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Osten jetzt Merkels Nebensache

Interview der Woche von Lothar Bisky,

Lothar Bisky, Mitglied der Fraktion DIE LINKE, warnt, dass selbst heute 30jährige nach dem Willen der Bundesregierung gleichwertige Lebensverhältnisse nicht erleben werden.

Der Zug der Deutschen Einheit sei langsamer geworden, weil die Kanzlerin immer wieder die Notbremse zieht, kritisiert Ihre Fraktionskollegin Gesine Lötzsch. Setzen sich die Deutschen nicht zu sehr selbst unter Druck, den Vereinigungsprozess möglichst rasch über die Bühne zu bringen?

18 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit ist bei entscheidenden sozioökonomischen Indikatoren wie Bruttoinlandsprodukt, Steuerkraft, Arbeitslosigkeit, Zukunftsprognosen auf einer Deutschlandkarte das Gebiet der einstigen DDR deutlich sichtbar. Irgendetwas ist also schief gelaufen bei der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Das laste ich nicht allein Frau Merkel an, sondern auch ihren Amtsvorgängern. Der Osten darf nicht zum Armenhaus Deutschlands werden.

Versteht sich DIE LINKE als Heizerin auf dem gesamtdeutschen Zug, die Schwung in die Sache bringen will?

Ja. DIE LINKE wird weiterhin und mit Nachdruck die Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost und West, eine schnelle Lohn- und Rentenangleichung und die Beseitigung des Rentenunrechtes einfordern. Es ist nicht hinnehmbar, dass selbst heute 30-jährige nach dem Willen der Bundesregierung gleichwertige Lebensverhältnisse nicht erleben werden. Es gibt kein Konzept der Bundesregierung für den Osten. Das Konzept »Hoffnung« allein taugt nicht.

Nachdem Kanzler Schröder die neuen Länder eher folgenlos zur Chefsache ausgerufen hatte, erhofften viele von seiner Nachfolgerin, dass der Osten für sie Herzenssache sein möge. Sind Sie enttäuscht von der Ostdeutschen Angela Merkel?

Man kann Bundeskanzlerin Merkel vieles vorwerfen, auf keinen Fall aber, dass ihr die Probleme des Ostens besonders am Herzen liegen. Nach den von Kohl versprochenen »blühenden Landschaften« und Schröders »Chefsache Ost« ist der Osten jetzt Merkels Nebensache. Wolfgang Tiefensee als Ostbeauftragter ist eine glatte Fehlbesetzung. Er beschreibt die Probleme, statt Lösungsansätze anzubieten.

Von blühenden Landschaften spricht nun selbst die CDU schon lange nicht mehr. Sehen Sie zumindest Stellen, an denen es keimt?

Ja, es gibt Keimlinge. Wenn ich beispielsweise an den neuen Standort für Solartechnik in Frankfurt (Oder) oder die Sicherung der Stahlproduktion in Eisenhüttenstadt in meinem Wahlkreis im Osten Brandenburgs denke. Ansonsten ist für die Brandenburger Wirtschaft die Dominanz von Kleinst- und Kleinunternehmen charakteristisch. Knapp 40 Prozent der Wirtschaftsleistung wird von Unternehmen mit Jahresumsätzen unter 5 Millionen Euro erbracht. Und das ist typisch für den Osten.

Fehlt nicht einfach ein gesamtgesellschaftliches Konzept? Die öffentliche Debatte dreht sich doch fast ausschließlich um wirtschaftliche und soziale Angleichung zwischen Ost und West.

Es ist richtig, es geht nicht mehr ausschließlich um eine Angleichung Ost und West, es muss um Regionengerechtigkeit gehen. Denn mittlerweile gibt es auch im Westen einzelne Regionen, die von den Marktprozessen auf ostdeutsches Niveau heruntergewirtschaftet wurden, wo die Jüngeren abwandern, die öffentliche Infrastruktur abnimmt, so dass die Lebensqualität weiter schwindet. Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert.

Wird der 3. Oktober als Nationalfeiertag für die Deutschen irgendwann eine vergleichbare Rolle spielen wie beispielsweise in Frankreich oder den USA?

Nein.