Zum Hauptinhalt springen

Pflege als gesellschaftliche Aufgabe anerkennen

Nachricht,

Foto: DBT/Lichtblick/Achim Melde

 

Sonja Kemnitz, Julia Garscha und Regina Stosch berichten von Experten-Anhörung des Familienausschusses am 24. November 2014 zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur besseren Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf


Die meisten Sachverständigen der öffentlichen Anhörung am 24. November waren sich einig, dass der Gesetzentwurf zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, mit dem die Bundesregierung auf die massive Kritik am Familienpflegezeitgesetz von Schwarz-Gelb reagiert, nur minimale Verbesserungen enthält. „Hätte die Vorgängerregierung nicht so ein schlechtes Gesetz gemacht, würden wir selbst kleine Verbesserungen heute nicht als Erfolg feiern“, äußerte sich eine Besucherin am Rande ironisch.

Worum geht es? Beschäftigte können seit 2012 über eine freiwillige Vereinbarung mit dem Arbeitgeber ihre Arbeitszeit für häusliche Pflege von nahen Angehörigen für maximal 24 Monate auf mindestens 15 Stunden reduzieren. Dafür schafft die Bundesregierung jetzt einen Rechtsanspruch, der bisher fehlte. Der gilt allerdings nicht für Unternehmen mit 15 oder weniger Beschäftigten. Außerdem können Arbeitgeber bei wichtigen betrieblichen Gründen noch immer ablehnen. Gehaltseinbußen während der Pflegezeit können die Pflegenden durch ein zinsloses Darlehen über das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben mildern. Das Darlehen muss zurückgezahlt werden und zwar innerhalb von 48 Monaten nach Beginn der Pflegezeit. Härtefallregelungen sollen die Angst vor persönlicher Verschuldung mindern. Sozialleistungen bleiben nachrangig. Anja Weusthoff vom DGB machte deutlich, was das konkret bedeutet: „Wer zu wenig verdient, darf aufstocken. Wer pflegt, darf das nicht und muss ein Darlehen aufnehmen.”

Die Familienpflegezeit muss man sich leisten können, auch da waren sich die meisten Sachverständigen einig. Professor Gabriele Kuhn-Zuber, die Sachverständige des SOVD, die DIE LINKE geladen hatte, rechnete laut vor: Eine Vollzeitbeschäftigte, die den Mindestlohn erhält, hätte einschließlich des Darlehens am Monatsende immer noch einen Verdienstausfall von ca. 400 Euro zu verkraften. Wer also wird das neue Gesetz vor allem nutzen? Vollzeitbeschäftigte mit gutem Gehalt in einer guten Partnerschaft oder mit anderen Vermögenswerten – bestätigte Dr. Elisabeth Fix, die Sachverständige der Caritas. Auch aus gleichstellungspolitischer Perspektive wurde der Gesetzentwurf kritisiert: Pflegeanreize für Männer fehlen, da sie als meist besser verdienende Familienmitglieder größere Löcher ins Familienbudget reißen würden. In der Konsequenz werden also auch weiterhin überwiegend Frauen den Spagat zwischen Pflege und Beruf meistern müssen.

Die Pflegepolitik der Bundesregierung setzt noch immer auf die Familie als Hauptort der Pflege. Immer weniger Frauen können oder wollen aber die Hauptverantwortung für die Pflege tragen. Arbeits-, Lebens- und Geschlechterverhältnisse sind im Wandel. Die Pflegepolitik muss hier nachziehen und Pflege als gesellschaftliche Aufgabe anerkennen, die solidarisch finanziert werden muss. Es geht um bessere Pflegeleistungen für jede und jeden, damit nicht länger die Familien die Pflegebelastungen tragen müssen. Die solidarische Pflegeversicherung wäre der Weg.