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Perspektive danach!

Kolumne,

Was wird nach der Pandemie sein? Ich hoffe, dass wir uns wieder umarmen werden. Dass wir auch wieder Fremde umarmen und zusammen feiern und auch gemeinsam trauern und uns gegenseitig trösten können. Dass wir keine Angst mehr haben, uns selbst und unsere Angehörigen, Lieben und Unbekannten mit einer noch völlig unberechenbaren Krankheit anzustecken. Dass wir uns in unseren Räumen, die wir vor einigen Monaten verlassen mussten, wiedersehen, weil sie finanziell überleben konnten. Dass bei diesen Feiern unsere queeren Künstler*innen auftreten, die für ihre Arbeit jetzt besser bezahlt werden. Ich hoffe, dass die große Projekte-Triage verhindert wurde, weil es ein politisches Einsehen gab: Wir haben sowieso zu wenig Infrastruktur und daher ist nichts davon verzichtbar. Vielleicht prosten wir uns dann alle zu und freuen uns, dass die meisten mit einem Schrecken oder nur wenig Aderlass davongekommen sind. 

Und dann rollen wir die Ärmel hoch und gehen die Bruchstellen des Regenbogens an, die schon vor der Corona-Zäsur da waren, aber nie dringlich genug schienen. Vielleicht schmunzeln wir dann auch mit dem peinlichen Gefühl der Blamage über diese Zeit »vorher«, als ständig die Fiktion einer untereinander gleichberechtigten »Vielfalt« aufgerufen wurde, und doch seit der Ehe-für-alle die Luft im Gemeinsamen offenbar so weit raus war, dass zu Beginn des Jahres bundesweit debattiert wurde, ob man beim Kölner CSD nicht-nationalistisch die Nationalhymne singen könne. 

Kurzfristig löst langfristig gar nichts

Eines muss man der Pandemie lassen: Sie hat schmerzhaft den Scheinwerfer dorthin gelenkt, wo der Regenbogen keine Farben hat, dorthin, wo Unsichtbarkeit und Teilhabeausschlüsse entstehen. Nichts davon war unbekannt. Warum also spekulieren, was in einem Danach sein könnte? Wir müssen jetzt hinsehen und handeln. Die Krise ist nur ein Brandbeschleuniger, weil nicht Liebe und Mitgefühl, sondern Klasse und Konsum der bröckelnde Kit der Community ist. Und ausgerechnet auf dieses brüchige Fundament zu bauen, war auch schon im Vorher ein Fehler. Sichtbarkeiten und Darstellbarkeit entstehen vor allem aus der Fähigkeit zu konsumieren und immaterieller Kapitalausstattung. Schon im Vorher wurde Armut und ihre möglichen Folgen wie häusliche Gewalt, Obdachlosigkeit, soziale Vereinsamung und psychische Erkrankungen immer unsichtbarer und unaussprechlicher. Das System der Kompensation um das Kernproblem herum ist zusammengebrochen. Menschen mit sehr geringem oder freiberuflich unregelmäßigem Einkommen, Rentner*innen, Auszubildende, Sexarbeiter*innen, Leistungsbezieher*innen und Jugendliche können nicht mehr hinzuverdienen und müssen mit noch weniger auskommen. Das Jobsuchen ist weitgehend unterbrochen. Verbunden ist derzeit, wer digital mit Wissen und entsprechenden Geräten ausgestattet ist. Noch nie war die digitale Kluft so offenbar wie jetzt. Viele Hilfsangebote erreichen gar nicht die Unterstützungsbedürftigen. Sichere Freiräume wie Bars, Veranstaltungsorte, lesbische, schwule und queere Communityspaces, alternative Bühnen und Kinos, auch Hotels und Restaurants waren schon vorher massiv von Gentrifikation betroffen. Kurzfristige Hilfen werden das langfristige Problem nicht lösen, wenn nicht mehr ausreichend Menschen den Konsum sich werden leisten können. Sponsoren könnten sich von einer konsumfreudigen und mit Lebensfreude gebrandeten Community, die ihre Sichtbarkeit im öffentlichen Raum mit den Absagen der CSDs und anderen Großevents verloren hat, abwenden. Seien wir ehrlich, Diskriminierungserfahrungen werten keine Produkte auf, nur ein sichtbarer »bunter Lifestyle« macht die Zielgruppen attraktiv. Auch steigen Gewalt und Hass gegen LSBTIQ* in der Öffentlichkeit. Und niemals unabhängig davon zu denken, sind Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, die sich immer extremer und ungebremster in allen möglichen Formen und Taten artikulieren. 

Insgesamt brauchen die queeren Communities besonders »nach Corona« mehr Schutzräume, mehr Sicherheit und mehr Teilhabemöglichkeiten. Die Vulnerabilitäten werden nicht abnehmen, im Gegenteil. Wenn wir also an einer tragfähigen Utopie für das »Danach« arbeiten wollen, dann dürfen wir den ehrlichen Blick auf die Realität nicht fürchten. Sonst haben wir die Ausfahrt Dystopia bereits genommen.   

Stephanie Kuhnen ist Journalistin und Projektleiterin von »Lesbisch*Sichtbar.Berlin«, ein Projekt des RuT e.V.