

Das deutsche Sicherheitssystem fußt nach den Erfahrungen aus der NS-Zeit auf zwei Prämissen. Es ist erstens föderal strukturiert und damit vorwiegend Ländersache. Und zweitens gilt das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten.

Das klingt aber arg abstrakt und altbacken.

Im Kern geht es darum, dass nie wieder eine allmächtige, alle und alles beherrschende zentrale Sicherheitsbehörde entstehen darf.

Und nun droht Gefahr? 



Aus meiner Sicht: Ja. Das Trennungsgebot wird schleichend aufgeweicht. Davon profitieren letztlich immer die ohnehin unkontrollierbaren  Geheimdienste. Zugleich sollen die föderalen Strukturen zentralisiert werden. Eine so hochgerüstete Zentrale könnte letztlich immer mehr Bürgerinnen und Bürger überwachen. Das geschieht bereits. Ergo ist Gefahr im Verzug.

Aber irgendetwas muss doch sicherheitspolitisch passieren?

Ich war zwei Tage lang in Wiesbaden auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes… 



…als Linke beim BKA? 



Ja natürlich. Erstens bin ich als Innenpolitikerin auch für das BKA zuständig. Und zweitens hieß das Tagungsthema "Kampf gegen Rechtsextremismus".

Dort hat Bundesinnenminister Friedrich sein Extremismuszentrum gelobt…

…und Dr. Maaßen hat seinen Verfassungsschutz gepriesen. Spannender war, als ein Wissenschaftler freundlich, aber bestimmt erklärte: Die Behörden können hin- und her strukturiert werden. So lange sie nicht fähig sind, rechtsextreme Gefahren zu analysieren, bleibt alles andere brotlos.

Fähig oder willens?

Ich meine: beides!


Nun zum Untersuchungsausschuss: Diese Woche gibt es drei Zeugen. Einer wird Fritz Behrens sein. Warum?

Der SPD-Politiker war Innenminister in Nordrhein-Westfalen, als dort die NSU-Nazi-Bande zuschlug.

Beim Mordanschlag auf den Kioskbesitzer Mehmet Kubaşik 2006 in Dortmund…

…da nicht mehr, aber zuvor beim Bombenattentat 2004 in der Kölner Keupstraße. Die Ermittlungen dazu stehen besonders im Zwielicht.

Wieso?

Am 9. Juni 2004 wurden 16 Uhr durch einen Nagelbombenanschlag zahlreiche Migrantinnen und Migranten zum Teil lebensgefährlich verletzt. 17 Uhr war polizeilich von einem terroristischen Anschlag die Rede. Schon eine Stunde später wurde korrigiert, nein, es ginge um Organisierte Kriminalität.

Und tags darauf hatte der damalige Bundesinnenminister Schily (SPD) einen rechtsextremen Hintergrund ausgeschlossen, richtig?

Ja. Es wird Schilys Geheimnis bleiben, woher er das im fernen Berlin wissen konnte. Noch interessanter ist etwas anderes…

…nämlich?

Im Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen kursierte wenig später eine Analyse, die von einem fremdenfeindlichen Motiv und damit von rechtsextremen Tätern ausging. Auch im Bundesamt für Verfassungsschutz  wurden damals Parallelen zu ähnlichen Nazi-Anschlägen in London gezogen.

Trotzdem wurde fast ausschließlich im Milieu der türkischen Opfer nach kriminellen Tätern gefahndet?

So war es. Und das führt zu Fragen: Warum und auf wessen Geheiß? In vielen Kommentaren ist von Sicherheitsversagen die Rede. Das stimmt sicher, blendet aber Politikversagen aus.

Politikversagen oder Politikansagen?

Wieder möglicherweise beides. Und deshalb zurück zum eigentlichen Thema: Eine Nazi-Bande hat in Deutschland zehn Menschen kaltblütig aus rassistisch-germanischen Gründen hingerichtet. Angeblich jahrelang unerkannt, heißt es offiziell. Die Fragezeichen dahinter bleiben.

Interview: Rainer Brandt

linksfraktion.de, 19. November 2012