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"Nur wer genug verdient, kann ökologisch sinnvoll konsumieren"

Interview der Woche von Dorothée Menzner, Wolfgang Neskovic,

Die Fraktion DIE LINKE fordert den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Wichtig ist, dabei die soziale Komponente des Ausstiegs nicht zu vernachlässigen. Dorothée Menzner, energie- und atompolitische Sprecherin der Fraktion, beschreibt im INTERVIEW DER WOCHE, wie Erneuerbare Energien so finanziert werden können, dass sich alle ein ökologisches Verhalten auch leisten können. Wolfgang Nešković, Justiziar der Fraktion, hält fest, dass der Ausstieg auch im Grundgesetz verankert werden muss, damit er nicht, wie beim Ausstieg der rot-grünen Koalition, wieder zurückgenommen werden kann. 

 

Das Thema Atomkraft wird zuerst mit der Farbe Grün assoziiert. Was ist das spezifisch Linke dabei? 

Dorothée Menzner: DIE GRÜNEN sind unter anderem aus der Anti-Atom-Bewegung entstanden und haben damit natürlich einen politischen Vorsprung. Doch sie vernachlässigen die soziale Frage. Auch Strom aus Erneuerbaren, wenn er wie bisher zentral produziert und mit großem Aufwand verteilt wird, belastet die Natur und hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Menschen. Und wenn weiterhin vier große Energiekonzerne das Land unter sich aufteilen können, wird der Strom vergleichsweise teuer bleiben. DIE LINKE ist die einzige Fraktion, die die ökologische Frage mit der sozialen Frage verbindet. Wir wollen 100% Prozent sauberen Strom, doch ohne teure Monopole. Wir fordern die demokratische Kontrolle über den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das ist unser politischer Anspruch.

 

Wie stellt sich ihre Fraktion den Ausstieg vor?

Dorothée Menzner: Wir wollen raus aus der Atomenergie. Sofort und unverzüglich. Ohne Rückkehroption wie beim „rot-grünen Atomkonsens". Mit aller Kraft müssen wir sauberen Strom ausbauen, Energie sparen, moderne Energiespeicher entwickeln und die Energieeffizienz verbessern. 100 Prozent Strom aus erneuerbarer Energie bis 2050 ist machbar. Das so genannte Atom-Moratorium führt in die Irre, weil es halbherzig ist, zu kurz greift, rechtlich nicht bindend und in letzter Konsequenz ergebnisoffen ist. Dagegen will DIE LINKE als ersten Schritt die sieben ältesten und den Pannenmeiler Krümmel vom Netz nehmen. Und dann raus aus der gesamten Technologie! Das heißt natürlich auch raus aus der militärischen Nutzung.

 

Kann der Ausstieg – wenn es ihn denn geben sollte - von der nächsten Regierung wieder zurückgenommen werden?

Wolfgang Nešković: Verträge kann man kündigen. Allerdings muss man dann mit Schadensersatzforderungen rechnen. Einfache Gesetze können mit einfacher Mehrheit geändert werden. Deshalb ist es wichtig, den Ausstieg so zu gestalten, dass der nächsten Bundesregierung eine Rückkehr zur Atomkraft unmöglich wird. Dazu muss diese Form der Energieerzeugung wegen ihrer unabsehbaren Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt der gegenwärtig lebenden sowie künftiger Generationen unmittelbar im Grundgesetz für verfassungswidrig erklären.

 

Warum soll das ausgerechnet im Grundgesetz verankert werden?

Wolfgang Nešković: Wenn der Atomausstieg Verfassungsrang hat, gibt es kaum mehr ein Zurück zur Kernenergie. Für einen erneuten Ausstieg aus dem Ausstieg müsste es dann eine Zweidrittelmehrheit im Parlament geben. Es ist schwer vorstellbar, dass es möglich wäre, eine solche qualifizierte Mehrheit zu organisieren.

 

Gregor Gysi erinnerte in der vergangenen Woche: „Erneuerbare Energien kosten Geld“. Wer soll das bezahlen?

Dorothée Menzner: Ich komme aus Niedersachsen, dort sind die Erneuerbaren ein großer Wirtschaftsfaktor und schaffen Arbeitsplätze. Zum Beispiel der Windanlagenhersteller Enercon im ostfriesischen Aurich, einer Region, in der Industriearbeitsplätze rar sind. Über 3000 Menschen arbeiten hier und haben eine Perspektive. Bundesweit existieren im Bereich der Erneuerbaren Energien mehr als 300.000 Arbeitsplätze, Tendenz steigend. Zum Vergleich: in der Atomenergie sind es nur gut 35.000. Es geht also nicht nur um Kosten, sondern auch darum, was an Wert produziert wird und wie der verteilt wird. Die Dächer bringen den Häuslebauern bares Geld durch Strom aus Sonne. Bürger investieren in Bürgerwindparks, die wiederum in ihren Gemeinden Gewerbesteuer zahlen. Die Politik muss nur die richtigen Anreize und Raum für Investitionen schaffen, dann sind die Erneuerbaren auch bezahlbar.

 

Wie wollen Sie verhindern, dass sich nur Besserverdienende ein ökologisches Verhalten leisten können?

Dorothée Menzner: Genau das ist ja das LINKE-Element in der Ausstiegsdebatte. Wer die Macht der vier Monopolkonzerne schleift, sorgt doch erst für Wettbewerb. Wer Wind und Sonne ausbaut, hat die Riesenchance, gleichzeitig auch neue Erzeugungs- und Verteilstrukturen aufzubauen. Solche, die dezentral sind und auf regionale Eigenversorgung statt auf Spekulation setzen. Man darf die ökologischen Fragen nicht von den sozialen trennen. DIE LINKE setzt sich als einzige Partei für gute Arbeit mit ordentlichen Löhnen ein. Denn eins ist klar: nur wer genug verdient, kann auch ökologisch sinnvoll konsumieren.

 

Woran ist der Atomausstieg unter Rot-Grün gescheitert?

Wolfgang Nešković: Am erbitterten Widerstand der Atomkonzerne und der schwarz-gelben Opposition. SPD und Grüne haben sich von dieser massiven Front gegen den Atomausstieg genug einschüchtern lassen, um der Atomlobby Möglichkeiten zum Ausstieg vom Ausstieg zu lassen. Im Rückblick hätten die beiden Parteien deutlich mehr Wert auf verschärfte Sicherheitsvorkehrungen und geringere Reststrommengen legen sollen. Die Atomlobby hat sich gefühlt wie ein Verhandlungspartner auf Augenhöhe. Das ist nach dem Grundgesetz nicht die Stellung der Wirtschaft. Danach ist die Wirtschaft nicht nur dem Eigennutz, sondern auch dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet.

 

Kann es einen Ausstieg geben, ohne dass die Strompreise steigen?

Dorothée Menzner: Seriöse Experten schätzen einen minimalen Kostenanstieg von 0,2 Cent bis 0,5 Cent für die Kilowattstunde. Das macht für eine vierköpfige Familie im Jahr vielleicht 18 Euro aus- unter den jetzigen Bedingungen. Deswegen wollen wir ja den Umbau auf dezentrale Strukturen und fordern das öffentliche Eigentum an den Stromnetzen, eine echte staatliche Preisaufsicht und die Rekommunalisierung der Energieversorgungslandschaft. Das Geschrei über angeblich zu hohe Kosten wird von der Atomlobby forciert, weil es um ihre Geschäfte geht. Rund 1 Million Euro Gewinn ziehen die Atomkonzerne aus ihren Altmeilern. Und zwar am Tag! Wenn aber der örtliche Rat über die Höhe der Stromtarife entscheidet, wird es auch nicht zu einer Explosion der Strompreise kommen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die rund 800.000 Stromabsperrungen in unserem Land erinnern. Es gibt immer mehr Menschen, die händeringend auf sozialverträgliche Tarife angewiesen sind.

 

www.linksfraktion.de, 11. April 2011